Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 75/98

September 14, 2017

Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 75/98 Erbscheinsverfahren: Auslegung des Testaments bei Einsetzung der “Kirche” als Erbe; Ersatzerbeneinsetzung der “Stadtverwaltung”; Beteiligung der gesetzlichen Erben im Beschwerdeverfahren

  1. Hat der Erblasser verfügt, daß sein “sämtliches Hab und Gut” für einen caritativen Zweck “der Kirche” zufallen soll, und fehlen Anhaltspunkte für einen anderen Willen des Erblassers, so ist davon auszugehen, daß dieser unter “Kirche” die kirchliche Organisation verstanden hat, der er selbst angehörte. Zur Ermittlung der Kirchenzugehörigkeit in einem solchen Fall.
  2. Ist die Einsetzung der Kirche in diesem Fall mit dem Zusatz “oder einer Stadtverwaltung” verbunden und ist nicht feststellbar, welche Stadtverwaltung der Erblasser bedenken wollte, so kann dieser Zusatz als Ersatzerbeneinsetzung ausgelegt werden, wenn sich aus den Umständen, insbesondere dem Zweck der Zuwendung ergibt, daß der Erblasser vorzugsweise die Kirche bedenken wollte.
  3. Zur notwendigen Beteiligung gesetzlicher Erben im Beschwerdeverfahren, wenn die Wirksamkeit eines Testaments in Frage steht.

Tenor

Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2 gegen den Beschluß des Landgerichts München II vom 6. April 1998 wird zurückgewiesen.

Gründe Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 75/98

I.

Die am 1.6.1995 im Alter von 84 Jahren verstorbene Erblasserin war geschieden und kinderlos. Die Beteiligten zu 2 bis 6 sind Kinder ihrer beiden vorverstorbenen Brüder. Sie kommen als gesetzliche Erben in Betracht. Laut Melderegister war die Erblasserin evangelischen Bekenntnisses.

Die Erblasserin hat ein handschriftliches Testament verfaßt, daß das Datum 12.9.1966 trägt und auszugsweise wie folgt lautet:

Nach meinem Tode soll mein sämtliches Hab und Gut der Kirche oder einer Stadtverwaltung zufallen, die es für einen besonderen Zweck zu verwenden hat:

Das von mir durch harte Anstrengungen erworbene und unter sehr großem Verzicht ersparte Geld soll zur Gründung eines offenen Hauses, eines Heimes, eines sogen. Alleinstehenden-Amtes zu Nutz und Frommen der allein auf sich selbst gestellten erwachsenen Menschen dienen, die keinen Lebensgefährten … haben und die Anforderungen des Lebens ganz allein bewältigen müssen. …

Vor allem möge auch von dieser Stätte aus in das Bewußtsein der Menschen eingeprägt werden, daß – entgegen der Staatsräson, aber entsprechend des christlichen Grundsatzes – im Mittelpunkt allen Geschehens, das Maß aller Dinge der Mensch in seiner Vereinzelung stehe und sei – und nicht das Kollektiv, die Gruppe, nicht die Familie. Die Gewaltherrschaft der Familie ist das größte Verbrechen am “Menschen”. …

<Es folgt vor der Unterschrift eine Aufstellung der Nachlaßgegenstände, die durchgestrichen ist. Am seitlichen und unteren Rand ist vermerkt:> Dieser Nachlaß hat sich geändert, 10.2.1987. Diese Seite ist ungültig. 10. Februar 1987 (Unterschrift).

<Auf einem vierten Blatt ist unter anderem vermerkt:> Ich möchte hoffen, daß dieser von mir gemachte Anfang weiter ausgebaut werden möge bis sich in jeder größeren Stadt so ein offenes Haus ein Alleinstehenden-Amt zu Nutz und Frommen des völlig alleinstehenden Menschen befindet.”

