Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 100/98

September 16, 2017

Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 100/98 – Testamentsauslegung und Abgrenzung von Erbeinsetzung und Vermächtnis; Bedeutung der Bezeichnung “erben”; Form des eigenhändigen Testaments

Zur Testamentsauslegung (Abgrenzung von Erbeinsetzung und Vermächtnis), wenn die verwitwete, kinderlose Erblasserin einerseits ihren Haus- und Grundbesitz, Hauptbestandteil und wesentlicher Wert des Nachlasses, unter Auflagen, darunter Übernahme der Grabpflege, einem Ehepaar (als Dank für Hilfe bei Krankheit etc ), zugewendet, andererseits ihr sonstiges Vermögen (Geldbeträge, Schmuck, Antiquitäten, Mobiliar, Teppiche etc ) auf mehrere Personen, darunter einige als gesetzliche Erben in Betracht kommende Verwandte, verteilt hat und beim Erbfall restliches Geldvermögen vorhanden ist.

Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 100/98

  1. Zur Bedeutung der Verwendung der Bezeichnung “erben” in einem solchen Fall.
  2. Für die formgerechte Errichtung eines eigenhändigen Testaments ist es ohne Bedeutung, wenn zwischen der Niederschrift einzelner Teile des Testaments ein längerer Zeitraum liegt.
  3. Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 7 und 8 werden die Beschlüsse des Landgerichts Ansbach, vom 12. Juni 1998 sowie des Amtsgerichts Ansbach vom 12. Januar 1998 und 19. November 1997 aufgehoben.
  4. Das Amtsgericht – Nachlaßgericht – Ansbach wird angewiesen, entsprechend dem Antrag der Beteiligten zu 7 und 8 einen gemeinschaftlichen Erbschein zu erteilen, der die Beteiligten zu 7 und 8 als Miterben je zu 1/2 der Erblasserin ausweist.

III. Der Geschäftswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 182.000 DM festgesetzt.

Gründe Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 100/98 

I.

Die im Alter von 76 Jahren verstorbene Erblasserin war verwitwet und kinderlos. Sie hatte eine Halbschwester, die vor ihr verstorben ist. Deren Abkömmlinge sind die Beteiligten zu 1, 2, 4 und 5. Der Nachlaß besteht im wesentlichen aus dem mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebauten Grundstück, Antiquitäten, Teppichen, Schmuck und Bankguthaben.

Die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann hatten sich in einem privatschriftlichen gemeinschaftlichen Testament vom 10.11.1954 gegenseitig als Alleinerben eingesetzt.

Unter dem 10.8.1987, noch zu Lebzeiten ihres Ehemannes, begann die Erblasserin mit der Errichtung eines eigenhändig geschriebenen Testaments, das sie nach seinem Tod (29.9.1989) auf demselben Blatt fortsetzte und – ohne Hinzufügung eines neuen Datums – unterzeichnete.

Der erste Teil des Testaments lautet wie folgt:

Nach meinem Tode soll mein geliebter Mann … der Alleinerbe sein … Wir hatten besprochen, wie es nach meinem (unseren) Tod einmal weitergehen soll u. haben beschlossen, daß das Haus … an Herrn und Frau K… (Beteiligte zu 7 und 8) vererbt werden soll. Sie möchten das Haus in meinem Sinn in Ordnung halten u. es weiter ausbauen. II Stock Heizung etc. Familie K. übernimmt auch mal unsere Grabpflege … Familie K. stand uns sehr nahe (Hilfe bei Krankheiten unsoweiter. Ich glaube, daß sie uns auch im Alter beistehen und nicht im Stich lassen. Herr K. weiß in meinen Papieren und Akten Bescheid. Er soll alles regeln und die Beerdigung ausrichten.

Der zweite Teil:

Ich mußte mein Schreiben unterbrechen wegen des Todes meines lieben Mannes …. Herr K. war mir auch da eine große Hilfe und hat alles für mich erledigt. Herr K. hat eine Bankvollmacht von mir, er soll darüber verfügen. Geld liegt auf der Sparkasse und Volksbank, auch Festgeld.

