Bayerisches Oberstes Landesgericht BReg 1 Z 106/83

September 14, 2017

Bayerisches Oberstes Landesgericht BReg 1 Z 106/83 Vermächtnis eines Ankaufsrechts – Auslegung letztwilliger Verfügungen

  1. Ist durch Testament einem anderen das Recht eingeräumt, ein Nachlaßgrundstück zum “gängigen Tagespreis” zu “kaufen”, so ist dies nach dem allgemeinen Sprachgebrauch als Vermächtnis eines Ankaufsrechts, nicht als Erbeinsetzung anzusehen.
  2. Grundsätze zur Auslegung letztwilliger Verfügungen:

Der Richter kann bei einer ihrem Wortlaut nach eindeutigen Willenserklärung vom Wortsinn abweichen, wenn Umstände vorliegen, aus denen geschlossen werden kann, daß der Erblasser mit seinen Worten einen anderen Sinn verbunden hat, als es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht.

  1. Beim Ausschluß gesetzlicher Erben von der Erbfolge muß der Ausschließungswille unzweideutig zum Ausdruck kommen.

Tenor

Die weitere Beschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts Regensburg vom 18.November 1983 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Der Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf DM 420 000,– festgesetzt.

Gründe Bayerisches Oberstes Landesgericht BReg 1 Z 106/83

I.

  1. Am 9.5.1982 verstarb in …, ihrem letzten Wohnsitz, die verwitwete Hausfrau … geb. … (Erblasserin) im Alter von 83 Jahren. Sie hinterließ keine Kinder. Ihre gesetzlichen Erben wären ihre Halbschwestern … und … aus der zweiten Ehe ihrer Mutter sowie die Abkömmlinge ihrer vorverstorbenen Schwester … aus der ersten Ehe ihrer Mutter.

Zum Nachlaß gehört, außer Bankguthaben und Mobiliar, insbesondere das mit einem Haus bebaute Grundstück in …, ….

Die Erblasserin hat folgende von ihr eigenhändig geschriebene und unterschriebene Testamente errichtet:

a) In dem Testament vom 16.7.1969 hatte sie ihren (am 16.9.1969 verstorbenen) Ehemann als Erben eingesetzt. Für den Fall, daß dieser vor ihr sterben sollte, bestimmte sie, daß … in …, ein Neffe ihres Ehemanns “der Erbe unseres Hauses” sein, ihre Schwester … ihren Hausrat und ihre persönlichen Sachen “verwalten” und die Schwestern … und … sowie deren Kinder nichts erben sollten.

Bayerisches Oberstes Landesgericht BReg 1 Z 106/83

b) In dem Testament vom 4.10.1979 “vererbte” sie “Haus und Besitz an Hausrat” an … und verfügte weiter: “Meine anderen Verwandten erben nichts wegen Vernachlässigung und ausdrücklichen Willen meines verstorbenen Mannes wie auch dessen Neffe … in … (…) nichts erbt.”

Dieses Testament hat die Erblasserin von links oben nach rechts unten und von links unten nach rechts oben durchgestrichen und mit dem Vermerk “Ist hinfällig” versehen.

c) In dem Testament vom 15.6.1980 traf sie folgende “Bestimmungen”:

“Das Haus kann Herr …, Zahnarzt, zum gängigen Tagespreis kaufen. Die Summa muß auf einem Sammelkonto nach seinem Leistungsvermögen eingezahlt werden, wovon alle Auslagen bestritten werden müssen.”

Es folgt unter den Nrn.1, 2 und 3 eine Aufzählung dieser Auslagen, insbesondere Beerdigungs- und Graberhaltungskosten, Seelenmessen sowie Spenden von insgesamt DM 7 000,–. Weiter heißt es:

“Weitere Spenden werden noch benannt, wie meine diversen Bankkonten: …, ….

Meine beiden noch lebenden Stiefschwestern mit ihrer Nachkommenschaft wie auch die meiner verstorbenen Schwester … erben nichts, wie auch die übrigen Verwandten meines verstorbenen Mannes. Sie haben sich zu wenig oder gar nicht um mich gesorgt, außer seine Nichte Frau …, …, bekommt noch 2 Betten, Spinnrad, Möbel nach Wunsch zur Auswahl.