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Das Testament war 1995 in einem Umschlag in die besondere amtliche Verwahrung gegeben worden. In dem Umschlag befand sich außerdem unter anderem ein maschinenbeschriebenes Blatt, aus dem hervorgeht, daß die Erblasserin der Meinung war, sie sei von ihrer Mutter gegenüber den Brüdern und insbesondere deren Familie benachteiligt worden. Auf der Rückseite ist vermerkt: “Sehr wichtig; über die eingeheirateten Parasiten”.

Die Beteiligte zu 1, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, ist der Auffassung, sie sei, da die Erblasserin evangelischen Bekenntnisses gewesen sei, in dem Testament zur Alleinerbin eingesetzt, und hat einen entsprechenden Erbschein beantragt. Demgegenüber sind die Beteiligten zu 2 bis 5 der Meinung, das Testament sei unwirksam, und haben jeweils Teilerbscheine als gesetzliche Erben beantragt. Die Erblasserin habe sich in verschiedener Beziehung seltsam benommen und sei testierunfähig gewesen. Darüber hinaus habe sie keinen bestimmten Erben eingesetzt, so daß die Verfügung schon mangels Bestimmtheit unwirksam sei.

Das Nachlaßgericht hat mit Vorbescheid vom 28.1.1997 einen Erbschein angekündigt, der die Beteiligte zu 1 als Alleinerbin ausweisen soll. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 2 hat das Landgericht mit Beschluß vom 6.4.1998 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2. Das Nachlaßgericht hat entsprechend seiner Ankündigung unter dem 11.5.1998 einen Erbschein ausgefertigt und am 12.5.1998 eine Ausfertigung an die Beteiligte zu 1 hinausgegeben.

II.

Die weitere Beschwerde ist, nachdem der im Vorbescheid angekündigte Erbschein inzwischen hinausgegeben und damit erteilt ist, mit dem Ziel der Einziehung dieses Erbscheins statthaft und in diesem Sinn auszulegen (vgl. BayObLGZ 1982, 236/239 und 1996, 69/73). Sie ist auch im übrigen zulässig, jedoch in der Sache nicht begründet.

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Die Entscheidung des Landgerichts ist zwar nicht frei von Rechtsfehlern, sie erweist sich jedoch im Ergebnis als richtig.

  1. Da die Beteiligten zu 3 bis 6 als gesetzliche Erben je nach der Wirksamkeit des Testaments zur Erbfolge berufen sein können und in erster Instanz diese Erbenstellung auch für sich in Anspruch genommen haben, sind sie am Erbscheinsverfahren materiell beteiligt (vgl. dazu BayObLG FamRZ 1997, 218). Sie sind gleichwohl nicht über die Einlegung der Beschwerde unterrichtet worden und hatten deshalb keine Gelegenheit, sich im Beschwerdeverfahren selbst zu äußern. In Abgrenzung zu der genannten Entscheidung zwingt dies im vorliegenden Fall nicht zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Denn durch diesen wurde in die Rechte der Beteiligten zu 3 bis 6 nicht über das bereits im Rahmen der Erstentscheidung angelegte Maß hinaus eingegriffen. Ihre Rechtsposition wurde gegenüber dem Vorbescheid des Nachlaßgerichts nicht verschlechtert. Gegen diesen stand den Beteiligten zu 3 bis 6 ein eigenes Beschwerderecht zu, das sie unabhängig von der Beteiligten zu 2 wahrnehmen konnten (vgl. auch Jansen FGG 2. Aufl. § 23 Rn. 12). Die Entscheidung des Landgerichts bewirkte für sie keine über den Vorbescheid hinausgehende Bindung.

Auch unter dem Gesichtspunkt der Sachaufklärung (§ 2358 BGB, § 12 FGG) war die Anhörung der Beteiligten zu 3 bis 6 hier nicht geboten.

Das Beschwerdegericht ist rechtsfehlerfrei (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) von der Testierfähigkeit der Erblasserin (§ 2229 Abs. 4 BGB) ausgegangen.

Die Erblasserin hat ihr ursprünglich auf den 12.9.1966 datiertes Testament am 10.2.1987 durch einen unterschriebenen Zusatz bestätigt.