Als Erben setze ich ein: … (Beteiligter zu 2, Sohn einer 1996 vorverstorbenen Nichte) soll DM 30.000,–… (Beteiligter zu 6) DM 10.000,– … insofern das Geld nicht für Krankheitskosten und Pflegegeld verwendet werden muß. … (Ehemann der 1996 vorverstorbenen Nichte) bekommt meines lieben Vaters goldene Sprungdeckeluhr. Er soll sie in Ehren halten. Meinen Schmuck sollen sich … (Beteiligte zu 1), … (1996 vorverstorbene Nichte) und … (Beteiligte zu 3) teilen sowie die echten Perserteppiche. Der alte “Keshan” vorne am Wohnzimmerfenster bekommt … (Beteiligte zu 9). … (Beteiligte zu 10). … die mir eine treue Hilfe (30 Jahre) im Geschäft war, soll DM 1.000,–*§

ebenso … (Beteiligte zu 11) DM 500.- u. die Bettwäsche, die sie aussuchen soll, haben. Die Antiquitäten soll Herr K. (Beteiligter zu 7) an alle Genannten gerecht verteilen. Sollten Möbel und Polster verkauft werden, den Erlös an den Tierschutzverein (Beteiligter zu 12) geben (das Haus darf nicht verkauft werden). Die genannten Erben sollen nicht streiten … Das Biedermeier-Zimmer, vollständig, soll … (Beteiligte zu 13, minderjährige Tochter der Beteiligten zu 7 und 8) bekommen. Herr K. (Beteiligter zu 7) soll die Überwachung der Wohnung u. des Hauses übernehmen u. die Miete zum Erhalt des Hauses verwenden.

Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 100/98

Krankenhausrechnungen und Rezepte an die Kasse senden …

Die Vereine abmelden, wie besprochen. Das ist mein letzter Wille.

Der Wert des Anwesens betrug am 10.8.1987 342.000 DM, am 30.11.1989 3.245.000 DM und am 1.4.1997 390.000 DM. Der Wert des übrigen Nachlasses (Bankguthaben und Antiquitäten) belief sich am 10.8.1987 auf rund 77.000 DM, am 30.11.1989 auf rund 102.000 DM und am 1.4.1997 auf rund 182.000 DM.

Die Beteiligten zu 7 und 8 haben einen gemeinschaftlichen Erbschein beantragt, der sie als Miterben je zur Hälfte ausweisen soll. Die Beteiligten zu 1 bis 4 sind dem Antrag entgegengetreten. Der Beteiligte zu 5 hat einen Erbschein nicht näher bezeichneten Inhalts beantragt.

Das Nachlaßgericht hat zunächst mit Vorbescheid vom 19.11.1997 einen Erbschein angekündigt, wonach gesetzliche Erbfolge eingetreten und der Beteiligte zu 7 zum Testamentsvollstrecker ernannt worden sei. Mit Beschluß vom 12.1.1998 hat es den Vorbescheid aufgehoben und die Erbscheinsanträge der Beteiligten zu 5, 7 und 8 zurückgewiesen. Die dagegen eingelegten Beschwerden der Beteiligten zu 7 und 8 hat das Landgericht mit Beschluß vom 12.6.1998 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richten sich die weiteren Beschwerden der Beteiligten zu 7 und 8. Die Beteiligten 1 bis 6 sind den Rechtsmitteln entgegengetreten.

II.

Die weiteren Beschwerden sind zulässig und begründet. Sie führen zur Aufhebung der Entscheidungen des Landgerichts vom 12.6.1998, des Amtsgerichts vom 12.1.1998 und vom 19.11.1997 sowie zur Anweisung an das Amtsgericht, den von den Beteiligten zu 7 und 8 am 7.5.1997 beantragten Erbschein zu erteilen.

Das Landgericht hat zunächst auf die Gründe der Entscheidung des Nachlaßgerichts vom 19.11.1997 Bezug genommen. Letzteres hat ausgeführt, die testamentarische Zuwendung des Hausgrundstücks könne hier nicht als Erbeinsetzung der Beteiligten zu 7 und 8 ausgelegt werden, da diese außer dem Hausgrundstück nichts hätten erhalten sollen. Die unter Hinweis auf die Bankvollmacht von der Erblasserin getroffene Bestimmung, der Beteiligte zu 7 “soll darüber verfügen”, bedeute nicht, daß ihm diejenigen Geldbeträge hätten zustehen sollen, die nicht für Beerdigung, Vermächtnisse etc. benötigt würden.