Weitere Bestimmungen über Hausrat und Schmuck folgen noch, zur einstweiligen provisorischen Aufstellung für den Notfall dieses.

Frau … geb. ….”

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Nach Anhörung der genannten Verwandten der Erblasserin und des Neffen ihres verstorbenen Ehemanns, …, stellte das Amtsgericht – Nachlaßgericht – Cham mit Beschluß vom 15.6.1982 gemäß § 1964 BGB fest, daß ein anderer Erbe als der “bayerische Fiskus” nicht vorhanden sei. Zur Begründung ist ausgeführt, die Erblasserin habe mit dem Testament vom 15.6.1980 alle vorangegangenen letztwilligen Verfügungen aufgehoben; dieses Testament enthalte nur Auflagen und Vermächtnisse, jedoch keine Erbeinsetzung; aus ihm gehe als Wille der Erblasserin hervor, daß offensichtlich alle Verwandten von der Erbfolge ausgeschlossen werden sollten, insbesondere auch der Neffe ihres verstorbenen Ehemanns; die Auslegung ergebe, daß alle gesetzlichen Erben von der Erbfolge ausgeschlossen sein sollten.

Am 15.9.1983 reichte Notar … im Auftrag des Beteiligten zu 1) beim Amtsgericht – Nachlaßgericht – Cham einen von ihm am 14.9.1983 – URNr. … – beurkundeten “Erbscheinsantrag” des Beteiligten zu 1) ein und bat entsprechend der erteilten Vollmacht, den Erbschein und weitere in der Angelegenheit ergehende Entscheidungen zu seinen Händen zu senden.

Unter Nr. IV der Urkunde ist beantragt, den Beschluß des Amtsgerichts Cham vom 15.6.1982 aufzuheben und einen Erbschein des Inhalts zu erteilen, daß die Erblasserin vom Beteiligten zu 1) allein beerbt worden ist. Der Beteiligte zu 1) legte dar, die Auslegung des Testaments vom 15.6.1980 ergebe, daß ihn die Erblasserin mit der Anordnung “das Haus kann Herr …, Zahnarzt, zum gängigen Tagespreis kaufen” zum Erben habe einsetzen wollen.

Mit Beschluß vom 19.9.1983 wies das Amtsgericht Cham den Antrag des Beteiligten zu 1) vom 15.9.1983 zurück.

Die dagegen von Notar … namens und im Auftrag des Beteiligten zu 1) eingelegte Beschwerde wies das Landgericht Regensburg mit Beschluß vom 18.11.1983 als unbegründet zurück.

Dagegen richtet sich die von Notar … namens und im Auftrag des Beteiligten zu 1) eingelegte weitere Beschwerde.

Der Beteiligte zu 2) tritt dem Rechtsmittel entgegen.

II.

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Die an keine Frist gebundene weitere Beschwerde ist statthaft (§ 27 FGG) und formgerecht eingelegt (§ 29 Abs.1 Sätze 1 und 3 FGG; Keidel/Kuntze/Winkler FGG 11.Aufl.RdNr.24a, Jansen FGG 2.Aufl.RdNr.14, je zu § 29 FGG und je m. Nachw.). Die Beschwerdeberechtigung des Beteiligten zu 1) folgt gemäß § 29 Abs.4, § 20 FGG schon aus der Zurückweisung seiner Erstbeschwerde (vgl. BGHZ 31, 92/95; BayObLGZ 1983, 168/170).

Das sonach zulässige Rechtsmittel kann jedoch keinen Erfolg haben.

Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt:

Aus dem gültigen Testament vom 15.6.1980 gehe nicht hervor, daß der Beteiligte zu 1) Erbe sein solle. Es sei vielmehr klar und eindeutig angeordnet, daß er das Haus “kaufen” könne; auch aus dem Gesamtzusammenhang, der bei der Auslegung nach § 133 BGB zu berücksichtigen sei, ergebe sich nichts anderes.