Für diesen Zeitpunkt haben sich keine Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit ergeben. Das Nachlaßgericht hat die Betreuerin der Erblasserin angehört sowie die Äußerungen einer weiteren Person eingeholt, die mit der Erblasserin längere Zeit vor deren Tod in engem Kontakt gestanden hat.

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Beide Zeugen haben bestätigt, daß die Erblasserin stets bei klarem Verstand war und keine geistigen Ausfallerscheinungen zeigte. Es bestand deshalb kein Anlaß zu weiteren Ermittlungen hinsichtlich der Testierfähigkeit (vgl. BayObLG FamRZ 1997, 1029 und 1436).

Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, daß die Beteiligte zu 1 durch das Testament zur alleinigen Erbin eingesetzt ist.

a) Das Landgericht ist ohne nähere Begründung davon ausgegangen, daß die Erblasserin die im Testament benannten Institutionen (Kirche und Stadtverwaltungen) zu Erben einsetzen wollte. Dies begegnet jedenfalls unter der Voraussetzung, daß die Erbeinsetzung als wirksam angesehen werden kann (dazu unten d und e), keinen Bedenken.

Die Erblasserin hat zwar die genannten Institutionen nicht ausdrücklich als Erben bezeichnet. Sie hat aber verfügt, daß ihnen ihr “sämtliches Hab und Gut” zufallen soll.

Damit hat sie ihr gesamtes Vermögen, über das sie nach ihren Vorstellungen letztwillig verfügen konnte, diesen Institutionen zugewandt. In einem solchen Fall ist eine Erbeinsetzung der so bedachten Personen anzunehmen, weil nicht unterstellt werden kann, daß der Erblasser überhaupt keinen Erben berufen wollte (vgl. BGH DNotz 1972, 500; BayObLG FamRZ 1997, 1177/1178; Palandt/Edenhofer BGB 57. Aufl. § 2087 Rn. 2).

b) Das Landgericht hat zutreffend erkannt, daß eine solche Erbeneinsetzung nur als wirksam angesehen werden kann, wenn die Person des oder der Erben in dem Testament hinreichend klar bestimmt ist. Denn wie sich aus 2065 BGB ergibt, muß sich der Erblasser selbst Über den Inhalt aller wesentlichen Teile seines letzten Willens schlüssig werden.

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Dazu gehört insbesondere die Bestimmung über die Person des Bedachten (BGHZ 15, 199). Dieser muß zwar nicht namentlich genannt sein; erforderlich ist aber, daß die Person des Bedachten anhand des Inhalts der Verfügung, gegebenenfalls unter Berücksichtigung von außerhalb der Urkunde liegenden Umständen, zuverlässig festgestellt werden kann (BGH NJW 1965, 2201). Sie muß im Testament so bestimmt sein, daß jede Willkür eines Dritten ausgeschlossen ist (BayObLG FamRZ 1991, 610/611).

c) Rechtsfehlerfrei haben das Nachlaßgericht und ihm folgend das Landgericht angenommen, daß unter der “Kirche”, der die Erblasserin mit ihrem Testament ihr Hab und Gut zufallen lassen wollte, die Beteiligte zu 1 zu verstehen ist.

aa) Zu Recht sind die Vorinstanzen von dem Grundsatz ausgegangen, daß derjenige, der etwas “der Kirche” zuwendet, in aller Regel diejenige Kirchenorganisation im Auge hat, der er selbst angehört.

Dies entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung. Benennt der Erblasser lediglich einen bestimmten Organisationstypus, so will er, sofern nicht besondere Gründe für ein andere Verständnis sprechen, regelmäßig der Organisation etwas zuwenden, der er sich durch Mitgliedschaft verbunden fühlt, deren Ziele, Repräsentanten und Mitglieder er wegen dieser Zugehörigkeit kennt und von der er deshalb annehmen kann, daß sie das Zugewendete in dem von ihm gewünschten Sinn verwenden wird.