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Der Auftrag zur Regelung der Bestattung, der Grabpflege sowie des übrigen Nachlasses sei hier kein Indiz für eine Erbeinsetzung, sondern eine Rechtfertigung dafür, daß den Beteiligten zu 7 und 8 – obwohl sie nicht zur Familie gehören – mit dem Hausgrundstück ein Vermögenswert zugewendet worden sei, der im Zeitpunkt der Testamentserrichtung, Ende 1989, immerhin 77 % des Wertes des Vermögens der Erblasserin ausgemacht habe.

Das Landgericht hat ergänzend ausgeführt, das Testament könne nicht dahin ausgelegt werden, die Erblasserin habe abschließend über ihr gesamtes Vermögen in der Weise verfügt, daß die Beteiligten zu 7 und 8 neben dem Hausgrundstück auch das weitere, nach Erfüllung der Vermächtnisse übrigbleibende Vermögen hätten erhalten sollen.

Hiergegen spreche der Umstand, daß die Erblasserin insgesamt nur über 41.500 DM Geldvermächtnisse ausgesetzt habe, obwohl sich das Geldvermögen zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Testaments bereits auf rund 72.000 DM belaufen habe. Aus dem Umstand, daß sie davon abgesehen habe, hinsichtlich des nicht verteilten Geldvermögens eine testamentarische Regelung zu treffen, könne nicht geschlossen werden, daß sie dieses den Beteiligten zu 7 und 8 hätte zuwenden wollen; vielmehr trete insofern gesetzliche Erbfolge ein.

Dem stehe nicht entgegen, daß bei gesetzlicher Erbfolge auch Personen erben würden, denen die Erblasserin nichts zugewandt habe sowie solche, denen sie bereits ein (Voraus)Vermächtnis ausgesetzt habe. Im übrigen ergäben sich aus dem Testament keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die Erblasserin einige ihrer gesetzlichen Erben hätte ausschließen oder enterben wollen.

Dies könne insbesondere nicht aus der den Vermächtnissen vorangestellten Überschrift: “Als Erben setze ich ein” geschlossen werden, weil die Erblasserin nur über einzelne Gegenstände verfügt habe, obwohl ihr bekannt gewesen sei, daß weiteres Geldvermögen vorhanden sei.

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Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO).

a.) Zutreffend ist es von einem formwirksamen Testament (§ 2247 Abs. 1 BGB) der Erblasserin ausgegangen. Für die formgerechte Errichtung eines eigenhändigen Testaments ist es ohne Bedeutung, wenn – wie hier – zwischen der Niederschrift einzelner Teile des Testaments ein längerer Zeitraum liegt (vgl. BGH NJW 1974, 1083/1084; BayObLGZ 1984, 194/196 m.w.N.). Die Erblasserin konnte auch das benutzen, was sie als früheres Testament – mag es für sich wirksam gewesen sein oder nicht – niedergeschrieben hatte, um es durch eigenhändige Ergänzung und Unterschrift so zu vollenden, daß es schließlich ihr gewolltes Testament darstellt.

Insoweit ist entscheidend, daß im Zeitpunkt des Todes eine nach dem Willen der Erblasserin die gesamten Erklärungen deckende Unterschrift vorhanden war. Ob und welche Rechte bestimmten Personen am Nachlaß zustehen, ist dann aufgrund des Inhalts sämtlicher letztwilliger Verfügungen zu beurteilen.

Aus der fehlenden Datumsangabe im zweiten Teil ergeben sich wegen § 2247 Abs. 2 und 5 BGB im vorliegenden Fall keine Bedenken gegen die Gültigkeit des Testaments, zumal die Erblasserin im zweiten Teil mit den Worten “Ich mußte mein Schreiben unterbrechen …” ausdrücklich an den ersten Teil anknüpft.

b) Das Landgericht hat auch zutreffend erkannt, daß der Inhalt des Testaments rechtlich nicht eindeutig ist und deshalb der Auslegung bedarf; denn die Erblasserin hat einerseits nur über genau bezeichnete einzelne Vermögensgegenstände (Hausgrundstück, Schmuck, Antiquitäten, Teppiche, Geldsummen) zugunsten verschiedener Personen bestimmte Verfügungen getroffen, andererseits aber jeweils den Ausdruck erben verwendet.

