Berücksichtigung eines weggefallenen Eigenbedarfsgrunds nach Wohnraumkündigung

Oktober 10, 2025

Berücksichtigung eines weggefallenen Eigenbedarfsgrunds nach Wohnraumkündigung

BGH, Urteil vom 09.11.2005 – VIII ZR 339/04

Vorinstanzen:

AG Hamburg, Entscheidung vom 15.07.2004 -40a C 610/03

LG Hamburg, Entscheidung vom 02.12.2004 -334 S 50/04

Dieses Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) klärt eine wichtige Frage im Mietrecht: Wie lange muss ein Vermieter den Mieter über den Wegfall des Eigenbedarfs informieren, nachdem er eine Wohnung gekündigt hat?

Der Fall: Kündigung, Todesfall und Schadensersatz

Der Sachverhalt

Die Klägerin (Mieterin) hatte vom Beklagten (Vermieter) eine Wohnung gemietet. Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs; er benötige die Wohnung für seine Schwiegermutter.

Die Mieterin widersprach der Kündigung. Ein Gerichtsverfahren folgte, in dem die Kündigung als wirksam bestätigt wurde. Die Mieterin wurde zur Räumung verurteilt und erhielt eine Räumungsfrist bis zum 31. Juli 2001.

  1. Juni 2001: Die Schwiegermutter des Vermieters stirbt. Der Eigenbedarf fällt weg.

Ende September 2001: Die Mieterin räumt die Wohnung und zieht um.

Danach: Die Mieterin erfährt erst vom Tod der Schwiegermutter.

Die Mieterin klagte daraufhin auf Schadensersatz (Umzugskosten, höhere Miete), weil der Vermieter ihr den Wegfall des Kündigungsgrundes nicht mitgeteilt hatte. Sie argumentierte, der Vermieter sei verpflichtet gewesen, sie bis zum Auszug zu informieren.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen

Das erstinstanzliche Amtsgericht wies die Klage ab.

Das Landgericht (Berufungsgericht) gab der Mieterin jedoch recht. Es sah in der unterlassenen Mitteilung eine Verletzung der sogenannten nachvertraglichen Treuepflicht. Das Landgericht meinte, diese Pflicht ende erst mit dem tatsächlichen Auszug des Mieters aus der Wohnung.

Der Vermieter legte gegen dieses Urteil Revision beim Bundesgerichtshof ein.

Die Entscheidung des BGH: Pflichtende mit Kündigungsfrist

Der Bundesgerichtshof (BGH) hob das Urteil des Landgerichts auf und wies die Klage der Mieterin ab. Der Vermieter musste die Mieterin nicht über den Tod seiner Schwiegermutter und den dadurch bedingten Wegfall des Eigenbedarfs informieren.

Die Begründung des BGH

Der BGH argumentiert, dass die Pflichten des Vermieters zeitlich begrenzt sein müssen, um Rechtssicherheit zu gewährleisten und das Eigentumsrecht des Vermieters zu schützen.

Ende des Mietverhältnisses ist entscheidend

Der zentrale Punkt ist, dass eine wirksame Kündigung das Mietverhältnis zu dem gesetzlich vorgesehenen Zeitpunkt beendet: mit dem Ablauf der Kündigungsfrist (§ 573c Abs. 1 BGB).

Berücksichtigung eines weggefallenen Eigenbedarfsgrunds nach Wohnraumkündigung

Mit dem Ende des Mietverhältnisses erlischt das Besitzrecht der Mieterin an der Wohnung. Die Mieterin ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr „vertragsgetreu“, wenn sie die Wohnung nicht zurückgibt.

Das Eigentumsrecht des Vermieters (Art. 14 GG) erlangt ab diesem Zeitpunkt wieder seinen vollen Umfang.

Das Ende der Mitteilungspflicht

Die Pflicht des Vermieters, den Mieter über den Wegfall des Eigenbedarfs zu informieren, endet nach Ansicht des BGH ebenfalls mit dem Ablauf der Kündigungsfrist.

Der Schutz des Mieters ist durch das bestehende Rechtssystem ausreichend gewährleistet:

durch die gesetzlichen Kündigungsfristen,

durch die Sozialklausel (§§ 574 ff. BGB), die dem Mieter in Härtefällen eine Fortsetzung des Mietverhältnisses ermöglicht, und

durch die gerichtliche Räumungsfrist (§ 721 ZPO), die den Umzug erleichtert.

Eine Ausweitung der Mitteilungspflicht über die Kündigungsfrist hinaus (also bis zur Rechtskraft des Räumungsurteils oder sogar bis zum tatsächlichen Auszug, wie es das Landgericht sah) lehnte der BGH ab.

Schutz des Vermieters und Rechtssicherheit

Würde die Pflicht erst mit dem Auszug des Mieters enden, hätte dies laut BGH erhebliche Nachteile:

Gefahr der Verzögerung:

Mieter könnten dazu verleitet werden, die Räumung unnötig lange zu verzögern, in der Hoffnung, dass in der Zwischenzeit der Eigenbedarf wegfällt.

Rechtsunsicherheit:

Die Rechte des Vermieters wären für einen unbestimmten Zeitraum eingeschränkt, da er seine Planungen nicht sicher auf die Rückgabe der Wohnung stützen könnte. Dies würde dem Gebot der Rechtssicherheit widersprechen.

Ergebnis im konkreten Fall

Da der Eigenbedarf (Tod der Schwiegermutter) erst nach Ablauf der Kündigungsfrist entfiel, musste der Vermieter die Mieterin nicht mehr darüber informieren. Es liegt keine Pflichtverletzung vor, und damit besteht auch kein Anspruch der Mieterin auf Schadensersatz.

Fazit

Der BGH stellte klar, dass im Konflikt zwischen dem Bestandsinteresse des Mieters und dem Eigentumsrecht des Vermieters die Gültigkeit der Kündigung und der Ablauf der Kündigungsfrist der entscheidende Stichtag sind. Fällt der Eigenbedarf danach weg, muss der Vermieter dies dem Mieter nicht mehr mitteilen.

Merke:

Der Mieter muss seine Verteidigung gegen die Kündigung (z. B. Härtefalleinwand) rechtzeitig und vor Ende des Mietverhältnisses vorbringen. Nach dem rechtlichen Ende des Mietverhältnisses greift der Schutz vor nachträglich wegfallendem Eigenbedarf grundsätzlich nicht mehr.

RA und Notar Krau

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