Bereinigung eines „Geburtsfehlers“ in der Gemeinschaftsordnung unter WEG

April 16, 2025

Bereinigung eines „Geburtsfehlers“ in der Gemeinschaftsordnung unter WEG

RA und Notar Krau

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 22. März 2019 (V ZR 298/16) befasst sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Änderung der Gemeinschaftsordnung einer

Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) verlangt werden kann, insbesondere wenn die ursprüngliche Regelung von Anfang an fehlerhaft oder unbillig war (sogenannter „Geburtsfehler“).

Im konkreten Fall klagte der Eigentümer eines Teileigentums (einer Garage) auf Zustimmung zur Berichtigung des Teilungsvertrags.

Dieser räumte ihm ein Sondernutzungsrecht an Räumlichkeiten ein, die tatsächlich 18 Wohnungen beherbergten.

Die Teilungserklärung bezeichnete diese Räume jedoch als „Abstell-, Wasch- und Trockenräume“.

Frühere Gerichtsverfahren hatten bereits festgestellt, dass eine Nutzung zu Wohnzwecken unzulässig ist.

Der Kläger begehrte nun eine Änderung der Teilungserklärung dahingehend, dass ihm die Nutzung der „Räume“ zustehen solle.

Das Amtsgericht wies die Klage als unzulässig, das Landgericht als unbegründet ab. Die Revision des Klägers zum BGH hatte teilweise Erfolg.

Der BGH stellte zunächst fest, dass die Auslegung der Teilungserklärung Vorrang vor einer Anpassung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 3 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) hat.

Die Auslegung des Grundbuchs und der Teilungserklärung erfolgt nach Wortlaut und Sinn, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter ergibt.

Umstände außerhalb der Eintragung sind nur zu berücksichtigen, wenn sie offenkundig sind. Im vorliegenden Fall sah der BGH die Bezeichnung „Abstell-, Wasch- und Trockenräume“ in Verbindung mit

der Zuweisung des größten Miteigentumsanteils an der Liegenschaft an die Garage als Zweckbestimmung an, die eine Wohnnutzung nicht zulässt.

Bereinigung eines „Geburtsfehlers“ in der Gemeinschaftsordnung unter WEG

Die Behauptung des Klägers, die Wohnungen hätten bereits vor der Teilung existiert, war für die Auslegung nicht relevant, da dies nicht offenkundig war.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts hielt der BGH einen Anspruch auf Änderung der Zweckbestimmung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG für grundsätzlich möglich.

Diese Vorschrift erlaubt die Anpassung einer Vereinbarung, wenn ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände unbillig erscheint.

Der BGH betonte, dass ein solcher Anpassungsanspruch nicht voraussetzt, dass sich tatsächliche oder rechtliche Umstände nachträglich geändert haben.

Er kann auch bei anfänglich fehlerhaften oder unbilligen Regelungen („Geburtsfehler“) bestehen.

Der Gesetzgeber habe mit § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG bewusst die Hürden für eine Anpassung gesenkt, indem er „schwerwiegende Gründe“

anstelle von „außergewöhnlichen Umständen“ verlangt. Ziel sei es, die Behebung solcher anfänglichen Fehler zu ermöglichen.

Schwerwiegende Gründe können vorliegen, wenn die Zweckbestimmung eine nach der baulichen Ausstattung mögliche Nutzung ausschließt

und objektive Umstände dafür sprechen, dass diese Nutzung dem betroffenen Wohnungseigentümer ermöglicht werden sollte.

Voraussetzung ist, dass die bauliche Ausstattung entweder bei der Aufteilung vorhanden war oder zeitnah erfolgte und von den anderen Eigentümern hingenommen wurde.

Eine spätere eigenmächtige Änderung des Gemeinschaftseigentums begründet in der Regel keine schwerwiegenden Gründe.

Zudem muss die gewünschte Nutzung nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften zulässig sein.