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Die bloße Bezeichnung der testamentarisch Bedachten als Erben – nach der Wortwahl der Erblasserin soll der Ehemann “Alleinerbe” sein, das Hausgrundstück soll an die Beteiligten zu 7 und 8 “vererbt” werden, die übrigen Bedachten sind als “Erben” eingesetzt – ist nicht entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob eine Erbeinsetzung ( 1937 BGB) oder Vermächtnisse (§ 1939 BGB) vorliegen. Ob ein Bedachter Erbe oder Vermächtnisnehmer ist, beurteilt sich vielmehr nach dem auszulegenden sachlichen Inhalt der letztwilligen Verfügung. Nicht eindeutig ist auch die Bezugnahme auf die Verfügungsbefugnis des Beteiligten zu 7 im Zusammenhang mit der Bankvollmacht.

c) Bei der Auslegung des Testaments (§ 133, 2084 BGB; zum Prüfungsmaßstab vgl. BayObLGZ 1997, 59/65, 69 f. m.w.N) hat das Beschwerdegericht wesentliche Umstände, die sich aus Wortlaut und Sinn des Testaments ergeben, außer acht gelassen.

aa) Wie die Tatsacheninstanzen übereinstimmend festgestellt haben, hat die Erblasserin den Beteiligten zu 7 und 8 mit dem Hausgrundstück einen Vermögenswert zugewendet, der im Zeitpunkt der Testamentserrichtung den wesentlichen Teil, nämlich 77 % des Wertes des Vermögens der Erblasserin, ausmachte.

Hiervon ausgehend hat das Landgericht im rechtlichen Ansatz zutreffend dargelegt, daß ein Erblasser mit der Zuwendung bestimmter Gegenstände oder bestimmter Gruppen von Gegenständen im Zweifel (§ 2087 Abs. 2 BGB) nur über diese konkreten Gegenstände verfügen und Vermächtnisse (§§ 2147, 2174 BGB), also schuldrechtliche Ansprüche gegen den Nachlaß begründen will. Regelmäßig wird er einem auf diese Weise Bedachten nicht sein Vermögen als Ganzes (§§ 1922, 1937 BGB) oder zu einer bestimmten Quote zukommen lassen wollen.

bb) Das Landgericht hat jedoch den vorrangigen Erblasserwillen nicht hinreichend beachtet.

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(1) § 2087 Abs. 2 BGB enthält nur eine Auslegungsregel, keine gesetzliche Vermutung (OLG Köln FamRZ 1993, 735). Die Vorschrift greift daher nicht ein, wenn ein anderer Wille des Erblassers festgestellt werden kann (BayObLG FamRZ 1999, 59/60 m.w.N.). Hat ein Erblasser praktisch sein gesamtes Vermögen, etwa unterteilt in Immobiliar- und sonstiges Vermögen, an die bedachten Personen aufgeteilt, so ist – entgegen dem Wortlaut des § 2087 Abs. 2 BGB – regelmäßig anzunehmen, daß der Testierende eine Erbeinsetzung bezweckt hat; denn es kann nicht unterstellt werden, daß er überhaupt keinen Erben berufen wollte (vgl. BGH DNotZ 1972, 500; BayObLG FamRZ 1992, 862/864 und FamRZ 1995, 246/248 = NJW-RR 1995, 1096/1097).

(2) Eine solche testamentarische Aufteilung des Nachlasses kann als Erbeinsetzung angesehen werden, wobei sich die jeweilige Erbquote aus dem Verhältnis des Wertes des zugewendeten Vermögensteils zum Wert des Gesamtnachlasses ergibt (vgl. BGH MDR 1997, 260/261 und FamRZ 1990, 396/398; BayObLG FamRZ 1992, 862/864). Allerdings müssen nicht alle Bedachten auch zu Erben berufen sein.

