Besorgnis der Befangenheit bei Ehegatten als Einzelrichter in der Vorinstanz

Oktober 12, 2025

Besorgnis der Befangenheit bei Ehegatten als Einzelrichter in der Vorinstanz

Vorinstanzen:

AG Koblenz, Entscheidung vom 08.05.2019 – 161 C 254/17 –

LG Koblenz, Entscheidung vom 26.09.2019 – 6 S 102/19 –

Gerne fasse ich den Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 27.02.2020 (III ZB 61/19) zusammen.

Dieser Fall dreht sich um die wichtige Frage, wann ein Richter als befangen gilt, also nicht mehr als unparteiisch betrachtet werden kann, und welche Konsequenzen der Tod eines Richters in einem laufenden Verfahren hat.

Der Ausgangsfall: Beratung und Befangenheit

Ein Beklagter (Schuldner) wurde in erster Instanz vom Amtsgericht (AG) zur Zahlung von 3.808,00 € verurteilt. Die entscheidende Richterin in erster Instanz war Richterin am AG H.

Der Beklagte legte Berufung gegen dieses Urteil ein. Dieses Berufungsverfahren lief beim Landgericht (LG). Ein Mitglied dieser Kammer beim LG war Richter am AG H. – der Ehemann der erstinstanzlich entscheidenden Richterin.

Ablehnung wegen Befangenheit

Der Beklagte lehnte den Richter am LG wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Seine Begründung:

Der Richter sei mit der erstinstanzlichen Richterin verheiratet.

Die Berufung stütze sich wesentlich auf die Prozessführung und Beweiswürdigung seiner Ehefrau.

Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Eheleute während des langen erstinstanzlichen Verfahrens über den Fall gesprochen hätten.

Das Landgericht (LG) wies den Antrag als unbegründet zurück. Es meinte, die Ehe allein sei kein genereller Grund für Befangenheit und die Vermutung über Gespräche sei durch die dienstliche Stellungnahme des abgelehnten Richters widerlegt.

Die Rechtsbeschwerde und die „Erledigung“

Der Beklagte legte gegen diese Zurückweisung die sogenannte Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) ein.

Noch während das Verfahren beim BGH lief, trat ein entscheidendes Ereignis ein: Der vom Beklagten abgelehnte Richter am LG verstarb. Damit war der Grund für die Befangenheit und die Rechtsbeschwerde selbst weggefallen.

Der Beklagte erklärte daraufhin die Rechtsbeschwerde für erledigt und beantragte, dass die Kosten des Verfahrens der Gegenseite (der Klägerin) auferlegt werden sollten. Die Klägerin schloss sich dieser Erklärung nicht an.

Die Entscheidung des BGH: Erledigung und Kosten

Der BGH musste nun zwei Fragen klären:

Wie ist die einseitige Erledigungserklärung zu behandeln?

Besorgnis der Befangenheit bei Ehegatten als Einzelrichter in der Vorinstanz

Wer muss die Kosten tragen?

Feststellung der Erledigung

Der BGH legt die einseitige Erledigungserklärung des Beklagten als Antrag aus, festzustellen, dass das Verfahren sich erledigt hat. Dieser Antrag sei begründet, weil die Rechtsbeschwerde zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses (dem Tod des Richters) zulässig und begründet war.

Die Kostenfrage: War die Ablehnung berechtigt?

Die Entscheidung, wer die Verfahrenskosten tragen muss, hängt davon ab, ob die Rechtsbeschwerde des Beklagten erfolgreich gewesen wäre, hätte sich der Fall nicht erledigt.

Wäre die Beschwerde unbegründet gewesen, hätte der Beklagte als Verlierer die Kosten tragen müssen.

Wäre die Beschwerde begründet gewesen, müsste die Gegenseite die Kosten tragen.

Der BGH stellte fest:

Die Rechtsbeschwerde war begründet. Das Ablehnungsgesuch des Beklagten gegen den Ehemann war berechtigt.

Begründung des BGH zur Befangenheit

Der BGH bestätigte zunächst, dass die Ehe des Rechtsmittelrichters (LG) mit der erstinstanzlichen Richterin (AG) kein genereller Ablehnungsgrund ist, wenn die Ehefrau nur als Mitglied eines Kollegialgerichts mitgewirkt hat.

ABER:

Im vorliegenden Fall hatte die Ehefrau das Urteil in erster Instanz als Einzelrichterin allein zu verantworten. Dieser Unterschied war für den BGH ausschlaggebend.

Der Kernpunkt:

Aus Sicht des Beklagten konnte die Alleinverantwortung der Ehefrau für das angefochtene Urteil die Bedeutung des ehelichen Näheverhältnisses in Form einer – zumindest unbewussten – Solidarisierungsneigung des abgelehnten Richters verstärken. Dieser Umstand sei geeignet, den Anschein (den „bösen Schein“) einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu begründen. Denn schon der Schein der Befangenheit muss vermieden werden.

Da die Beschwerde des Beklagten somit erfolgreich gewesen wäre, muss er die Kosten des erledigten Verfahrens nicht tragen. Eine Kostenentscheidung im Rechtsbeschwerdeverfahren war damit nicht veranlasst, da die Kosten des erfolgreichen Ablehnungsverfahrens Teil der Kosten des Rechtsstreits werden.

Zusammenfassung und Bedeutung

Der BGH-Beschluss ist wichtig, weil er die Anforderungen an die richterliche Unparteilichkeit schärft:

Kein genereller Ausschluss:

Die bloße Tatsache, dass der Ehegatte eines Richters in der Vorinstanz mitgewirkt hat, begründet nicht automatisch die Befangenheit des Richters in der höheren Instanz.

Ausschlaggebende Besonderheit:

Liegt aber die Alleinverantwortung des Ehegatten für das angefochtene Urteil vor, kann dies den „bösen Schein“ der Befangenheit des Richters in der Rechtsmittelinstanz begründen, da eine (unbewusste) Solidarisierung mit dem Ehepartner nicht ausgeschlossen werden kann.

Folge der Erledigung:

Weil die Ablehnung des Richters berechtigt war, musste der Beklagte die Kosten des wegen des Todes des Richters erledigten Befangenheitsverfahrens nicht tragen.

RA und Notar Krau

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen? 

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein konstenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

Apartmenthaus Wohnungseigentum

Formelle Anforderungen an die Betriebskostenabrechnung bei Gebäuden mit mehreren Wohneinheiten

November 14, 2025
Formelle Anforderungen an die Betriebskostenabrechnung bei Gebäuden mit mehreren WohneinheitenDies ist eine Zusammenfassung eines wichtigen Geri…
Apartmenthaus Wohnungseigentum

Unwirksame Schönheitsreparaturklausel

November 14, 2025
Unwirksame SchönheitsreparaturklauselGericht: AG Hamburg Entscheidungsdatum: 24.10.2025 Rechtskraft: ja Aktenzeichen: 49 C 518/24 Dokumenttyp: U…
paragraph

Von Aktionären der Wirecard AG angemeldete Ansprüche sind keine einfachen Insolvenzforderungen

November 14, 2025
Von Aktionären der Wirecard AG angemeldete Ansprüche sind keine einfachen InsolvenzforderungenBGH Urteil vom 13. November 2025 – IX ZR 127/24…