BAG 1 ABR 6/15 Beschluss vom 24.1.2017, Mitbestimmungsrecht bei der Anrechnung einer zweistufigen Tariferhöhung – Rechtsbeschwerde des Betriebsrats
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 17. Dezember 2014 – 11 TaBV 50/14 – wird zurückgewiesen.
Gründe BAG 1 ABR 6/15
A. Die Beteiligten streiten über ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anrechnung einer Tarifentgelterhöhung.
Die Arbeitgeberin betreibt einen Fachverlag und ist Mitglied im Arbeitgeberverband der Verlage und Buchhandlungen in Bayern e.V. (AVB). Antragsteller ist der für ihren Betrieb M gebildete Betriebsrat.
Die Arbeitgeberin gehört zur Mediengruppe der S GmbH, in deren Unternehmen insgesamt zehn unterschiedliche Entgelttarifverträge Anwendung finden. Die Geschäftsführung der S GmbH entschied vor dem Monat September 2010, die aufgrund bevorstehender oder bereits laufender Tarifverhandlungen zu erwartende Erhöhung der Tarifentgelte in den einzelnen Unternehmen der Mediengruppe auf die übertariflichen Zulagen der Arbeitnehmer anzurechnen.
Der AVB schloss am 17. September 2010 den Entgelttarifvertrag für die Arbeitnehmer/innen des Buchhandels und der Verlage in Bayern (ETV) ab. Nach § 3 ETV erhöht sich das Tarifentgelt in allen Entgeltgruppen zum 1. Oktober 2010 um 50,00 Euro und zum 1. Juli 2011 um 2 vH.
Die Arbeitgeberin zahlt übertarifliche Zulagen in unterschiedlicher Höhe. Sie rechnete die zum 1. Oktober 2010 im ETV vorgesehene Tariferhöhung in voller Höhe auf übertarifliche Zulagen an. Im November 2010 gab die Arbeitgeberin bekannt, die zweite Stufe der Tariferhöhung nach dem ETV zum 1. Juli 2011 nicht auf übertarifliche Zulagen anzurechnen.
Eine von den Betriebsparteien errichtete Einigungsstelle zum Gegenstand „Anrechnung der Tarifentgelterhöhung zum 01.10.2010 auf die übertarifliche Zulagen …“ beschloss in der Sitzung vom 17. Juli 2013 ihre Unzuständigkeit und stellte das Verfahren ein.
BAG 1 ABR 6/15
Der Betriebsrat hat geltend gemacht, die Anrechnung der Tariferhöhung sei nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Der Arbeitgeberin sei ein Regelungsspielraum bei der Anrechnung verblieben. Die Anrechnung der ersten Stufe und die Nichtanrechnung der zweiten Stufe der Tarifentgelterhöhung beruhten auf einem einheitlichen Gesamtkonzept. Durch die Anrechnung hätten sich die Verteilungsgrundsätze geändert.
Der Betriebsrat hat zuletzt beantragt,
festzustellen, dass ihm ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der durch die Arbeitgeberin vorgenommenen Anrechnung der Tarifgehaltserhöhung um 50,00 Euro zum 1. Oktober 2010 auf die übertariflichen Zulagen der im Betrieb der Arbeitgeberin in M beschäftigten Arbeitnehmern zusteht.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat sein Begehren weiter.
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zu Recht zurückgewiesen. Der zulässige Antrag ist unbegründet.
BAG 1 ABR 6/15
I. Der Antrag bedarf der Auslegung. Nach seinem Wortlaut ist er lediglich auf die Feststellung gerichtet, dem Betriebsrat stehe bei der von der Arbeitgeberin vorgenommenen Anrechnung der Tariferhöhung um 50,00 Euro zum 1. Oktober 2010 auf die übertariflichen Zulagen ein Mitbestimmungsrecht zu. Die Begründung des Betriebsrats zeigt jedoch, dass es dem Betriebsrat nicht um die Klärung geht, allein diese Anrechnung sei mitbestimmungspflichtig. Nach seiner Ansicht besteht ein Mitbestimmungsrecht bei der auf einer einheitlichen Konzeption beruhenden Anrechnung der ersten Stufe der Tarifentgelterhöhung zum 1. Oktober 2010 und der Nichtanrechnung der zweiten Stufe der Tariferhöhung zum 1. Juli 2011. Dieses Antragsverständnis hat der Betriebsrat in der Anhörung vor dem Senat bestätigt.
II. Der Antrag ist zulässig. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. Die Arbeitgeberin stellt ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in Abrede.
III. Der Antrag ist unbegründet. Dem Betriebsrat steht bei der Entscheidung über die Anrechnung der Tariferhöhung kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu.
BAG 1 ABR 6/15
a) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass bei der Anrechnung der Tarifentgelterhöhung zum 1. Oktober 2010 für sich betrachtet ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht bestand. Die Arbeitgeberin hat die sich aus dieser Erhöhung ergebenden Steigerungsbeträge im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen auf die übertariflichen Zulagen der Arbeitnehmer angerechnet. Damit verblieb insoweit kein Spielraum für eine andere Verteilung, die der Betriebsrat hätte mitgestalten können.
BAG 1 ABR 6/15
b) Ein Mitbestimmungsrecht folgt auch nicht daraus, dass die Anrechnung der ersten Stufe der Tarifentgelterhöhung zum 1. Oktober 2010 und die Nichtanrechnung der zweiten Stufe zum 1. Juli 2011 auf einer einheitlichen Konzeption der Arbeitgeberin beruhten. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, es fehle an einem solchen Gesamtkonzept.
aa) Nach den nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffenen und daher nach § 559 Abs. 2 ZPO bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Geschäftsführung der S GmbH noch vor dem Abschluss der zehn unterschiedlichen Tarifverträge in der Mediengruppe – darunter dem ETV – die Entscheidung getroffen, die zu erwartende Tarifentgelterhöhung in den einzelnen Unternehmen ihrer Mediengruppe und damit bei allen dort beschäftigten Mitarbeitern auf bestehende übertarifliche Zulagen anzurechnen. Bereits dieser Umstand legt nahe, dass zu diesem Zeitpunkt noch keine Planung bestand, wie mit einer etwaigen zweiten Stufe einer im jeweils maßgebenden Entgelttarifvertrag enthaltenen Entgeltsteigerung verfahren werden sollte.
bb) Weiterhin war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zum Zeitpunkt dieser Anrechnungsentscheidung noch nicht absehbar, dass der ETV eine zweistufige Tarifentgelterhöhung enthalten würde. Es fehlt daher an Anhaltspunkten, dass die für die gesamte Mediengruppe des S getroffene Anrechnungsentscheidung bereits eine Festlegung der Arbeitgeberin zum Umgang mit der damals nicht absehbaren zweiten Stufe der im ETV enthaltenen Tariflohnerhöhung beinhalten sollte. Der Umstand, dass die Arbeitgeberin im November 2010 bekannt gab, die zweite Stufe der Tariferhöhung nicht anrechnen zu wollen, lässt vor diesem Hintergrund keinen gegenteiligen Schluss zu. Diese Mitteilung erfolgte erst, nachdem der ETV bereits abgeschlossen worden war.
cc) Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen diese nicht zu beanstandende Würdigung des Landesarbeitsgerichts wendet, setzt sie nur ihre eigene an die Stelle der vom Landesarbeitsgericht vorgenommenen.
Treber
Weber
Ahrendt
D. Wege
Benrath
BAG 1 ABR 6/15
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.