Vielmehr kann die Auslegung ergeben, daß nur eine oder einzelne der bedachten Personen als Erben eingesetzt (§§ 1937, 1922 BGB), den anderen nur Vermächtnisse (§§ 1939, 2174 BGB) zugewendet sind (vgl. BGH aaO.; BayObLG FamRZ 1999, 59/60 m.w.N.; Palandt/Edenhofer BGB 58. Aufl. 9 2087 Rn. 6). Naheliegend ist es, als Alleinerben die Person oder Personen anzusehen, denen wertmäßig der Hauptnachlaßgegenstand zugewiesen ist und als Vermächtnisnehmer die Personen, die mit Gegenständen von verhältnismäßig geringerem Wert bedacht sind (vgl. BayObLG FamRZ 1995, 246/248 und 1999, 59/60).

(3) Insbesondere wenn ein Hausgrundstück seinem Wert nach den wesentlichen Teil des Vermögens bildet, liegt es nahe, in seiner Zuwendung an eine bestimmte Person oder bestimmte Personen deren Einsetzung als Alleinerben zu sehen (vgl. BayObLG FamRZ 1986, 728/731; FamRZ 1995, 246/248 und 835; FamRZ 1997, 641/642 und 1177/1178; OLG Köln FamRZ 1991, 1481/1482; OLG Düsseldorf ZEV 1995, 410/411; Leipold JZ 1998, 660/668; 1996, 287/291).

Demgegenüber ist die Zuwendung einer Geldsumme in diesen Fällen in der Regel Vermächtnis (§ 2174 BGB; BayObLG FamRZ 1997, 1177/1178; Palandt/Edenhofer § 2087 Rn. 6). Maßgebend sind die Vorstellungen, die der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung über die voraussichtliche Zusammensetzung seines Nachlasses und den Wert der in diesen fallenden Gegenstände hat (BayObLG FamRZ 1995, 246/248).

cc) Gemäß diesen anerkannten Auslegungsgrundsätzen hält die Testamentsauslegung des Landgerichts der rechtlichen Nachprüfung nicht stand; es hat wesentliche Umstände außer acht gelassen.

(1) Es durfte nicht allein darauf abstellen, daß die Erblasserin den Beteiligten zu 7 und 8 nur einen Vermögensgegenstand zugewendet hat, zumal dieser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung (Ende 1989) den wesentlichen Teil des Nachlaßwertes (nämlich 77 %) ausmachte und darüber hinaus das gesamte Immobiliarvermögen der Erblasserin darstellte.

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(2) Außerdem fehlt eine Einbeziehung der wesentlichen Tatsache, daß die Erblasserin die Zuwendung ihres Hausgrundstücks an die Beteiligten zu 7 und 8 mit verschiedenen, darunter auch langfristig die Verwaltung des Hauses betreffenden konkreten Anordnungen verbunden hat. Denn wesentliche Indizien dafür, daß eine Person als Erbe eingesetzt ist, ergeben sich daraus, wer nach dem Willen des Erblassers den Nachlaß zu regeln, die Nachlaßverbindlichkeiten zu tilgen sowie für Beerdigung und Grabpflege zu sorgen hat (vgl. BayObLG FamRZ 1986, 604/605).

Hier sollen die Beteiligten zu 7 und 8 das Haus im Sinn der Erblasserin in Ordnung halten, es weiter ausbauen und Einnahmen aus Vermietung zum Erhalt verwenden. Zudem obliegt nur ihnen – dagegen keinem der anderen Bedachten – die Sorge für Beerdigung und Grabpflege. Im übrigen soll der Beteiligte zu 7 die Antiquitäten an alle Genannten “gerecht verteilen”.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts sind hier auch hinreichende Anhaltspunkte dafür gegeben, daß die in dieser Weise bedachten Beteiligten zu 7 und 8 nach der Vorstellung der testierenden Erblasserin deren wirtschaftliche Stellung fortsetzen sollen (vgl. BayObLG FamRZ 1995, 1302; BayObLGZ 1965, 457/460; OLG Köln FamRZ 1.989, 549/550).

