Bayerisches Oberstes Landesgericht, 1Z BR 47/01
Erbscheinseinziehungsverfahren: Verletzung der Amtsermittlungs- und der Hinweispflicht des Gerichts; Folgen der Verletzung der Mitwirkungspflicht der Beteiligten
Tenor
III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf DM 35.915,– festgesetzt.
Gründe
I.
Die 1998 im Alter von 78 Jahren verstorbene Erblasserin war verwitwet. Die Beteiligten zu 1 und 2 sind ihre beiden Töchter.
Es liegt ein von der Erblasserin eigenhändig geschriebenes und unterschriebenes Schriftstück vor, das die Überschrift „Testament“ trägt und folgenden Wortlaut hat:
Ich verfüge hiermit, Meine Tochter … (Beteiligte zu 1) soll Allein-Erbe sein. Sollte meiner Tochter den Erbfall nicht erleben, so soll meine Enkelin Erbin werden. Dies ist mein überlegter Wille.
Auf der Grundlage dieses Testaments beantragte die Beteiligte zu 1 die Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin ausweisen sollte. Der Erbschein wurde am 27.3.1998 vom Nachlaßgericht antragsgemäß erteilt.
Mit Schreiben vom 13.3.2000 an das Nachlaßgericht erklärte die Beteiligte zu 2 die Anfechtung des Testaments vom 16.10.1991. Aus ihr erst jetzt zugänglich gewordenen Unterlagen der Erblasserin gehe hervor, daß das Testament vom 16.10.1991 keine Gültigkeit mehr habe und die Erblasserin ein neues Testament gemacht habe.
Mit Schreiben vom 1.6.2000 legte der Ehemann der Beteiligten zu 2 die Ablichtung eines mit Schreibmaschine verfaßten, auf den 24.9.1992 datierten Schriftstücks vor, das folgenden Wortlaut hat:
Ich (Erblasserin) habe gegen meine Tochter … (Beteiligte zu 2) aus dem Rechtsstreit Aktenzeichen C …/91 und C …/92 keine Forderungen mehr. Die Vollstreckung wird zurückgenommen. Wir sind zu einer Einigung gekommen.
Das von … (Beteiligte zu 1) verfate und von mir abgeshriebene Testament ist hiermit ungültig. Es tritt die Gesetzliche Erbfolge ein. Es liegt kein Grund mehr vor meine Tochter … (Beteiligte zu 2) vom Erbe auszuschliesen .
Das maschinengeschriebene Schriftstück ist von der Erblasserin und der Beteiligten zu 2 unterschrieben.
Hierzu trug die Beteiligte zu 1 vor, das Schriftstück vom 24.9.1992 ende tatsächlich mit dem Satz „Wir sind zu einer Einigung gekommen“. Der folgende Absatz sei nachträglich in die Urkunde eingefügt worden. Zur Glaubhaftmachung legte die Beteiligte zu 1 eine Ablichtung des Schriftstücks vom 24.9.1992 vor, das dem in einem Räumungsrechtsstreit zwischen der Erblasserin und der Beteiligten zu 2 bevollmächtigten Rechtsanwalt am 24.9.1992 zugegangen ist und den zweiten Absatz nach der vom Ehemann der Beteiligten zu 2 vorgelegten Version des Schriftstücks nicht enthält.
Mit Schriftsatz vom 30.4.2001 trug die Beteiligte zu 2 unter Vorlage einer Ablichtung eines auf den 24.10.1992 datierten Schriftstücks der Erblasserin vor, das Testament der Erblasserin vom 16.10.1991 sei widerrufen worden. Das der Ablichtung zufolge eigenhändig geschriebene und unterschriebene Schriftstück hat folgenden Wortlaut:
Das Testament vom 16.10.1991 ist widerrufen.
Hierzu trug die Beteiligte zu 1 vor, aus dem Schriftbild des Schriftstücks vom 24.10.1992 ergebe sich, daß dieses nicht von der Erblasserin stamme. Das angeblich von der Erblasserin stammende Widerrufstestament vom 24.10.1992 sei eine Fälschung, die erst vorgelegt worden sei, nachdem der Ehemann der Beteiligten zu 2 am 21.3.2001 in einem Zivilrechtsstreit zwischen den Beteiligten im Hinblick auf das Schriftstück vom 24.9.1992 auf die Formerfordernisse eines eigenhändigen Testaments hingewiesen worden sei.
Das Nachlaßgericht hat mit Beschluß vom 23.5.2001 die Anfechtung vom 13.3.2000 zurückgewiesen. Hiergegen hat die Beteiligte zu 2 Beschwerde eingelegt. Im Beschwerdeverfahren hat das Landgericht der Beteiligten zu 2 aufgegeben, das Original des Schriftstücks vom 24.10.1992 vorzulegen. Hierzu trugen die Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 2 mit Schriftsatz vom 30.7.2001 vor, das Original befinde sich derzeit bei einem privat beauftragten Schriftsachverständigen. Sobald das Original wieder vorliege, seien sie beauftragt, das Schriftstück dem Gericht zuzuleiten.