Für den allgemein üblichen Sinn einer Erklärung spreche zunächst eine Vermutung. Das Wort “kaufen” habe in der Umgangssprache die Bedeutung eines Geschäfts unter Lebenden, bei dem zwei Leistungen ausgetauscht würden, von denen eine in einer Geldleistung bestehe. Die völlig eindeutige Bestimmung erhalte durch den sonstigen Inhalt des Testaments keinen anderen Sinn. Aus ihm ergebe sich weder, daß “kaufen” hier ausnahmsweise etwas anderes bedeuten könnte, noch gehe eine besondere Stellung des Beteiligten zu 1) daraus hervor. Dieser solle zwar den wertvollsten Teil des Erbes, das Haus, erhalten; aber dieses solle er eben ausdrücklich “kaufen”.

Es gebe im Testament keinen Anhaltspunkt dafür, daß das Haus nach dem Willen der Erblasserin dem Beteiligten zu 1) ohne Kaufvertrag, unmittelbar, habe zufallen sollen. Zwar sollten mit dem Erlös auch sofort bei der Beerdigung anfallende Kosten beglichen werden; daß die Erblasserin an langjährige Vertragsverhandlungen dabei nicht gedacht habe, zwinge aber nicht zu der Annahme, sie sei von einem sofortigen Anfall ihres Erbes beim Beteiligten zu 1) ausgegangen. Dagegen spreche schon der umständliche Weg, den sie gewählt habe: Einzahlung auf ein Sammelkonto, und zwar nach seinem Leistungsvermögen, also möglicherweise sich ebenfalls sehr lange hinziehend, da sie ja die Entwicklung seines finanziellen Leistungsvermögens in der Zukunft nicht habe voraussehen können.

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Auch wenn sich aus dem Testament der Wille ergebe, über den ganzen Nachlaß in Einzelzuwendungen zu verfügen, folge daraus nicht, daß notwendigerweise ein Erbe habe bestimmt werden müssen. Die Verfügung über das Haus könne auch in der Anordnung liegen, der gesetzliche Erbe, gegebenenfalls der Fiskus, müsse den Verkaufserlös zu von ihr bestimmten Zwecken verwenden. Der Erlös übersteige zwar den zu diesen Zwecken benötigten Betrag. Das spiele aber schon deswegen keine Rolle, weil im Testament weitere – wenn auch aus unbekannten Gründen unterbliebene – “Spenden” angekündigt seien.

Gegen ein als Vermächtnis zugewandtes Ankaufsrecht des Beteiligten zu 1) spreche auch nicht, daß keine Vertragspartei genannt worden sei. Bei Ausschluß der gesetzlichen Erben komme der Fiskus zum Zug und stehe als Vertragspartner zur Verfügung. Die vom Beteiligten zu 1) vorgetragene Äußerung des Erblassers im Gespräch mit Frau … (die Erblasserin soll zu dieser wiederholt gesagt haben, der Staat erhalte von ihr nichts) zeige, daß ihr das Erbrecht des Fiskus bekannt gewesen sei.

Im Testament komme auch nicht zum Ausdruck, daß der Beteiligte zu 1) die wirtschaftliche Stellung der Erblasserin habe einnehmen sollen. Entgegen seiner Meinung sei ihm nämlich nicht die Abwicklung des Nachlasses und die entsprechende Verfügungsbefugnis anvertraut worden, auch nicht über das “Sammelkonto”. Aus diesem hätten zwar Spesen und Auslagen bestritten werden sollen, nirgends stehe aber, daß dieses durch den Beteiligten zu 1) habe geschehen sollen.

Auch die Anordnung, der Beteiligte zu 1) könne das Haus “zum gängigen Tagespreis” kaufen und “nach seinem Leistungsvermögen” bezahlen, spreche gegen eine Erbeinsetzung. Die Rücksicht auf sein Leistungsvermögen verlöre völlig ihren Sinn, wenn er sowieso alles erben würde.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus einem besonderen Sprachgebrauch der Erblasserin. Ein solcher sei nicht feststellbar. Er lasse sich auch nicht daraus herleiten, daß die Erblasserin in den früheren Testamenten den Begriff “erben” dann verwendet habe, wenn der Bedachte einen Vermögensgegenstand ohne Verpflichtung zu Gegenleistungen habe erhalten sollen. Denn daraus lasse sich nicht schließen, daß sie umgekehrt, wenn der Bedachte durch Auflagen oder Vermächtnisse beschwert sein sollte, nun gerade das Wort “kaufen” benutzt hätte.

