Ausschlagung zur Erlangung der gesetzlichen Erbenstellung
Ein Todesfall in der Familie ist immer eine Ausnahmesituation. Neben der Trauer müssen Sie sich auch mit rechtlichen Fragen rund um das Erbe auseinandersetzen. Oft taucht dabei der Begriff der „Ausschlagung“ auf. Doch was bedeutet das eigentlich? Und wann ist es sinnvoll, ein Erbe auszuschlagen, um dann doch als gesetzlicher Erbe aufzutreten? Rechtsanwalt und Notar Krau erklärt Ihnen die wichtigsten Gründe.
Stellen Sie sich vor, jemand verstirbt und hat ein Testament hinterlassen. In diesem Testament steht, wer erben soll – das ist die gewillkürte Erbfolge. Wenn es kein Testament gibt oder das Testament unwirksam ist, tritt die gesetzliche Erbfolge in Kraft. Hier regelt das Gesetz, wer in welcher Reihenfolge erbt (z.B. Ehepartner, Kinder, Eltern).
Manchmal kann es für einen Erben sinnvoll sein, das im Testament zugedachte Erbe – also die „gewillkürte Erbschaft“ – auszuschlagen. Das klingt vielleicht erstmal widersprüchlich, denn wer lehnt schon ein Erbe ab? Der Trick ist: Durch die Ausschlagung der testamentarischen Erbschaft rutscht man unter Umständen automatisch in die Position des gesetzlichen Erben. Das kann aus verschiedenen Gründen vorteilhaft sein.
Einer der Hauptgründe, warum jemand ein testamentarisches Erbe ausschlägt, um dann gesetzlicher Erbe zu werden, ist oft rein wirtschaftlicher Natur. Als gesetzlicher Erbe stehen Ihnen nämlich bestimmte Freibeträge bei der Erbschaftsteuer zu. Diese Freibeträge sind von Ihrem Verwandtschaftsgrad zum Erblasser abhängig und können sehr hoch sein. Wenn Sie diese Freibeträge nutzen können, bleibt am Ende mehr vom Nachlass in der Familie.
Allerdings gibt es hier eine wichtige Einschränkung: Wenn der Erblasser ausdrücklich wollte, dass Sie nur aufgrund des Testaments, aber keinesfalls als gesetzlicher Erbe erben sollen, dann funktioniert diese Strategie nicht. Auch wenn Sie durch die Ausschlagung plötzlich einen höheren Erbteil bekommen würden, als im Testament vorgesehen, ist das in der Regel nicht möglich. Das Gesetz geht hier davon aus, dass der Erblasser Sie mit dem geringeren Erbteil bewusst „teilenterbt“ hat.
Stellen Sie sich vor, Sie erben laut Testament ein Haus, aber mit der Auflage, dass Sie darin einen bestimmten Raum für eine Bibliothek einrichten müssen oder dass Sie jährlich einen festen Betrag an eine bestimmte Person zahlen sollen. Solche Auflagen, Vermächtnisse oder Beschränkungen können im Testament festgelegt sein.
Manchmal können diese Bedingungen recht belastend sein. Hier kann die Ausschlagung der testamentarischen Erbschaft und die Annahme als gesetzlicher Erbe eine Lösung sein. Die Idee dahinter ist, dass diese Beschränkungen nur für den „testamentarisch eingesetzten“ Erben gelten sollten.
In den meisten Fällen bleiben solche Beschränkungen jedoch bestehen, selbst wenn Sie durch die Ausschlagung der testamentarischen Erbschaft zum gesetzlichen Erben werden. Die Gerichte gehen davon aus, dass der Erblasser wollte, dass diese Auflagen bestehen bleiben. Es gibt aber Ausnahmen: Wenn sich aus dem Testament oder den Umständen klar ergibt, dass der Erblasser wollte, dass der gesetzliche Erbe von solchen Beschränkungen befreit sein sollte, dann kann dies auch so eintreten. Ein Beispiel hierfür könnte eine sogenannte „Vorerbschaft“ sein, bei der Sie zunächst Erbe sind, das Vermögen aber später an eine andere Person (den Nacherben) fällt.
Praxistipp von RA und Notar Krau: Um Missverständnisse zu vermeiden, ist es für Erblasser immer besser, genaue und klare Anordnungen in einem Testament zu treffen, als sich auf eine Ausschlagung zur Befreiung von Beschränkungen zu verlassen.
Manchmal haben Erben schon zu Lebzeiten des Erblassers Geschenke oder „Vorempfänge“ erhalten, die später bei der Erbteilung ausgeglichen werden sollen. Diese Ausgleichsansprüche sind im Gesetz geregelt (§ 2050 BGB).
Wenn Ihr testamentarischer Erbteil kleiner ist als das, was Ihnen als gesetzlichem Erben zustehen würde, kann es sich lohnen, das Testament auszuschlagen, um dann als gesetzlicher Erbe Ausgleichsansprüche geltend zu machen. Allerdings nur dann, wenn der Erblasser mit dem Testament keine „Teilenterbung“ beabsichtigt hat. Wurde Ihnen im Testament aber ein größerer Anteil zugesprochen als Ihnen gesetzlich zustehen würde, und Sie würden durch die Ausgleichung noch mehr erhalten, so steht dem meist der Wille des Erblassers entgegen.
Der „Voraus“ ist ein spezielles Recht für den überlebenden Ehegatten oder Lebenspartner. Er umfasst alle Gegenstände des gemeinsamen Haushalts sowie die Hochzeitsgeschenke und dient dazu, dem überlebenden Partner das gewohnte Leben zu ermöglichen.
Auch wenn Sie im Testament als Erbe eingesetzt wurden, kann es unter Umständen sinnvoll sein, die testamentarische Erbschaft auszuschlagen, um dann als gesetzlicher Erbe den Voraus zu erhalten. Das ist besonders dann vorteilhaft, wenn das Erbe hauptsächlich aus den Gegenständen besteht, die zum Voraus gehören würden. Zudem kann es helfen, den Pflichtteilsanspruch von enterbten Eltern zu minimieren, da der Voraus nicht in deren Pflichtteil eingerechnet wird.
Haben Ehepartner oder andere Personen in einem gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag bindende Verfügungen getroffen (z.B. „Wir setzen uns gegenseitig zu Erben ein und nach dem Tod des Letztversterbenden unsere Kinder“), kann es sein, dass der überlebende Partner in seiner Testierfreiheit eingeschränkt ist. Das bedeutet, er kann sein eigenes Testament nicht mehr frei ändern.
Die Frage ist, ob man diese Testierfreiheit zurückgewinnt, wenn man das Testament ausschlägt und stattdessen gesetzlicher Erbe wird. Nach herrschender Meinung ist das dann der Fall, wenn der ausschlagende Erbe ein Vermögensopfer bringt, also wenn der gesetzliche Erbteil erheblich geringer ist als der testamentarische.
Wie Sie sehen, kann die Ausschlagung eines testamentarischen Erbes, um dann als gesetzlicher Erbe aufzutreten, verschiedene Vorteile mit sich bringen. Ob dies in Ihrem individuellen Fall sinnvoll ist, hängt jedoch von vielen Faktoren ab. Eine sorgfältige Prüfung der letztwilligen Verfügung und der persönlichen Situation ist unerlässlich.
Dieser Beitrag wurde verfasst von Rechtsanwalt und Notar Krau.
Haben Sie Fragen zur Erbausschlagung oder anderen erbrechtlichen Themen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren.