Berücksichtigung von Einwänden bei der Erteilung eines ENZ

April 23, 2025

Berücksichtigung von Einwänden bei der Erteilung eines ENZ

RA und Notar Krau

Das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken hat mit Beschluss vom 29. Januar 2025 (Az. 5 W 50/24) eine wichtige Entscheidung zur Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ENZ)

trotz erhobener Einwände getroffen.

Der Fall betraf die Erbschaft nach einem in Frankreich verstorbenen Erblasser (E), der seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte.

Aus seiner geschiedenen Ehe stammten vier Kinder (B 1-3 und ein weiteres Kind).

Eine letztwillige Verfügung lag nicht vor, zum Nachlass gehörte unter anderem Grundbesitz in Frankreich.

Zwei der Kinder (B 1 und 2) beantragten beim Nachlassgericht (AG) die Erteilung eines ENZ, das alle vier Kinder als Erben zu gleichen Teilen (je 1/4) ausweisen sollte.

Ein weiteres Kind (B 3) erhob jedoch Einwände und behauptete, eine nicht näher bezeichnete Frau habe telefonisch erwähnt, ein weiteres Kind des Erblassers zu sein.

Das AG lehnte daraufhin die Erteilung des ENZ ab, da es das Verfahren als reines Konsensverfahren ansah und B 3 sich gegen die Erteilung des beantragten Zeugnisses wandte.

Gegen diese Entscheidung legten B 1 und 2 Beschwerde beim OLG Saarbrücken ein, mit dem Ziel, die Erteilung des ENZ weiterhin zu verfolgen.

Das OLG gab der Beschwerde statt und wies das AG an, das beantragte ENZ auszustellen.

In seiner Begründung stellte das OLG zunächst fest, dass die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Ausstellung des ENZ gemäß Artikel 4

der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) gegeben sei, da der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte.

Berücksichtigung von Einwänden bei der Erteilung eines ENZ

Das Gericht würdigte dabei die beruflichen, familiären und sozialen Bindungen des Erblassers, die trotz eines Wohnhauses in Frankreich weiterhin ausschließlich in Deutschland bestanden.

Hinsichtlich des Anspruchs der Antragsteller auf Erteilung des ENZ führte das OLG aus, dass gemäß Artikel 65 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 63 Absatz 1 EuErbVO den Erben ein ENZ auszustellen ist, wenn sie

in einem anderen Mitgliedstaat (hier Frankreich bezüglich des Grundbesitzes) ihre Rechtsstellung als Erben geltend machen und ihre daraus resultierenden Rechte ausüben müssen.

Das ENZ dient in diesem Fall als Erbnachweis anstelle des deutschen Erbscheins (Artikel 62 Absatz 3 Satz 1 EuErbVO).

Das OLG stellte weiterhin fest, dass die gesetzliche Erbfolge gemäß §§ 1924 Absatz 1, 2 und 3, § 1930 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gegeben sei, wonach die vier Kinder den Erblasser zu gleichen Teilen beerbt haben.

Die von B 3 vorgebrachte Behauptung eines weiteren, nichtehelichen Kindes des Erblassers konnte nicht bestätigt werden.

Eine Auskunft des Standesamtes ergab keine Hinweise auf weitere Kinder, und die Angaben von B 3 bezüglich der angeblichen

Mutter und des Kindes waren derart vage und unsubstantiiert, dass keine Grundlage für weitere Nachforschungen bestand.

Das OLG betonte, dass der für die Erteilung des beantragten ENZ erforderliche Sachverhalt somit vorliege und das ENZ gemäß Artikel 67 Absatz 1 EuErbVO zu erteilen sei.

Das Gericht machte von der Möglichkeit des § 43 Absatz 5 Satz 2 des Gesetzes über das Internationale Erbrecht und das Verfahren in Nachlasssachen (IntErbRVG) Gebrauch,

der die Vorgaben von Artikel 72 Absatz 2 Satz 2 EuErbVO umsetzt, und wies das AG an, das ENZ auszustellen.