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Auf die vom Beteiligten zu 1) dargelegten, im Testament nicht zum Ausdruck gekommenen etwaigen Motive dafür, einerseits dem Fiskus nichts zukommen zu lassen, andererseits dem Beteiligten zu 1) die den Verwandten entzogene Stellung einzuräumen, könne es nicht ankommen. Ebensowenig komme es auf die für diese Motive angeführten Tatsachen und angekündigten Beweismittel an. Denn selbst wenn sich ein entsprechender Wille der Erblasserin bezüglich der Stellung des Beteiligten zu 1) ermitteln ließe, wäre er nicht formgerecht erklärt worden. Das Testament sei insoweit völlig eindeutig; das von der Erblasserin angeblich Gewollte müßte wenigstens eine mögliche Bedeutung des gewählten Ausdrucks darstellen, um wirksam erklärt zu sein.

Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 FGG, § 550 ZPO) stand.

a) Die – vom Rechtsbeschwerdegericht selbständig nachzuprüfende (BayObLGZ 1983, 230/233) – Zulässigkeit der Erstbeschwerde des Beteiligten zu 1) gegen die Zurückweisung seines Erbscheinsantrags und – insoweit – gegen die Ablehnung der Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Cham vom 15.6.1982 über die Feststellung des Erbrechts des Fiskus ist vom Landgericht zutreffend bejaht worden (§ 19, 20, 21 FGG).

b) Die Annahme der Beschwerdekammer, die Erblasserin habe den Beteiligten zu 1) nicht als Erben eingesetzt, sondern ihm lediglich einen Vermögensvorteil, nämlich ein Ankaufsrecht an ihrem Grundstück “zum gängigen Tagespreis” und unter Berücksichtigung seines Leistungsvermögens als Vermächtnis zugewandt, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

aa) Gegen die – vom Rechtsbeschwerdegericht voll nachprüfbare (BayObLGZ 1983, 213/218; vgl. BGHZ 86, 41/47) – Auffassung der Beschwerdekammer, das Testament sei insoweit klar und eindeutig, als die Erblasserin angeordnet habe, der Beteiligte zu 1) könne das Haus “kaufen”, bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Nach dem allgemeinen, auch in den Kreisen der Erblasserin – sie lebte in … und war dort mit einem Spenglermeister verheiratet – üblichen Sprachgebrauch kann ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß der einfache und geläufige Begriff “kaufen” in Verbindung mit den Worten “zum gängigen Tagespreis” von der Erblasserin nicht für eine Erbeinsetzung (§ 1922, 1937 BGB), sondern für die Zuwendung eines schuldrechtlichen Anspruchs (Vermächtnisses §§ 1939, 2174 BGB) auf Abschluß eines Kaufvertrages und Übertragung des Eigentums durch Rechtsgeschäft unter Lebenden verwendet worden ist (vgl. RFH 12, 278/279).

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bb) Da gemäß 133 BGB bei der Auslegung eines Testaments der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften ist, kann der Richter allerdings auch bei einer ihrem Wortlaut nach eindeutigen Willenserklärung vom Wortsinn dann – aber auch nur dann – abweichen, wenn Umstände vorliegen, aus denen geschlossen werden kann, daß der Erblasser mit seinen Worten einen anderen Sinn verbunden hat, als es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht (BGHZ 80, 246/249 f. = NJW 1981, 1736/1737; 86, 41/46 = NJW 1983, 672/673; BayObLGZ 1979, 427/432). Die Feststellung, ob ein Erblasser sich zweifelsfrei erklärt oder ob er einem von ihm gebrauchten Begriff eine vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichende Bedeutung beigelegt hat, dient der Erforschung seines wahren Willens und stellt sich damit als Auslegung dar (§ 133 BGB; BayObLG aaO; KG FamRZ 1970, 148/149).