Mit Beschluß vom 6.8.2001 wies das Landgericht die Beschwerde zurück. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2, mit der die Verletzung der Amtsermittlungspflicht des Gerichts gerügt wird.
Das Rechtsbeschwerdegericht hat der Beteiligten zu 2 unter Hinweis auf den Beibringungsgrundsatz aufgegeben, die Originalurkunde des Schriftstückes vom 24.10.1992 bis spätestens 12.11.2001 vorzulegen. Dem ist die Beteiligte zu 2 nicht nachgekommen.
II.
Das mit dem Ziel der Einziehung des Erbscheins vom 27.3.1998 zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Errichtung und der Inhalt eines Testaments können nicht nur mit der Originalurkunde, sondern auch durch die Vorlage einer Kopie dargetan werden (vgl. BayObLGZ 1993, 240/241 f. m.w.N.). Auszugehen ist jedoch von dem in § 2355, § 2356 Abs. 1 Satz 1 BGB niedergelegten Grundsatz, daß zum Nachweis eines testamentarischen Erbrechts grundsätzlich die Urschrift der Urkunde vorzulegen ist, auf die das Erbrecht gestützt wird (vgl. Palandt/Edenhofer aaO § 2356 Rn. 9). Ist diese Urkunde nicht auffindbar, kommt der allgemein anerkannte Grundsatz zum Tragen, daß es die Wirksamkeit eines Testaments nicht berührt, wenn die Urkunde ohne Willen und Zutun des Erblassers vernichtet worden, verlorengegangen oder sonst nicht auffindbar ist (BayObLG FamRZ 1986, 1043/1044 und FamRZ 1990, 1162/1163). In einem solchen Fall können Errichtung und Inhalt des Testaments mit allen zulässigen Beweismitteln bewiesen werden (BayObLG aaO).
Hier liegt allerdings kein Fall der Unauffindbarkeit der Originalurkunde vor. Vielmehr verhält es sich so, daß die Beteiligte zu 2 zunächst lediglich eine Kopie der Urkunde vorgelegt und nach einer Aufforderung des Gerichts, das Original dem Gericht zuzuleiten, erklärt hat, das Original sei im Besitz eines privat beauftragten Schriftsachverständigen und werde nach Rückkunft von dort vorgelegt.
Indem das Landgericht nach dieser Äußerung der Beteiligten zu 2 ohne weiteres seiner Entscheidung die Ungültigkeit des in Kopie vorgelegten Schriftstücks vom 24.10.1992 zugrunde legte, hat es den Grundsatz der Amtsermittlung nicht hinreichend beachtet. Dieser verpflichtet das Gericht, seine Ermittlungen erst abzuschließen, wenn von einer weiteren Beweisaufnahme ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht mehr zu erwarten ist (BayObLG NJW-RR 1997, 7/8; Palandt/Edenhofer aaO § 2358 Rn. 1 m.w.N.). Dieser Amtsermittlungsgrundsatz enthebt die Beteiligten, insbesondere wenn sie die Einziehung eines Erbscheins begehren, nicht der Pflicht, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken (Beibringungsgrundsatz; vgl. BayObLG FamRZ 1998, 1242/1243). Versäumt ein Beteiligter die ihm obliegende Verfahrensförderung, kann dies grundsätzlich dazu führen, daß eine weitere Ermittlungspflicht des Gerichts entfällt und die Rüge einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht nicht durchgreift (vgl. BayObLG FamRZ 1993, 366/367; OLG Köln FamRZ 1994, 1135/1137).
Im hier zu entscheidenden Fall hat die Beteiligte zu 2 allerdings nicht in einer Weise gegen ihre Pflicht zur Verfahrensförderung verstoßen, die es dem Landgericht gestattet hätte, ohne weiteres von einer näheren Sachaufklärung absehen zu können. Die Beteiligte zu 2 hat Auskunft über den Verbleib der Originalurkunde gegeben und deren Vorlage für einen späteren Zeitpunkt angekündigt. Bei dieser Sachlage war es mit dem Grundsatz der Amtsermittlung unvereinbar, ohne vorherigen Hinweis an die Beteiligte zu 2 die Zurückweisung der Beschwerde darauf zu stützen, daß nur eine Kopie der Urkunde vorgelegt worden war. Nachdem die Beteiligte zu 2 für das Gericht erkennbar davon ausging, die Originalurkunde zu einem späteren Zeitpunkt noch vorlegen zu können, hätte das Gericht die Beteiligte zu 2 zunächst auf den Beibringungsgrundsatz und ihre Mitwirkungspflicht hinweisen und eine Frist zur Vorlage der Originalurkunde setzen müssen. Erst dann, wenn trotz entsprechender Hinweise die Originalurkunde nicht innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist von der Beteiligten zu 2 vorgelegt worden wäre, hätte das Gericht hieraus rechtliche Folgerungen ziehen können.
Entsprechend war die von einem anderen Reinnachlaßwert ausgehende Geschäftswertfestsetzung des Landgerichts für das Beschwerdeverfahren abzuändern (§ 31 Abs. 1 Satz 2 KostO).