Berücksichtigung eines Erbverzichts bei der Berechnung einer Pflichtteilsquote

November 3, 2025

Berücksichtigung eines Erbverzichts bei der Berechnung einer Pflichtteilsquote

Gerne fasse ich dieses Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 17. Oktober 2007 (Aktenzeichen: IV ZR 266/06) für Sie als Laien zusammen. Es geht dabei um ein Erbrechtsthema, genauer gesagt um den Pflichtteilsanspruch und einen Erbverzicht.


Worum ging es in diesem Fall?

Der Kern des Streits drehte sich darum, wie hoch der Pflichtteil ist, der dem Kläger (einem Sohn des Erblassers) zusteht.

  1. Die Situation: Der Erblasser (Vater) hatte zwei Söhne (Kläger und dessen Bruder) und hatte später einen Cousin (Beklagter) testamentarisch als Alleinerben eingesetzt.
  2. Der Verzicht: Einer der Söhne (der Bruder des Klägers) hatte Jahre zuvor notariell einen „Erbschafts- und Pflichtteilsverzichtsvertrag“ mit dem Vater geschlossen.
  3. Die Frage: Wirkt sich dieser Verzicht des Bruders so aus, dass er bei der Berechnung des Pflichtteils des Klägers nicht mehr mitzählt?
  • Wenn der Bruder nicht mitzählt, stünde dem Kläger (als einzigem Berechtigten) die Hälfte des gesetzlichen Erbteils zu, was 50% des Nachlasses als Pflichtteil ergäbe.
  • Wenn der Bruder doch mitzählt, würde der Pflichtteil des Klägers nur 25% betragen, weil dann beide Söhne als Pflichtteilsberechtigte gezählt würden.

Der Beklagte (der Alleinerbe) argumentierte, dass der Verzicht des Bruders unwirksam sei und dieser deshalb bei der Berechnung des Pflichtteils mitgezählt werden müsse. Das würde seinen Erbteil erhöhen. Der Kläger forderte 50%.


Die Entscheidung des BGH und die Begründung

Der BGH hat entschieden, dass das vorherige Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf aufgehoben und der Fall zur neuen Verhandlung zurückverwiesen werden muss. Das bedeutet, der BGH hat noch nicht abschließend über die Höhe des Pflichtteils entschieden, sondern das OLG muss den Fall neu prüfen.

Berücksichtigung eines Erbverzichts bei der Berechnung einer Pflichtteilsquote

1. Verfahrensfehler des OLG (Der Hauptgrund für die Aufhebung)

Der wichtigste Punkt für den BGH war ein Verfahrensfehler des OLG:

  • Der Kläger hatte behauptet, der Bruder habe seinen möglichen Pflichtteilsanspruch an ihn abgetreten (verkauft/übertragen).
  • Das OLG hatte diesen Vortrag des Klägers übersehen oder nicht beachtet. Der BGH stellte klar, dass der Kläger offensichtlich das wirtschaftliche Gesamtergebnis von 50% erreichen wollte – entweder über seinen eigenen Anteil oder auch über den abgetretenen Anteil des Bruders.
  • Das OLG hätte den Kläger auf die Diskrepanz zwischen seinem Antrag (der nur seinen eigenen Anteil umfasste) und seinem tatsächlichen Ziel (der gesamte Anteil von 50%) hinweisen müssen (Hinweispflicht nach § 139 ZPO). Dieser Fehler allein führt zur Aufhebung des Urteils.

2. Hinweise zur Auslegung des Erbverzichts (§ 2350 BGB)

Der BGH gab dem OLG wichtige Anweisungen für die neue Verhandlung zur Frage, ob der Verzicht des Bruders wirksam ist:

  • Vorrang des Parteiwillens: Das OLG hatte vorschnell eine gesetzliche Auslegungsregel (§ 2350 BGB) angewendet, die besagt, dass ein Erbverzicht im Zweifel auch unwirksam ist, wenn der Verzichtende nicht Erbe geworden wäre. Das ist falsch! Zuerst muss immer versucht werden, den tatsächlichen Willen beider Vertragsparteien (Vater und Bruder) bei Abschluss des Verzichtsvertrages zu ermitteln.
  • Beweisaufnahme notwendig: Das OLG muss die vom Kläger angebotenen Beweise zum Willen der Vertragsparteien anhören. Der Kläger trägt die Beweislast dafür, dass ein Verzicht nur unter der Bedingung der Erbeinsetzung gewollt war.
  • Isolierter Pflichtteilsverzicht: Sollte der Erbverzicht unwirksam sein, muss das OLG prüfen, ob die Parteien nicht zumindest einen isolierten Pflichtteilsverzicht gewollt hätten (§ 2346 Abs. 2 BGB). Das heißt, hätten sie den Pflichtteil auch dann ausgeschlossen, wenn der Bruder später trotzdem nicht Erbe geworden wäre?

Kurz gesagt: Das Gericht muss sich intensiv mit dem Willen der Vertragsparteien von 1987 auseinandersetzen. Die gesetzlichen Vermutungen und Auslegungsregeln (§ 2350 BGB) kommen erst zum Tragen, wenn dieser Wille nicht mehr festgestellt werden kann.


Die wichtigsten Punkte

  • Erbverzicht und Pflichtteil: Ein Verzicht kann sich auf das Erbe oder nur auf den Pflichtteil beziehen. Die genaue Formulierung im Vertrag und der Wille der Parteien sind entscheidend.
  • Auslegungsregel (§ 2350 BGB): Diese Vorschrift besagt, dass bei einem Erbverzicht der Verzicht im Zweifel auch dann als unwirksam gilt, wenn der Verzichtende gar nicht Erbe geworden wäre (um zu verhindern, dass Dritte ungewollt begünstigt werden). Aber: Bevor diese Regel angewendet wird, muss das Gericht versuchen, den tatsächlichen Willen der Vertragspartner herauszufinden!
  • Beweislast: Wer sich auf einen unbedingten Verzicht berufen will, muss dies beweisen. Im konkreten Fall lag die Beweislast beim Kläger, da er die Auslegungsregel (§ 2350 BGB) entkräften wollte.
  • Gerichtlicher Hinweis: Anwälte können Fehler machen. Das Gericht hat die Pflicht, einen Anwalt auf offensichtliche Fehler im Klageantrag hinzuweisen, wenn dadurch das eigentliche Ziel der Klage gefährdet wird (Hinweispflicht).

Das Urteil zeigt, wie kompliziert die Auslegung von Erbverträgen sein kann und dass der ursprüngliche Wille der Vertragsparteien im Erbrecht absoluten Vorrang hat.

RA und Notar Krau

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