Besorgnis der Befangenheit bei Ehegatten als Einzelrichter in der Vorinstanz
Vorinstanzen:
AG Koblenz, Entscheidung vom 08.05.2019 – 161 C 254/17 –
LG Koblenz, Entscheidung vom 26.09.2019 – 6 S 102/19 –
Gerne fasse ich den Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 27.02.2020 (III ZB 61/19) zusammen.
Dieser Fall dreht sich um die wichtige Frage, wann ein Richter als befangen gilt, also nicht mehr als unparteiisch betrachtet werden kann, und welche Konsequenzen der Tod eines Richters in einem laufenden Verfahren hat.
Ein Beklagter (Schuldner) wurde in erster Instanz vom Amtsgericht (AG) zur Zahlung von 3.808,00 € verurteilt. Die entscheidende Richterin in erster Instanz war Richterin am AG H.
Der Beklagte legte Berufung gegen dieses Urteil ein. Dieses Berufungsverfahren lief beim Landgericht (LG). Ein Mitglied dieser Kammer beim LG war Richter am AG H. – der Ehemann der erstinstanzlich entscheidenden Richterin.
Der Beklagte lehnte den Richter am LG wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Seine Begründung:
Der Richter sei mit der erstinstanzlichen Richterin verheiratet.
Die Berufung stütze sich wesentlich auf die Prozessführung und Beweiswürdigung seiner Ehefrau.
Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Eheleute während des langen erstinstanzlichen Verfahrens über den Fall gesprochen hätten.
Das Landgericht (LG) wies den Antrag als unbegründet zurück. Es meinte, die Ehe allein sei kein genereller Grund für Befangenheit und die Vermutung über Gespräche sei durch die dienstliche Stellungnahme des abgelehnten Richters widerlegt.
Der Beklagte legte gegen diese Zurückweisung die sogenannte Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) ein.
Noch während das Verfahren beim BGH lief, trat ein entscheidendes Ereignis ein: Der vom Beklagten abgelehnte Richter am LG verstarb. Damit war der Grund für die Befangenheit und die Rechtsbeschwerde selbst weggefallen.
Der Beklagte erklärte daraufhin die Rechtsbeschwerde für erledigt und beantragte, dass die Kosten des Verfahrens der Gegenseite (der Klägerin) auferlegt werden sollten. Die Klägerin schloss sich dieser Erklärung nicht an.
Der BGH musste nun zwei Fragen klären:
Wie ist die einseitige Erledigungserklärung zu behandeln?
Wer muss die Kosten tragen?
Der BGH legt die einseitige Erledigungserklärung des Beklagten als Antrag aus, festzustellen, dass das Verfahren sich erledigt hat. Dieser Antrag sei begründet, weil die Rechtsbeschwerde zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses (dem Tod des Richters) zulässig und begründet war.
Die Entscheidung, wer die Verfahrenskosten tragen muss, hängt davon ab, ob die Rechtsbeschwerde des Beklagten erfolgreich gewesen wäre, hätte sich der Fall nicht erledigt.
Wäre die Beschwerde unbegründet gewesen, hätte der Beklagte als Verlierer die Kosten tragen müssen.
Wäre die Beschwerde begründet gewesen, müsste die Gegenseite die Kosten tragen.
Die Rechtsbeschwerde war begründet. Das Ablehnungsgesuch des Beklagten gegen den Ehemann war berechtigt.
Der BGH bestätigte zunächst, dass die Ehe des Rechtsmittelrichters (LG) mit der erstinstanzlichen Richterin (AG) kein genereller Ablehnungsgrund ist, wenn die Ehefrau nur als Mitglied eines Kollegialgerichts mitgewirkt hat.
Im vorliegenden Fall hatte die Ehefrau das Urteil in erster Instanz als Einzelrichterin allein zu verantworten. Dieser Unterschied war für den BGH ausschlaggebend.
Aus Sicht des Beklagten konnte die Alleinverantwortung der Ehefrau für das angefochtene Urteil die Bedeutung des ehelichen Näheverhältnisses in Form einer – zumindest unbewussten – Solidarisierungsneigung des abgelehnten Richters verstärken. Dieser Umstand sei geeignet, den Anschein (den „bösen Schein“) einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu begründen. Denn schon der Schein der Befangenheit muss vermieden werden.
Da die Beschwerde des Beklagten somit erfolgreich gewesen wäre, muss er die Kosten des erledigten Verfahrens nicht tragen. Eine Kostenentscheidung im Rechtsbeschwerdeverfahren war damit nicht veranlasst, da die Kosten des erfolgreichen Ablehnungsverfahrens Teil der Kosten des Rechtsstreits werden.
Der BGH-Beschluss ist wichtig, weil er die Anforderungen an die richterliche Unparteilichkeit schärft:
Die bloße Tatsache, dass der Ehegatte eines Richters in der Vorinstanz mitgewirkt hat, begründet nicht automatisch die Befangenheit des Richters in der höheren Instanz.
Liegt aber die Alleinverantwortung des Ehegatten für das angefochtene Urteil vor, kann dies den „bösen Schein“ der Befangenheit des Richters in der Rechtsmittelinstanz begründen, da eine (unbewusste) Solidarisierung mit dem Ehepartner nicht ausgeschlossen werden kann.
Weil die Ablehnung des Richters berechtigt war, musste der Beklagte die Kosten des wegen des Todes des Richters erledigten Befangenheitsverfahrens nicht tragen.
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