Schließlich muss die bestehende Zweckbestimmung zu einer erheblichen wirtschaftlichen Beeinträchtigung führen, die durch die Änderung behoben werden kann.

Im vorliegenden Fall sah der BGH Anhaltspunkte für schwerwiegende Gründe.

Die 18 Wohnungen existierten nach dem Vortrag des Klägers bereits vor der Teilung und wurden vermietet.

Der hohe Miteigentumsanteil des Teileigentums deutete darauf hin, dass dessen wirtschaftlicher Wert von Anfang an in der Wohnnutzung lag.

Die Bezeichnung als Abstell-, Wasch- und Trockenräume erschien unangemessen.

Auch die notarielle Urkunde von 2004, die die Abgeschlossenheit der Apartments bestätigte, deutete auf die Zulässigkeit der Wohnnutzung hin.

Bereinigung eines „Geburtsfehlers“ in der Gemeinschaftsordnung unter WEG

Die bestehende Regelung führte zu einer erheblichen Einschränkung der wirtschaftlichen Verwertung.

Bei der Interessenabwägung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

Das bloße Vertrauen der anderen Eigentümer auf die Einhaltung der Gemeinschaftsordnung reichte nicht aus, um die Unbilligkeit zu verneinen.

Entscheidend waren konkrete Interessen, die über das formale Interesse an der Einhaltung hinausgingen.

Im vorliegenden Fall wog der Umstand schwer, dass die Wohnungen seit über 30 Jahren ohne Beanstandungen genutzt wurden,

was darauf hindeutete, dass keine nennenswerten Beeinträchtigungen für die anderen Eigentümer bestanden.

Der BGH hob das Urteil des Landgerichts auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück.

Das Landgericht müsse nun die erforderlichen Feststellungen zum Bestehen eines Änderungsanspruchs treffen.

Der Antrag des Klägers auf bloße „Berichtigung“ der Bezeichnung in „Räume“ reichte nach Ansicht des BGH nicht aus, da dies eine Wohnnutzung nicht ermöglichen würde.

Eine Zweckbestimmung erfordere eine präzisere Bezeichnung als „Raum“.

Das Rechtsschutzziel des Klägers war jedoch die Nutzung zu Wohnzwecken.

Zusammenfassend stellt das Urteil klar, dass ein Anspruch auf Änderung der Gemeinschaftsordnung auch bei anfänglichen Fehlern bestehen kann,

wenn schwerwiegende Gründe vorliegen und die Interessen der anderen Wohnungseigentümer nicht überwiegen.

Die bloße Berufung auf die bestehende Ordnung reicht nicht aus, wenn diese von Anfang an unbillig war.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

Grunderwerbsteuer beim Erwerb von Gesellschaftsanteilen durch einen Treuhänder

Grunderwerbsteuer beim Erwerb von Gesellschaftsanteilen durch einen Treuhänder

April 25, 2025
Grunderwerbsteuer beim Erwerb von Gesellschaftsanteilen durch einen Treuhänder, Aufnahme des Insolvenzverfahrens durch den InsolvenzverwalterB…
Kompetenz des Alleingesellschafters zur Bestellung eines Geschäftsführers bei Weigerung des zuständigen Aufsichtsrats

Kompetenz des Alleingesellschafters zur Bestellung eines Geschäftsführers bei Weigerung des zuständigen Aufsichtsrats

April 25, 2025
Kompetenz des Alleingesellschafters zur Bestellung eines Geschäftsführers bei Weigerung des zuständigen AufsichtsratsOLG Celle, Beschluss vom …
Stimmrecht der Miteigentümer grundsätzlich nach dem Kopfprinzip

Stimmrecht der Miteigentümer grundsätzlich nach dem Kopfprinzip

April 25, 2025
Stimmrecht der Miteigentümer grundsätzlich nach dem KopfprinzipLG Gera, Urteil vom 5. November 2024 – 5 S 129/24&nbsp…