BAG vom 07.07.2010 – 4 AZR 549/08 – Tarifpluralität – Tarifeinheit

November 11, 2024

BAG vom 07.07.2010 – 4 AZR 549/08 – Tarifpluralität – Tarifeinheit

RA und Notar Krau

Kernthema:

Das Urteil befasst sich mit der Frage der Tarifpluralität, d.h. der Anwendbarkeit mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb,

und der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Falle der unmittelbaren Tarifgebundenheit des Arbeitgebers.

Sachverhalt:

Der Kläger, ein Arzt, war bei der Beklagten, einem kommunalen Krankenhaus, beschäftigt.

Die Beklagte war Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband und somit an den BAT gebunden.

Der Kläger war Mitglied im Marburger Bund, der den BAT gekündigt und einen eigenen Tarifvertrag abgeschlossen hatte.

BAG vom 07.07.2010 – 4 AZR 549/08 – Tarifpluralität – Tarifeinheit

Die Beklagte leitete den Kläger in den TVöD über, der Kläger widersprach.

Streitig war, ob dem Kläger ein Urlaubsaufschlag nach dem BAT zustand.

Verfahrensgang:

  • Arbeitsgericht: Der Klage wurde stattgegeben.
  • Landesarbeitsgericht: Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen.
  • Revision der Beklagten beim BAG.

Entscheidung des BAG:

Das BAG wies die Revision zurück.

Begründung:

  1. Tarifpluralität:

Das BAG stellte fest, dass im Streitzeitraum bei der Beklagten Tarifpluralität bestand, da sie sowohl an den BAT als auch an den TVöD gebunden war.

BAG vom 07.07.2010 – 4 AZR 549/08 – Tarifpluralität – Tarifeinheit

  1. Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit:

Das BAG gab seine bisherige Rechtsprechung auf, wonach im Falle der Tarifpluralität der speziellere Tarifvertrag den allgemeineren verdrängt.

Die Rechtsnormen eines Tarifvertrags gelten nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend in den jeweiligen Arbeitsverhältnissen.

Diese Geltung wird nicht dadurch verdrängt, dass für den Betrieb mehrere Tarifverträge gelten.

  • Keine Rechtsgrundlage für Tarifeinheit: Es gibt keine gesetzliche Grundlage für den Grundsatz der Tarifeinheit.
  • Keine planwidrige Regelungslücke: Das Tarifvertragsgesetz enthält keine planwidrige Regelungslücke, die eine Rechtsfortbildung rechtfertigen würde.
  • Verstoß gegen Koalitionsfreiheit: Die Verdrängung eines Tarifvertrags nach dem Grundsatz der Tarifeinheit verstößt gegen die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG.
  1. Keine Tarifkonkurrenz:

Die individualvertragliche Bezugnahme auf den TVöD im Arbeitsvertrag des Klägers führt nicht zu einer Tarifkonkurrenz, die den BAT verdrängen könnte.

  1. Wahrung der Ausschlussfrist:

Der Kläger hatte die tarifliche Ausschlussfrist des § 70 BAT durch seine E-Mail gewahrt.

  • E-Mail genügt Schriftform: Zur Wahrung der Ausschlussfrist genügt die Textform gemäß § 126b BGB.
  1. Keine Divergenz zu anderen Senaten:

Das BAG sah keine Divergenz zu anderen Senaten, die ein Vorlageverfahren an den Großen Senat erforderlich machen würde.

BAG vom 07.07.2010 – 4 AZR 549/08 – Tarifpluralität – Tarifeinheit

Fazit:

Das Urteil des BAG stellt eine bedeutende Änderung der Rechtsprechung zur Tarifpluralität dar.

Das BAG stärkt die Tarifautonomie und die Koalitionsfreiheit, indem es den Grundsatz der Tarifeinheit im Falle der unmittelbaren Tarifgebundenheit des Arbeitgebers aufgibt.

Die Entscheidung hat weitreichende Auswirkungen für die Arbeitswelt, da sie die Möglichkeit eröffnet, dass in einem Betrieb verschiedene Tarifverträge nebeneinander gelten.

Zusätzliche Anmerkungen:

  • Das BAG setzt sich ausführlich mit der Entstehungsgeschichte des Tarifvertragsgesetzes und den verfassungsrechtlichen Grundlagen der Tarifautonomie auseinander.
  • Das Urteil befasst sich mit den praktischen Auswirkungen der Tarifpluralität und den Argumenten für und gegen den Grundsatz der Tarifeinheit.
  • Die Entscheidung des BAG wurde in der Literatur überwiegend positiv aufgenommen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Urteil des BAG eine wegweisende Entscheidung zur Tarifpluralität darstellt

und die Rechtsprechung zur Geltung von Tarifverträgen grundlegend geändert hat.

Schlagworte

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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