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bb) Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanzen war die Erblasserin im Melderegister mit “evangelisch” bezeichnet. Darunter werden schon im allgemeinen Sprachgebrauch Personen verstanden, die einer der in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKiD) zusammengeschlossenen Gliedkirchen angehören. Hierzu zählen die lutherischen, reformierten und unierten Landeskirchen gleichermaßen (Art. 1 Abs. 1 der Grundordnung der evangelischen Kirchen in Deutschland vom 13.7.1948/14.6.1984, ABl EKiD S. 112).

Die in Bayern im Melderegister unter der Bezeichnung evangelisch zusammengefaßten Religionsgemeinschaften (vgl. 2 Abs. 1 Nr. 11 MRRG, Art. 3 Abs. 1 Nr. 11 MeldeG i.V.m. Anlage 2 zum Datensatz für das Meldewesen – DSMeld, Abschnitt Bayern abgedruckt bei Böttcher, Paß-, Ausweis- und Melderecht in Bayern, Abschnitt III.7) gehören zum Kreis dieser Gliedkirchen.

Zwischen ihnen besteht Kirchengemeinschaft, auch im Sinn der gegenseitigen Anerkennung der Taufe und ordnungsgemäß vollzogener Amtshandlungen, sowie Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft (Art. 1 Abs. 4, Art. 4 der Grundordnung).

Bei einem Wohnsitzwechsel aus dem Bereich einer dieser Gliedkirchen in den Bereich einer anderen Gliedkirche setzt sich die Kirchenmitgliedschaft in der Gliedkirche des neuen Wohnsitzes fort, es sei denn das zuziehende Kirchenmitglied schließt sich einer anderen evangelischen Kirche im Bereich der Gliedkirche seines neuen Wohnsitzes an und weist dies der zuständigen Stelle innerhalb eines Jahres nach Zuzug nach (§ 8 des Kirchengesetzes über die Kirchenmitgliedschaft vom 10.11.1976, ABl EKiD S. 389).

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Dementsprechend ist gemäß Art. 9 Abs. 2 der Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vom 20.11.1971 (KABl S. 287, 298) deren Mitglied jeder getaufte evangelische Christ, der im Kirchengebiet seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat und weder seine Kirchenmitgliedschaft aufgegeben hat noch Mitglied einer anderen Kirche oder Religionsgemeinschaft ist (vgl. zu allem auch Stein, Evangelisches Kirchenrecht 2. Aufl. Abschnitt 3.2.1.3; Vischer, Aufbau, Organisation und Dienstrecht der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, § 10 S. 38 ff.).

Zu den Aufgaben der Landeskirche gehört es, sich in Wort und Tat menschlicher Not vorbeugend, beratend und helfend anzunehmen (Art. 37 Abs. 2 der Kirchenverfassung). Dieser diakonische Dienst ist ein besonderer Arbeitsbereich, der unter dem umfassenden Auftrag und der Aufgabe der Gesamtkirche steht (vgl. von Ammon/Rusan, Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, 1978, Art. 36 Anm. 1 und Art. 37 Anm. 3). Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern ist, ebenso wie die einzelnen Kirchengemeinden oder der Dekanatsbezirk, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und als solche rechts- und damit erbfähig (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 1 Weimarer Verfassung, Art. 8 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 der Kirchenverfassung; vgl. auch § 1923 Abs. 1 BGB und Palandt/Edenhofer § 1923 Rn. 1).

cc) Nach diesen Grundsätzen durfte das Landgericht auf der Grundlage der Auskunft des Melderegisters annehmen, daß die Erblasserin schon früher einer Gliedkirche der Evangelischen Kirchen in Deutschland angehört hatte und deshalb jedenfalls durch ihren Umzug nach Bayern Mitglied der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern geworden war. Anhaltspunkte, die in eine andere Richtung deuten und deshalb Anlaß zu weiteren Ermittlungen hätten geben können, sind weder aus den Akten ersichtlich noch haben die Beteiligten zu 2 bis 6, die als die nächsten Familienangehörigen hierüber am ehesten hätten Bescheid wissen müssen, hierzu etwas vorgetragen. Aus den Umständen sind auch keine Anzeichen dafür erkennbar, daß die Erblasserin eine andere Religionsgemeinschaft hätte bedenken wollen als diejenige, der sie selbst angehörte.