(3) Das außer dem Hausgrundstück vorhandene Vermögen hat die Erblasserin durch Zuwendung einzelner Gegenstände (bestimmte Geldbeträge, Antiquitäten, Schmuck, einzelne Teppiche, sogar Bettwäsche, bis hin zur Verteilung eines möglichen Erlöses aus etwaigem Verkauf von Mobiliar) auf verschiedene Personen, darunter einige ihrer gesetzlichen Erben, verteilt.

Konkrete Anhaltspunkte für einen Willen der Erblasserin dahin, die in dieser Weise Bedachten an ihrem Vermögen als Ganzes zu einer bestimmten Quote zu beteiligen (vgl. Palandt/Edenhofer § 2087 Rn. 6 m.w.N.), sind nicht erkennbar. Anders als bei den Beteiligten zu 7 und 8 erschöpfen sich die Zuwendungen an die übrigen Beteiligten darin, daß jeder Einzelne von ihnen nur den für ihn persönlich bestimmten Gegenstand oder die bestimmte Geldsumme erhalten soll.

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dd) Soweit das Landgericht für verbleibendes Geldvermögen gesetzliche Erbfolge annimmt, hat es die dem Wortlaut des Testaments zu entnehmenden Vorstellungen der Erblasserin nicht hinreichend beachtet. Es hat die Tatsache nicht berücksichtigt, daß die Erblasserin die Geldzuwendung von 10.000 DM an den Beteiligten zu 6 unter einen Vorbehalt gestellt hat: Er soll diesen Betrag nur erhalten, sofern “das Geld nicht für Krankheitskosten und Pflegegeld verwendet werden muß”. Diese Einschränkung deutet darauf hin, daß die Erblasserin davon ausging, in der Zeit zwischen Testamentserrichtung und Erbfall könnten Krankheits- und Pflegekosten anfallen, die das nicht verteilte restliche Geldvermögen möglicherweise aufzehren.

Auch für die Frage, wem verbleibendes Geldvermögen zufallen soll, ist von den Vorstellungen auszugehen, die die Erblasserin im Zeitpunkt der Testamentserrichtung hatte (vgl. BayObLG FamRZ 1995, 246/248 m.w.N.). Ist aber nach der maßgebenden Vorstellung der Erblasserin eine der Geldzuwendungen davon abhängig, daß beim Erbfall überhaupt noch ein Restbetrag in dieser Höhe vorhanden ist, so spricht dies für den Willen, ihr gesamtes Vermögen zu verteilen. Bei dieser Sachlage ist kein Raum für die Annahme einer gesetzlichen Erbfolge.

Auf diesen Rechtsfehlern beruht die angefochtene Entscheidung. Sie erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 563 ZPO), und ist deshalb aufzuheben. Auch die Entscheidungen des Nachlaßgerichts, die auf den gleichen Rechtsfehlern beruhen, sind aufzuheben.

Der Senat kann die Auslegung vornehmen, da weitere Ermittlungen (§ 12 FGG) nicht geboten sind. Er legt nach den oben (Nr. 2 cc) dargelegten Grundsätzen das unter dem 10.8.1987 begonnene und nach dem 29.9.1989 unterzeichnete Testament dahin aus, daß die Erblasserin die mit dem Hausgrundstück bedachten Beteiligten zu 7 und 8 als Miterben je zu 1/2 (§§ 1937, 2032 BGB) eingesetzt hat. Die zeitlich nacheinander getroffenen, inhaltlich eine Einheit bildenden Verfügungen enthalten keinen Widerruf (§ 2254 BGB) der vor dem Tod des Ehemanns zugunsten der Beteiligten zu 7 und 8 getroffenen Verfügung.

a) Der Senat hat nach Wortlaut und Sinnzusammenhang des Testaments keinen Zweifel daran, daß die Erblasserin mit ihren detaillierten Einzelverfügungen praktisch ihr gesamtes Vermögen an die im Testament Bedachten verteilen wollte, daß die Beteiligten zu 7 und 8 den Hauptbestandteil und ganz überwiegenden Wert ihres Vermögens erhalten und als Miterben je zu 1/2 ihre wirtschaftliche Stellung fortsetzen sollen.

