Baumwurzeln und Schäden am Nachbargrundstück

Juni 12, 2025

Baumwurzeln und Schäden am Nachbargrundstück

Bundesgerichtshof Urteil verkündet am 12.12.2003, Aktenzeichen: V ZR 98/03

RA und Notar Krau

Worum ging es in diesem Fall?

Eine Frau (die Klägerin) besitzt ein Hausgrundstück in Kassel. Direkt daneben steht ein anderes Grundstück, auf dem eine 17,5 Meter hohe Fichte wächst. Dieser Baum gehörte zuerst der Beklagten zu 1 und später der Beklagten zu 2. Der Baum steht sehr nah an der Grenze, nur 0,75 Meter von der Garage der Klägerin entfernt.

An der Garagenwand und einer Stützmauer auf dem Grundstück der Klägerin haben sich Risse gebildet. Die Klägerin glaubt, dass diese Risse von den Wurzeln der Fichte stammen. Sie wollte deshalb, dass der Baum entfernt wird. Wenn das nicht ginge, wollte sie, dass Maßnahmen ergriffen werden, um weitere Schäden zu verhindern. Außerdem forderte sie Schadensersatz.

Wie haben die unteren Gerichte entschieden?

Das Amtsgericht entschied, dass die erste Besitzerin des Grundstücks (Beklagte zu 1) den Baum entfernen und die Wurzeln durchtrennen muss. Sie musste auch Schadensersatz zahlen. Die zweite Besitzerin (Beklagte zu 2) wurde nur dazu verurteilt, Maßnahmen zur Schadensverhinderung zu ergreifen und musste für Schäden zahlen, die entstanden, seit sie das Grundstück besitzt.

Beide Beklagten legten Berufung ein, weil sie die Klage ganz abweisen lassen wollten. Die Klägerin legte ebenfalls Berufung ein, weil sie wollte, dass auch die Beklagte zu 2 den Baum entfernen muss. Alle diese Berufungen blieben erfolglos.

Was hat das Berufungsgericht entschieden?

Das Landgericht (Berufungsgericht) war der Meinung, dass die erste Besitzerin (Beklagte zu 1) den Baum entfernen und 2.000 DM zahlen muss, weil sie sich dazu verpflichtet hatte. Da sie ihre Pflichten nicht erfüllt hatte, musste sie auch den dadurch entstandenen Schaden ersetzen.

Gegenüber der zweiten Besitzerin (Beklagten zu 2) sah das Gericht ebenfalls einen Anspruch auf Abwehr aus § 1004 Abs. 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Ein Gutachten hatte gezeigt, dass die Wurzeln des Baumes wie ein „Druckstempel“ wirkten und bei Wind gegen die Garagenwand drückten.

Baumwurzeln und Schäden am Nachbargrundstück

Das Gericht meinte jedoch, dass die Beklagte zu 2 ein Wahlrecht habe, wie sie die Störung beseitigt. Sie müsse den Baum nicht unbedingt entfernen. Der Sachverständige hatte vorgeschlagen, den Baum auf halber Höhe zu kappen oder ihn mit stabilem Material zu umbauen.

Was hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden?

Der BGH hat das Urteil des Landgerichts teilweise aufgehoben und zugunsten der Klägerin entschieden:

  1. Die Revisionen der Beklagten waren unzulässig, weil sie nicht richtig begründet wurden.
  2. Die Revision der Klägerin war zulässig und begründet.

Der BGH stellte fest, dass die Klägerin einen Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB gegen die Beklagte zu 2 hat. Das bedeutet, dass die Beklagte zu 2 zukünftige Schäden am Eigentum der Klägerin verhindern muss.

  • Keine Verjährung: Der Anspruch der Klägerin war nicht verjährt. Solche Ansprüche haben eine Verjährungsfrist von 30 Jahren, die erst mit dem Auftreten der ersten Schäden beginnt.
  • Störereigenschaft der Beklagten zu 2: Auch wenn die Beklagte zu 2 den Baum nicht selbst gepflanzt hat, ist sie für die Störung verantwortlich, weil sie als Eigentümerin des Grundstücks die Kontrolle darüber hat. Besonders wichtig war, dass der Baum den gesetzlichen Grenzabstand nach dem Hessischen Nachbarrechtsgesetz nicht einhielt.
  • Entfernung des Baumes ist die richtige Maßnahme: Der BGH widersprach dem Landgericht in einem wichtigen Punkt: Die Beklagte zu 2 muss den Baum entfernen. Normalerweise kann der Störer zwischen verschiedenen Maßnahmen zur Abhilfe wählen. Aber der BGH sagte: Wenn andere Maßnahmen nicht vernünftigerweise in Betracht gezogen werden können, dann ist die konkrete Maßnahme – hier die Entfernung des Baumes – zulässig.
    • Das Kappen des Baumes auf halber Höhe würde laut Gericht „verheerende Folgen“ haben, das Erscheinungsbild des Baumes unwiederbringlich zerstören und wahrscheinlich zum Absterben des Baumes führen. Außerdem müsste ständig zurückgeschnitten werden. Es gab keinen erkennbaren Vorteil gegenüber der Fällung.
    • Der Umbau des Baumes mit stabilem Material wurde als „wirtschaftlich und/oder ästhetisch unsinnig“ bezeichnet.
    • Deshalb hatte die Beklagte zu 2 kein berechtigtes Interesse an anderen Maßnahmen als der Fällung des Baumes.
  • Hessisches Nachbarrechtsgesetz: Das Gericht stellte klar, dass das Hessische Nachbarrechtsgesetz zwar Fristen für die Beseitigung wegen Nichteinhaltung des Grenzabstandes vorsieht, diese landesrechtlichen Vorschriften aber keine allgemeinen Rechte aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (wie § 1004 BGB) einschränken können.

Das Endergebnis

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Beklagte zu 2 die Fichte auf ihrem Grundstück entfernen muss.


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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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