Bei der nach § 133 BGB vorzunehmenden Auslegung der letztwilligen Verfügung muß der gesamte Inhalt der Erklärung einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher, die außerhalb der Testamentsurkunde liegen, als Ganzes gewürdigt werden; auch die allgemeine Lebenserfahrung ist zu berücksichtigen (BGH aaO; BayObLGZ 1976, 67/75; 1982, 159/164 f.). Hierbei ist zu beachten, daß ein Wille des Erblassers, für den sich im Testament kein Anhaltspunkt findet, nicht formgültig geäußert ist (BGH NJW 1981, 1737 f.).

Die Auslegung selbst ist Sache des Tatrichters. Sie bindet das Rechtsbeschwerdegericht, sofern sie nach den Denkgesetzen und der Erfahrung möglich ist, mit den gesetzlichen Auslegungsregeln im Einklang steht, dem klaren Sinn und Wortlaut des Testaments nicht widerspricht und alle wesentlichen Umstände berücksichtigt. Nur in diesem Rahmen unterliegt sie der Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht (BGH LM § 133 (B) BGB Nr.1; BayObLGZ 1976, 67/75; 1981, 79/81 f.). Dabei müssen die Schlußfolgerungen des Tatrichters nicht zwingend sein; es genügt, wenn sie nur möglich sind, mag auch eine andere Schlußfolgerung ebenso nahe oder noch näher liegen (BayObLG aaO).

cc) Bei seiner Auslegung ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, weder aus dem Inhalt der Testamentsurkunde noch aus den sonstigen Umständen ergebe sich, daß der Beteiligte zu 1) nach dem Willen der Erblasserin Erbe sein sollte. Diese Auslegung ist möglich. Sie widerspricht nicht dem oben dargelegten klaren Sinn und Wortlaut des Testaments und sie berücksichtigt auch alle wesentlichen Umstände.

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Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde liegt kein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 12 FGG) vor, auf dem die Entscheidung des Landgerichts beruhen könnte (§ 27 Satz 1 FGG).

(1) Eine persönliche Anhörung des Beteiligten zu 1) war nicht erforderlich. Er hat sich ausführlich schriftlich geäußert und es ist nicht ersichtlich, was er bei einer mündlichen Anhörung noch für die Entscheidung Wesentliches hätte beibringen können. Die von ihm angeführten Motive für die Zuwendung an ihn, seine dargelegte Stellung als vertraute und nahestehende Person der Erblasserin, hat das Landgericht als für die Entscheidung unerheblich angesehen.

Das ist – auch wenn es insoweit auf eine formgültige Äußerung der Motive nicht ankommt – im Ergebnis nicht zu beanstanden. Denn die Berücksichtigung aller vorgebrachten Motive zwingt nicht zu dem Schluß, die Erblasserin habe den Beteiligten zu 1) – entgegen dem klaren Wortlaut des Testaments – zum Erben einsetzen wollen. Seine Stellung zur Erblasserin kann von dieser auch schon damit als genügend bedacht angesehen worden sein, daß sie ihm, ohne ihn als Erben einzusetzen, einen wirtschaftlichen Vorteil, ein Ankaufsrecht an dem Anwesen unter Berücksichtigung seines Leistungsvermögens zugewandt hat.

(2) Auch der Behauptung des Beteiligten zu 1), die Erblasserin habe zu Frau … auf deren Hinweise, sie solle ein Testament errichten, da sonst der Staat alles erhalte, mehrmals gesagt, der Staat erhalte von ihr nichts, brauchte die Beschwerdekammer nicht von Amts wegen (§ 12 FGG) weiter nachzugehen, da davon ein für die Entscheidung erhebliches Ergebnis nicht zu erwarten war.

Wird nämlich als richtig unterstellt, daß der Fiskus nach dem gegenüber Frau … geäußerten Willen der Erblasserin nichts erhalten sollte, so mußten die Tatrichter daraus nicht schließen, sie habe – entgegen dem klaren Wortlaut des Testaments – den Beteiligten zu 1) als Erben einsetzen wollen. Denn in diesem Falle bestünden auch noch folgende Möglichkeiten: Entweder könnte die Erblasserin – wofür der Inhalt des Testaments vom 15.6.1980 Anhaltspunkte bietet – die nicht mehr verwirklichte Absicht gehabt haben, noch weitere letztwillige Verfügungen zu errichten und darin das gesetzliche Erbrecht des Fiskus (§ 1936 BGB) durch eine positive Erbeinsetzung zu verhindern.