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Für diese Auslegung spricht der Umstand, daß die Beteiligten zu 7 und 8 das Haus im Sinn der Erblasserin in Ordnung halten, weiter ausbauen, für Begräbnis und Grabpflege Sorge tragen sollen. Auch die Nebenumstände sprechen für eine Erbeinsetzung der Beteiligten zu 7 und 8.

Die Erblasserin hat an erster, Stelle in ihrem Testament ihren vorverstorbenen Ehemann als Alleinerben eingesetzt. In diesem Zusammenhang erwähnt sie ausdrücklich das Einverständnis ihres Ehemann damit, daß die Beteiligten zu 7 und 8 nach dem Tode des zuletzt verstorbenen Ehegatten das Hausgrundstück erhalten sollen, wobei dieses ersichtlich von beiden Ehegatten als das wesentliche Vermögen angesehen wurde.

Es liegt zwar keine formwirksame das gemeinschaftliche Testament vom 16.11.1954 ergänzende Schlußerbeneinsetzung (§ 2267, 2269 Abs. 1 BGB) vor, doch kann der erkennbare Wille der Ehegatten bei der Auslegung als Nebenumstand herangezogen werden. Unabhängig davon ist die Einsetzung der Beteiligten zu 7 und 8 als Ersatzerben (§ 2096 BGB) naheliegend.

b) Die außer den Beteiligten zu 7 und 8 im Testament als “Erben” bezeichneten Personen sind nach dem Willen der Erblasserin nicht als Miterben am Gesamtnachlaß beteiligt, sondern Vermächtnisnehmer; denn sie erhalten nur bestimmte im Testament ihnen jeweils persönlich zugeteilte Gegenstände. Keines dieser Vermächtnisse ist im Verhältnis zum Gesamtnachlaß als wesentlicher Teil hiervon anzusehen.

c) Zwar hat die Erblasserin in ihrem Testament nicht ausdrücklich geregelt, wer etwaiges nach Abzug der Geldvermächtnisse verbleibendes Geldvermögen erhalten soll, da sie davon ausging, vorhandene Bankguthaben würden möglicherweise durch Krankheits- und Pflegekosten aufgezehrt. Diese Lücke läßt sich durch Auslegung (vgl. BayObLGZ 1997, 197/201 m.w.N.; Palandt/Edenhofer § 2084 Rn. 8) schließen.

Das Testament enthält eine Grundlage insoweit, als die Erblasserin eine dem Beteiligten zu 7 erteilte Bankvollmacht sowie vorhandene Bankguthaben erwähnt und in diesem Zusammenhang bestimmt hat: “er soll darüber verfügen”.

Angesichts des großen Vertrauens zu dem Beteiligten zu 7, das die Erblasserin hervorhebt, liegt die Annahme nahe, daß dieser nicht nur im Rahmen der Bankvollmacht, sondern auch über etwaige nach Erfüllung von Vermächtnissen und Nachlaßverbindlichkeiten verbleibende Bankguthaben solle verfügen können.

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d) Eine Testamentsvollstreckung ist im Testament weder ausdrücklich angeordnet, noch dem Gesamtinhalt der Anordnungen zu entnehmen.

Der Senat hält angesichts des ungenauen, in verschiedener Hinsicht unklaren und auslegungsbedürftigen Testamentsinhalts die Anordnung einer Kostenerstattung (§ 13a Abs. 1 Satz 1 FGG) nicht für angemessen.

Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wurde gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1, § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1 KostO festgesetzt.

Maßgebend ist die Bedeutung des Rechtsmittels für die Rechtsbeschwerdeführer, insbesondere das damit verfolgte wirtschaftliche Interesse. Dieses ist im vorliegenden Fall darauf gerichtet, den von den Beteiligten zu 7 und 8 beantragten Erbschein als Miterben zu erhalten.

Auf der Grundlage des vom Landgericht festgestellten Nachlaßwertes von rund 572.000 DM schätzt der Senat das Rechtsmittelinteresse der Beteiligten zu 7 und 8 auf rund 182.000 DM.

Hierbei wurde der Grundbesitz im Wert von 390.000 DM nicht einbezogen, da die Rechtsbeschwerdeführer auch auf der Grundlage der angefochtenen Entscheidungen den Grundbesitz jedenfalls als Vermächtnis erhalten hätten.

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