Beschwerde gegen die Nichterteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses
Dieses Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe ist wichtig für alle, die ein Europäisches Nachlasszeugnis (ENZ) benötigen, insbesondere wenn es Streitigkeiten zwischen den Erben gibt.
Das ENZ ist ein Dokument, das die Erbenstellung in anderen EU-Ländern belegt und grenzüberschreitende Erbfälle vereinfachen soll.
Der Fall betrifft das Erbe einer 2018 verstorbenen Erblasserin. Die zentrale Figur ist die Tochter (Beteiligte Ziffer 4), die das Europäische Nachlasszeugnis (ENZ) beantragte, um ihre Erbenstellung zu beweisen, da die Erblasserin auch Vermögen im Ausland (u. a. Polen, Österreich) hatte.
Das bindende Testament (2000): Die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann hatten ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Darin setzten sie sich gegenseitig als Vorerben ein und ihre drei gemeinsamen Kinder (darunter die antragstellende Tochter) als Nacherben und Schlusserben zu je 1/3. Das OLG wertet diese Regelung als wechselbezüglich und damit bindend.
Das spätere Testament (2005): Nach dem Tod des Ehemanns errichtete die Erblasserin ein weiteres Testament, in dem sie versuchte, die Tochter und ihren außerehelich geborenen Sohn (Beteiligter Ziffer 3) zu enterben und nur die beiden anderen Söhne als Erben einzusetzen.
Die Tochter beantragte das ENZ, das sie und ihre beiden vollbürtigen Brüder zu je 1/3 als Erben ausweisen sollte. Der außereheliche Sohn (Beteiligter Ziffer 3) legte daraufhin Einspruch ein. Er behauptete, er sei ebenfalls leiblicher und rechtlicher Sohn der Erblasserin und müsse daher im ENZ als Erbe genannt werden.
Das Amtsgericht (die erste Instanz) lehnte den Antrag der Tochter auf Erteilung des ENZ ab. Es begründete dies damit, dass nach Europarecht die Ausstellungsbehörde (das Nachlassgericht) ein ENZ ablehnen muss, sobald Einwände erhoben werden. Es sei unerheblich, ob diese Einwände begründet oder unbegründet sind. Sobald ein Streit über das Erbrecht aufkommt, muss das Nachlassgericht die Erteilung des ENZ verweigern.
Die Tochter legte Beschwerde beim OLG Karlsruhe ein. Das OLG stimmte zwar dem Amtsgericht zu, dass dieses die Ausstellung aufgrund des Einwandes ablehnen musste. ABER:
Das OLG stellte klar, dass das Beschwerdegericht (OLG) eine weitergehende Befugnis hat als das Nachlassgericht. Es ist berechtigt, die erhobenen Einwände inhaltlich zu prüfen und darüber zu entscheiden, wenn eine Entscheidung ohne weitere, aufwändige Ermittlungen allein aufgrund der vorliegenden Akten möglich ist.
Das Gericht argumentierte, dass eine solche Prüfung notwendig ist, um zu verhindern, dass die Erteilung eines ENZ durch offensichtlich unbegründete oder rechtsmissbräuchliche Einwände eines Beteiligten verzögert oder ganz verhindert wird. Dies würde dem eigentlichen Zweck des ENZ – einer schnellen und effizienten Abwicklung grenzüberschreitender Erbfälle – zuwiderlaufen.
Das OLG prüfte den Einwand des außerehelichen Sohnes direkt anhand der Akten:
Das OLG bestätigte, dass das gemeinschaftliche Testament von 2000 bindend war. Die spätere Enterbung der Tochter und des außerehelichen Sohnes im Testament von 2005 war daher unwirksam.
Das OLG stellte fest, dass die Erben die drei gemeinsamen Kinder (die Tochter und ihre zwei Brüder) zu je 1/3 sind. Der außereheliche Sohn (Beteiligter Ziffer 3) ist aufgrund der gültigen letztwilligen Verfügung kein Erbe geworden.
Da der Einwand des außerehelichen Sohnes nach Aktenlage unbegründet ist, darf er die Erteilung des ENZ an die tatsächlichen Erben nicht blockieren.
Das OLG Karlsruhe hob den Beschluss des Amtsgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Amtsgericht zurück.
Das Gericht hat entschieden, dass im Streit um das Europäische Nachlasszeugnis gilt:
Das Nachlassgericht muss die Ausstellung des ENZ verweigern, sobald ein Beteiligter Einwände erhebt.
Das Oberlandesgericht (Beschwerdegericht) darf und soll die Berechtigung dieser Einwände prüfen, wenn die Entscheidung dazu schnell und einfach anhand der Aktenlage möglich ist. Nur so kann verhindert werden, dass die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses unnötig verzögert wird.
Da diese Frage, ob das OLG die Einwände prüfen darf, von verschiedenen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird, hat das OLG Karlsruhe die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen, um eine höchstrichterliche Klärung herbeizuführen.
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