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dd) Das Landgericht durfte ferner davon ausgehen, daß die Erblasserin die Gesamtkirche, nicht eine einzelne Kirchengemeinde bedenken wollte. Wie es an anderer Stelle rechtsfehlerfrei festgestellt hat, ist der Zweck der Zuwendung nicht ortsgebunden. Vielmehr kam es der Erblasserin ersichtlich darauf an, den Anstoß zum Aufbau eines Netzwerks von Hilfseinrichtungen für alleinstehende Menschen zu geben.

Dem kann am ehesten eine überörtliche Organisation gerecht werden. Besondere Beziehungen zur örtlichen Kirchengemeinde, die gegen eine Zuwendung an die überörtliche Kirchengemeinschaft sprechen könnten, bestanden nach den Angaben der mit der Erblasserin in den letzten Jahren bekannten Personen nicht.

d) Das Landgericht hat angenommen, die Bezeichnung “eine Stadtverwaltung” in dem Testament sei für eine Erbeinsetzung zu unbestimmt. Ob dies zutrifft, kann dahinstehen. Denn das Landgericht ist ferner davon ausgegangen, die Erblasserin habe das Wort “oder” im Sinn eines Alternativverhältnisses verwendet und damit die Auswahl zwischen den genannten Institutionen letztlich offen gelassen. Ausgehend von einem solchen Textverständnis könnte die Verfügung der Erblasserin nicht als wirksame Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1 angesehen werden.

aa) Zutreffend stellt das Landgericht zunächst fest, daß eine Konkretisierungsbefugnis durch einen Dritten (vgl. dazu Staudinger/Otte BGB 13. Bearb. Rn. 30 ff., Palandt/Edenhofer Rn. 4 f., jeweils zu § 2065) ausscheidet. Dies folgt schon daraus, daß die Erblasserin den Dritten, dem die Auswahl überlassen sein soll, nicht benannt hat (vgl. BGH NJW 1965, 2201). Auch eine Anwendung des 2073 BGB kommt, wie das Landgericht richtig erkannt hat, nicht in Betracht. Das gilt selbst dann, wenn man die Vorschrift auch bei alternativer Erbenberufung heranzieht (bejahend z.B. Staudinger/Otte § 2073 Rn. 8, Baldus JR 1969, 179; ablehnend Soergel/Loritz BGB 12. Aufl. Rn. 9, MünchKomm/Leipold BGB 3. Aufl. Rn. 10, jeweils zu § 2073). Denn auch in diesem Fall wäre Voraussetzung, daß der Kreis der alternativ bedachten Personen bestimmt ist, was das Landgericht gerade verneint.

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bb) Gleichwohl hat das Landgericht eine wirksame Erbeinsetzung bejaht, da die Bestimmung “einer Stadtverwaltung” unwirksam sei und deshalb als im Hinblick auf 2085 BGB wirksam bedachte Erbin allein “die Kirche” Übrig bleibe. Dies steht mit den unter a) dargestellten Grundsätzen zur Bestimmung des bedachten Erben durch den Erblasser nicht in Einklang. Denn die Erblasserin hätte dann den von ihr gewünschten, Erben nicht selbst eindeutig festgelegt. Sie hätte vielmehr, folgt man dem Verständnis des Landgerichts, offen gelassen, wer nach ihrem Willen letztlich Erbe sein soll.

Denn sie hätte zwar eine eindeutig bestimmbare Person genannt, gleichzeitig aber verfügt, daß ebensogut eine nicht näher bestimmbare Vielzahl anderer Personen Erben sein können. sie hätte gerade nicht die allein ihr zukommende Entscheidung darüber getroffen, wer Erbe sein soll. Die Erbeinsetzung wäre damit insgesamt unbestimmt. Über S 2085 BGB kann einer solchen Verfügung nicht zur Wirksamkeit verholfen werden.

e) Dieser Rechtsfehler führt jedoch nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Denn diese erweist sich im Ergebnis als zutreffend. Der Senat kann die letztwillige Verfügung selbst auslegen, da weitere Ermittlungen nicht erforderlich sind. Diese Auslegung ergibt, daß die Erblasserin in erster Linie “die Kirche” und nur ersatzweise ( 2096 BGB) “eine Stadtverwaltung” mit der Aufgabe betrauen wollte, den Nachlaß für den von ihr vorgesehenen Zweck (Unterstützung alleinstehender Personen) zu verwenden.

