Ausnahmezuständigkeit der Hauptversammlung – Gelatine I – BGH II ZR 155/02

April 18, 2019

Ausnahmezuständigkeit der Hauptversammlung – Gelatine I – BGH II ZR 155/02

RA und Notar Krau

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte im Fall „Gelatine I“ vom 26. April 2004 über die Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses zu entscheiden.

Streitpunkt war die Frage, ob die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft ein Mitwirkungsrecht bei der Umstrukturierung

einer Tochter- in eine Enkelgesellschaft hat, obwohl diese Maßnahme gesetzlich dem Vorstand zugewiesen ist.

Kernaussagen des Urteils:

  1. Eingeschränkte Mitwirkungsbefugnisse der Hauptversammlung: Der BGH bekräftigt, dass die Hauptversammlung nur in Ausnahmefällen ein Mitwirkungsrecht bei Maßnahmen hat, die gesetzlich in die Kompetenz des Vorstands fallen.

  2. Ausnahme bei Satzungsnähe: Eine solche Ausnahme liegt vor, wenn die Maßnahme die Kernkompetenz der Hauptversammlung, über die Verfassung der Aktiengesellschaft zu bestimmen, berührt. Dies ist der Fall bei Umstrukturierungen, die Veränderungen mit sich bringen, welche denen einer Satzungsänderung ähneln, wie z.B. bei Ausgliederungen oder der Umstrukturierung einer Tochter- in eine Enkelgesellschaft.

Ausnahmezuständigkeit der Hauptversammlung – Gelatine I – BGH II ZR 155/02

  1. Wesentlichkeit der Beeinträchtigung: Eine wesentliche Beeinträchtigung der Mitwirkungsbefugnisse der Aktionäre liegt bei der Umstrukturierung einer Tochter- in eine Enkelgesellschaft erst dann vor, wenn die wirtschaftliche Bedeutung der Maßnahme erheblich ist und in etwa die Ausmaße des „Holzmüller“-Falls (BGHZ 83, 122) erreicht.

  2. Dreiviertel-Mehrheit: Ist die Hauptversammlung ausnahmsweise zur Mitwirkung berufen, ist für ihre Zustimmung eine Dreiviertel-Mehrheit erforderlich.

Sachverhalt des Falls „Gelatine I“:

Die Beklagte, eine Aktiengesellschaft, brachte ihre Beteiligungen an zwei Tochtergesellschaften in eine andere, ihr gehörende Tochtergesellschaft ein.

Diese Umstrukturierung erfolgte ohne Mitwirkung der Hauptversammlung.

Minderheitsaktionäre (Kläger) fochten die Genehmigung dieses Vorgehens durch die Hauptversammlung an.

Sie argumentierten, dass die Einbringung eine Maßnahme von erheblichem Gewicht sei und daher der Zustimmung einer Dreiviertel-Mehrheit bedurft hätte.

Ausnahmezuständigkeit der Hauptversammlung – Gelatine I – BGH II ZR 155/02

Entscheidung des BGH:

Der BGH wies die Revisionen der Kläger zurück.

Er entschied, dass der Beschluss der Hauptversammlung wirksam zustande gekommen war und keiner Dreiviertel-Mehrheit bedurfte.

  1. Keine Satzungsänderung: Die Einbringung der Beteiligungen war vom Unternehmensgegenstand der Beklagten gedeckt und stellte keine Satzungsänderung dar.

  2. Keine ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit: Die Voraussetzungen für eine ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit nach den „Holzmüller“-Grundsätzen lagen nicht vor. Die Umstrukturierung veränderte die Unternehmensstruktur nicht grundlegend und beeinträchtigte die Aktionäre nicht wesentlich in ihren Rechten.

  3. Keine wesentliche Beeinträchtigung: Die wirtschaftliche Bedeutung der betroffenen Tochtergesellschaften war nicht so groß, dass die Umstrukturierung eine wesentliche Beeinträchtigung der Mitwirkungsbefugnisse der Aktionäre darstellte.

Bedeutung des Urteils „Gelatine I“:

Das Urteil „Gelatine I“ bekräftigt die eingeschränkten Mitwirkungsbefugnisse der Hauptversammlung bei Maßnahmen, die in die Kompetenz des Vorstands fallen.

Ausnahmezuständigkeit der Hauptversammlung – Gelatine I – BGH II ZR 155/02

Es verdeutlicht, dass eine ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit nur in Ausnahmefällen greift.

Das Urteil stärkt die Position des Vorstands bei Umstrukturierungen innerhalb von Konzernen.

Konsequenzen für die Praxis:

  • Der Vorstand hat bei Umstrukturierungen im Konzern einen großen Handlungsspielraum.
  • Die Hauptversammlung hat nur in Ausnahmefällen ein Mitwirkungsrecht.
  • Eine wesentliche Beeinträchtigung der Aktionärsrechte liegt erst bei Maßnahmen von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung vor.
  • Ist die Hauptversammlung zur Mitwirkung berufen, bedarf ihre Zustimmung einer Dreiviertel-Mehrheit.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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