In der Kostenentscheidung gemäß § 81 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den

Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit 1 (FamFG) legte das OLG die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragsteller B 3 auf.

Berücksichtigung von Einwänden bei der Erteilung eines ENZ

Das Gericht begründete dies damit, dass allein die unsubstantiierten und erfolglosen Einwände von B 3 das Beschwerdeverfahren erforderlich gemacht hätten.  

Die Anmerkung zum Beschluss des OLG Saarbrücken hebt die Bedeutung dieser Entscheidung im Lichte der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hervor.

Der EuGH hatte kurz zuvor entschieden, dass selbst unbegründete oder unsubstantiierte Einwände im Ausstellungsverfahren der Erteilung eines ENZ entgegenstehen,

mit Ausnahme von Einwänden, die bereits in einem gesonderten Verfahren rechtskräftig entschieden wurden.

Dies reduziert das ENZ-Ausstellungsverfahren auf ein reines Konsensverfahren und entzieht der Ausstellungsbehörde (in Deutschland das Nachlassgericht) die Kompetenz, streitige Rechtslagen zu entscheiden.

Die Entscheidung des OLG Saarbrücken zeigt, wie die Oberlandesgerichte künftig mit abstrusen Behauptungen

im ENZ-Verfahren umgehen müssen, da die Nachlassgerichte aufgrund der EuGH-Rechtsprechung keine streitigen Entscheidungen treffen dürfen.

Dies führt zu einer Mehrbelastung der OLG und kann missbräuchliche Einwände begünstigen, die lediglich der Verfahrensverzögerung dienen.

Die Kommentatoren kritisieren diese Entwicklung und sehen darin eine unpraktikable Einstufung der deutschen Nachlassgerichte als bloße Verwaltungsbehörden.

Der vorgeschlagene Umweg über ein klassisches Erbscheinsverfahren wird als wenig praxistauglich erachtet, da im anschließenden ENZ-Verfahren erneut Einwände erhoben werden könnten.

Positiv wird hervorgehoben, dass das Beschwerdegericht das ENZ nicht selbst ausstellen muss, sondern das Nachlassgericht anweisen kann, dies zu tun.

Der vorliegende Fall zeigt jedoch, dass die Verfahrensdauer bis zur Erteilung eines ENZ erheblich sein kann, was dem Ziel einer zügigen

und effizienten Abwicklung grenzüberschreitender Erbfälle innerhalb der EU (Erwägungsgrund 67 EuErbVO) widerspricht.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Entscheidung des OLG Saarbrücken verdeutlicht, wie die deutschen Gerichte versuchen, im Spannungsfeld zwischen der EuErbVO und der EuGH-Rechtsprechung

praktikable Lösungen für die Erteilung von ENZ zu finden, auch wenn unbegründete Einwände erhoben werden.

Die klare Kostenentscheidung des OLG dient dabei als Warnung vor missbräuchlicher Verfahrensführung.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

§ 2270 BGB nur auf gemeinschaftliches Testament und nicht auf Verfügungen in Erbvertrag anwendbar

§ 2270 BGB nur auf gemeinschaftliches Testament und nicht auf Verfügungen in Erbvertrag anwendbar

Mai 12, 2025
§ 2270 BGB nur auf gemeinschaftliches Testament und nicht auf Verfügungen in Erbvertrag anwendbarRA und Notar KrauDas Urteil des Bundesgeric…
Entlassung des Testamentsvollstreckers wegen beleidigender Äußerungen über Erben

Entlassung des Testamentsvollstreckers wegen beleidigender Äußerungen über Erben

Mai 8, 2025
Entlassung des Testamentsvollstreckers wegen beleidigender Äußerungen über ErbenOLG Zweibrücken Beschluss vom 17.2.2025 –&nb…
Kostenentscheidung in einem Nachlassverfahren

Kostenentscheidung in einem Nachlassverfahren

Mai 8, 2025
Kostenentscheidung in einem NachlassverfahrenRA und Notar KrauIn dem vorliegenden Beschluss des Bundesgerichtshofs (IV ZB 18/24) vom 23. Apr…