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Oder sie könnte, weil sie in ihrem Testament ausdrücklich und insoweit unzweideutig nur ihre drei Schwestern und deren Abkömmlinge, somit die Verwandten zweiter Ordnung (§ 1925 Abs.3 Satz 1 BGB), gemäß § 1938 BGB von der Erbfolge ausgeschlossen hatte, die Vorstellung gehabt haben, daß vor dem Fiskus jedenfalls die – vom Vorwurf bewußter Vernachlässigung nicht betroffenen (vgl. Senatsbeschluß vom 6.5.1976 – BReg. 1 Z 25/76 S.14) – möglicherweise zahlreichen unbekannten gesetzlichen Erben der dritten und ferneren Ordnungen (§§ 1926 bis 1930 BGB) zum Zuge kämen und bis deren Ermittlung ein Nachlaßpfleger den Nachlaß verwalten und das von ihr erwähnte “Sammelkonto” führen werde. Beim Ausschluß gesetzlicher Erben muß nämlich der Ausschließungswille unzweideutig zum Ausdruck kommen (vgl. BayObLGZ 1965, 166/174; KG OLGE 42, 128 f.).

Die von der Erblasserin ausgeschlossenen “übrigen Verwandten” ihres verstorbenen Ehemannes sind keine Verwandten, sondern Verschwägerte (§ 1590 BGB), und daher keine gesetzlichen Erben; diese Verfügung ist insofern von Bedeutung, als dadurch die Zuwendung des Hauses an den “Neffen” ihres Ehemannes im Testament vom 16.7.1969, das mit dem Widerruf des Testaments vom 4.10.1979 (§ 2255 BGB) im Zweifel wieder wirksam geworden war (§ 2258 Abs.2 BGB), aufgehoben worden ist (§ 2258 Abs.1 BGB).

Selbst wenn danach die vom Beteiligten zu 1) vorgebrachte Äußerung der Zeugin … (einer Vertrauten der Erblasserin, der diese ihren Schlüsselbund überlassen hatte), die zudem am 17.5.1982 (Bl.10 d.A.) vor dem Rechtspfleger erklärt hatte, ihr sei bekannt, daß die Erblasserin einen “Teil” ihrer Verwandten von der Erbfolge ausgeschlossen habe, Anlaß dazu geben sollte, den ohne Ermittlung und Anhörung der betroffenen Erben dritter Ordnung ergangenen Beschluß des Amtsgerichts Cham vom 15.6.1982 und die darin ohne Berücksichtigung der angeführten Äußerungen der Zeugin … vorgenommene Auslegung zu überprüfen (§ 12 FGG; Art.37 Abs.1 Satz 1, Abs.2 AGGVG), so muß deswegen der angefochtene Beschluß des Landgerichts vom 18.11.1983 nicht aufgehoben werden.

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Denn der Beteiligte zu 1) verfolgte mit seiner Beschwerde das Ziel der Erteilung des von ihm beantragten Erbscheins (und nur im Hinblick darauf auch die Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts vom 15.6.1982), nicht aber das Ziel festzustellen, daß nicht der Fiskus, sondern Dritte, insbesondere die gesetzlichen Erben dritter Ordnung, Erben seien.

Im Ergebnis hätte daher die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluß des Amtsgerichts vom 19.9.1983 auch dann nicht den damit erstrebenden Erfolg haben können, wenn weitere Ermittlungen, insbesondere die Vernehmung der Zeugin …, dazu geführt hätten, daß nicht der Fiskus, sondern ein Dritter Erbe ist. Denn auch in diesem Falle wäre der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) zu Recht zurückgewiesen worden.

Die weitere Beschwerde ist daher unbegründet und zurückzuweisen.

Eine Kostenerstattungsanordnung nach § 13a Abs.1 Satz 2 FGG ist nicht geboten, weil nicht anzunehmen ist, daß dem Fiskus über den bloßen Verwaltungsaufwand hinaus besondere Kosten erwachsen sind (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler § 13a FGG RdNrn.16, 17).

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 131 Abs.1, § 30 Abs.1, § 31 Abs.1 Satz 1 KostO.

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Schlagworte

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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