Befangenheit – Wer entscheidet über die Ablehnung eines Einzelrichters?
Vorinstanzen:
LG Landau, Entscheidung vom 26.09.2005 – 2 O 182/04 –
OLG Zweibrücken, Entscheidung vom 18.11.2005 – 3 W 220/05 –
Zusammenfassung des Beschlusses des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 06.04.2006 (V ZB 194/05)
Der BGH-Beschluss vom 6. April 2006 behandelt ein zivilrechtliches Verfahren, das sich hauptsächlich um die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit dreht.
Ein Kläger verlangte von einer Beklagten Schadensersatz für Feuchtigkeitsschäden an seinem Haus, die angeblich durch Bauarbeiten am Nachbarhaus der Beklagten entstanden waren. Im Laufe des Verfahrens vor dem Landgericht (LG) gab es Beweisaufnahmen durch einen gerichtlichen Sachverständigen. Die Beklagte legte Einwände gegen das Gutachten vor und beantragte mehrmals die Verlegung eines Termins zur Anhörung des Sachverständigen, weil ihr eigener Sachverständiger verhindert war.
Nachdem das Gericht den vierten Antrag der Beklagten auf Terminverlegung ablehnte, stellte die Beklagte ein Ablehnungsgesuch gegen den zuständigen Einzelrichter. Sie begründete dies mit zwei Punkten:
Der Richter habe in einem anderen Zivilrechtsstreit Äußerungen über strafgerichtliche Verurteilungen der Beklagten gemacht.
Der Richter habe ihren Antrag auf Terminsverlegung abgelehnt.
Das Landgericht erklärte das Ablehnungsgesuch für unbegründet.
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten hob das Oberlandesgericht (OLG) die Entscheidung des LG auf. Es entschied jedoch nicht selbst über die Befangenheit, sondern verwies die Sache zurück an das Landgericht. Das OLG war der Ansicht, dass aufgrund einer Gesetzesreform nicht die Kammer (mehrere Richter), sondern der Vertreter des abgelehnten Einzelrichters über das Gesuch hätte entscheiden müssen. Da es dies nicht tat, sei die Entscheidung fehlerhaft gewesen.
Gegen die Rückverweisung des OLG legte die Beklagte Rechtsbeschwerde beim BGH ein. Sie wollte, dass der BGH das Ablehnungsgesuch direkt für begründet erklärt.
Der BGH musste zwei Hauptfragen klären:
Der BGH widersprach der Auffassung des OLG:
Auch nach der Zivilprozessreform bleibt die Kammer (also die Richter des Landgerichts ohne den abgelehnten Richter) nach §45 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) für die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch gegen einen Einzelrichter zuständig.
Der BGH argumentierte, dass der Wortlaut des §45 Abs. 1 ZPO („ohne dessen Mitwirkung“) nur Sinn ergibt, wenn das „Gericht“ die Kammer meint. Ein Einzelrichter „wirkt“ nicht an einer Entscheidung mit, er trifft sie. Die gesetzliche Regelung soll klarstellen, dass es sich um eine Entscheidung des Kollegialgerichts (der Kammer) handelt. Eine Zuständigkeit des bloßen Vertreters des Einzelrichters wurde vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt.
Die Entscheidung des OLG, die Sache wegen angeblich falscher Zuständigkeit zurückzuverweisen, war rechtsfehlerhaft und wurde vom BGH aufgehoben.
Der BGH konnte selbst in der Sache entscheiden. Er bejahte die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde, wies sie aber im Ergebnis zurück, weil das Ablehnungsgesuch unbegründet war.
Der Richter hatte in einem anderen Verfahren auf strafrechtliche Verurteilungen der Beklagten hingewiesen.
Dies begründet keine Besorgnis der Befangenheit (§42 Abs. 2 ZPO).
Die Äußerung des Richters war eine Reaktion auf das Vorbringen der Beklagten selbst, die im Vorprozess ihre Unbestraftheit behauptete, um ihre Glaubwürdigkeit zu unterstreichen. Rechtskräftige Verurteilungen, die der Richter aus seiner dienstlichen Tätigkeit kennt, sind gerichtsbekannte Tatsachen. Der Richter ist sogar verpflichtet, solche relevanten Tatsachen, die er bei der Würdigung der Wahrheitspflicht der Parteien berücksichtigt, im Prozess mitzuteilen.
Der BGH räumte zwar ein, dass der Richter die Beklagte fälschlicherweise als „vorbestraft“ bezeichnet hatte, obwohl sie sich nach dem Bundeszentralregistergesetz (BRZG) wegen der geringen Strafhöhe als unbestraft bezeichnen durfte. Dieser formale Fehler reichte aber im Gesamtzusammenhang nicht aus, um eine unsachliche Voreingenommenheit zu belegen.
Der Richter hatte den vierten Antrag auf Terminsverlegung abgelehnt.
Die Ablehnung begründet keine Besorgnis der Befangenheit.
Eine Terminsverlegung muss stets mit erheblichen Gründen begründet werden. Der Richter hatte zuvor bereits dreimal dem Verlegungsantrag stattgegeben. Da das Gericht auch das Interesse des Gegners an einer zügigen Beendigung des Rechtsstreits berücksichtigen muss, konnte der Richter den vierten Antrag, der auf die Verhinderung eines Gehilfen der Beklagten gestützt war, ablehnen, ohne das Grundrecht der Beklagten auf rechtliches Gehör zu verletzen oder eine Bevorzugung des Klägers anzunehmen.
Der BGH hat im Ergebnis die Beschwerde der Beklagten zurückgewiesen und damit die ursprüngliche Entscheidung des Landgerichts, das Ablehnungsgesuch als unbegründet zu verwerfen, bestätigt.
Über die Ablehnung eines Einzelrichters am Landgericht entscheidet nach wie vor die Kammer (Kollegialgericht), nicht der Vertreter des Richters.
Ein Richter ist nicht befangen, wenn er im Prozess auf gerichtsbekannte, rechtskräftige strafrechtliche Verurteilungen einer Partei hinweist, sofern dies zur Würdigung der Wahrheitspflicht geschieht und sachlich begründet ist.
Die Ablehnung eines vierten Terminsverlegungsantrags begründet in der Regel keine Befangenheit, da auch das Beschleunigungsinteresse der Gegenseite zu berücksichtigen ist.
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