Die Benennung eines Ersatzerben konnte aus der Sicht der Erblasserin auch durchaus sinnvoll erscheinen, da sie nicht sicher sein konnte, daß die Kirche die im Testament bezeichnete Aufgabe übernehmen würde. Für eine solche gestufte Erbeinsetzung spricht, daß die Erblasserin die Kirche an erster Stelle genannt und unter Verwendung des bestimmten Artikels bezeichnet hat.

Sie hat ferner verfügt, daß die erforderlichen Maßnahmen in Verfolgung christlicher Grundsätze durchgeführt werden sollen, was bei einer kirchlichen Organisation eher gewährleistet ist als bei einer weltlichen Organisationseinheit wie einer Gemeinde. Schließlich ist die Kirche als landesweite Organisation, anders als die einzelne Gemeinde oder Stadtverwaltung, in der Lage, im Sinn des Wunsches der Erblasserin in vielen Gemeinden tätig zu werden. Sollte die Einsetzung eines Ersatzerben im Hinblick auf § 2065 Abs. 2 BGB unwirksam sein, so beeinträchtigt dies nicht die Einsetzung der Beteiligten zu 1 zur Erbin (§ 2085 BGB).

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Dieses Verständnis der letztwilligen Verfügung entspricht auch von allen in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten am ehesten den im Testament zum Ausdruck kommenden Absichten der Erblasserin. Zwar wäre grundsätzlich auch an eine Auslegung als Zweckauflage (§ 2193 BGB) zu denken (vgl. dazu BayObLG Beschluß vom 18.5.1988 BReg. 1 a Z 14/88, insoweit in Rechtspfleger 1988, 366 nicht abgedruckt).

Das hätte zur Folge, daß der Nachlaß zwar zunächst den Erben zufallen würde. Diese müßten den Nachlaßwert jedoch den von der Erblasserin benannten Organisationen zur Verfolgung der von der Erblasserin angegebenen Zwecke zur Verfügung stellen.

Im Rahmen der Erbenfeststellung müßte der Frage nachgegangen werden, ob die Erblasserin ihre Verwandten, und damit auch die Beteiligten zu 2 bis 6, ausdrücklich enterbt hat (§ 1938 BGB). Eine solche Auslegung liegt angesichts des Inhalts der dem handschriftlichen Testament beigefügten Schriftstücke nahe und dürfte im Testament auch einen hinreichenden Anhaltspunkt finden. Der Nachlaß fiele dann letztlich dem Staat zu (§ 1936 BGB).

Demgegenüber war es das Ziel der Erblasserin, den Nachlaß (hier “Hab und Gut”) unmittelbar einer der von ihr benannten Organisationen zukommen zu lassen, damit diese sich der von der Erblasser gestellten Aufgabe unterzieht. Dem entspricht das Verständnis als Erbeinsetzung.

Einer Entscheidung über die Gerichtskosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde bedarf es nicht. Von einer Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten (§ 13a Abs. 1 Satz 2 FGG) sieht der Senat ab, da sich die Beteiligte zu 1 im Verfahren der weiteren Beschwerde nicht zur Sache geäußert hat und deshalb bei ihr besondere Kosten erkennbar nicht angefallen sind (vgl. Keidel/Zimmermann FGG 13. Aufl. § 13a Rn. 16).

Eine Festsetzung des Geschäftswerts für das Verfahren der weiteren Beschwerde kommt derzeit nicht in Betracht. Ein Nachlaßverzeichnis liegt bisher nicht vor, auch im übrigen läßt sich der Umfang des Nachlasses aus den Akten nicht feststellen.

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