Betriebsratswahl – Anfechtung – Briefwahl

Juni 13, 2025

Betriebsratswahl – Anfechtung – Briefwahl

BAG 7 ABR 23/23

RA und Notar Krau

Der Fall: Eine Betriebsratswahl und die Tücken der Briefwahl

Dieser Fall dreht sich um die Anfechtung einer Betriebsratswahl in einem großen deutschen Lebensmittel-Discounter, der bundesweit Filialen betreibt. Genauer gesagt ging es um die Wahl des Betriebsrats im „BR-Bezirk 4“, der die Region „NordWest“ und die Niederlassungen H und B umfasst. Dieser Bezirk besteht aus 467 Filialen mit insgesamt 7.703 wahlberechtigten Mitarbeitern.

Der Knackpunkt: Die reine Briefwahl

Die Besonderheit dieser Betriebsratswahl vom 6. Mai 2022 war, dass sie ausschließlich als sogenannte „reine Briefwahl“ durchgeführt wurde. Das bedeutet, alle Wahlberechtigten erhielten ihre Wahlunterlagen unaufgefordert per Post und gaben ihre Stimme schriftlich ab, ohne die Möglichkeit, direkt in einem Wahllokal abzustimmen.

Acht Kandidaten, die auf einer der Vorschlagslisten standen (Liste 1), sahen das als Problem an und reichten einen Antrag beim Arbeitsgericht ein, um die gesamte Wahl für unwirksam zu erklären. Ihr Hauptargument: Eine reine Briefwahl sei nur unter bestimmten, eng gefassten Ausnahmen zulässig, die hier nicht vorgelegen hätten. Zudem gab es Vorwürfe, dass Vorgesetzte versucht hätten, Briefwahlstimmen einzusammeln, was die Wahl behindert hätte. Auch die Zusammenlegung der vielen Filialen zu einem Wahlbezirk durch einen Tarifvertrag wurde in Frage gestellt.

Die Entscheidungen der unteren Gerichte

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht Hamm wiesen den Antrag der Kandidaten zurück. Sie waren der Meinung, dass die Anordnung der generellen Briefwahl angesichts der großen räumlichen Entfernung der über 400 Filialen im Bezirk 4 und des Fehlens eines „Hauptbetriebs“ gerechtfertigt sei. Sie argumentierten, es wäre praktisch unmöglich gewesen, alle Beschäftigten durch die Aufstellung von Wahlurnen in den Filialen zu erreichen, da es zu viele Teilzeitkräfte gebe und die Anwesenheit von Wahlvorstandsmitgliedern an den Urnen notwendig sei.

Betriebsratswahl – Anfechtung – Briefwahl

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG)

Die Antragsteller legten daraufhin Rechtsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht (7. Senat) ein, und dieses hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf. Der Fall muss nun zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden.

Das BAG stellte fest, dass bei der Wahl eine wesentliche Vorschrift des Wahlverfahrens verletzt wurde, weil die Wahl als reine Briefwahl durchgeführt wurde:

  1. Briefwahl ist die Ausnahme, nicht die Regel: Das Gericht betonte, dass die Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe (Briefwahl) an strenge Voraussetzungen gebunden ist, die in § 24 der Wahlordnung (WO) festgelegt sind. Diese Regeln sollen sicherstellen, dass die Wahl sicher und geheim bleibt und Missbrauch verhindert wird. Eine allgemeine Anordnung der Briefwahl ist nicht einfach so möglich.
  2. Der „Hauptbetrieb“ ist entscheidend: Nach § 24 Abs. 3 WO darf der Wahlvorstand die Briefwahl nur für „Betriebsteile und Kleinstbetriebe“ anordnen, die „räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind“. Das BAG stellte klar, dass diese Regelung nicht dazu dient, eine Briefwahl für den gesamten Betrieb oder den Hauptbetrieb anzuordnen. Sie setzt gerade voraus, dass es einen Hauptbetrieb gibt, in dem eine Urnenwahl stattfinden kann.
  3. Keine Analogie bei fehlendem Hauptbetrieb: Das Landesarbeitsgericht hatte angenommen, dass es im BR-Bezirk 4 keinen „Hauptbetrieb“ im eigentlichen Sinne gab. Das BAG wies darauf hin, dass selbst wenn das stimmen würde, dies nicht bedeutet, dass man die Regelung zur Briefwahl analog auf den gesamten Bezirk anwenden könnte. Die Wahlordnung sieht eine solche umfassende Briefwahl nicht vor.
  4. Der Tarifvertrag hilft nicht: Der Tarifvertrag, der die Zusammenlegung der Filialen zu Wahlbezirken regelte, enthielt keine Bestimmungen zur Briefwahl. Daher konnte er die Durchführung einer reinen Briefwahl nicht rechtfertigen.
  5. Beeinflussung des Wahlergebnisses möglich: Das Gericht befand, dass dieser Verstoß gegen die Wahlvorschriften das Wahlergebnis beeinflusst haben könnte. Es ist denkbar, dass mehr oder andere Personen gewählt hätten, wenn eine Urnenwahl möglich gewesen wäre. Eine reine Briefwahl zwingt die Wähler, sich früher zu entscheiden, und kann das Wahlverhalten beeinflussen, da sie nicht die Möglichkeit haben, kurz vor dem eigentlichen Wahltag noch persönliche Eindrücke oder Entwicklungen zu berücksichtigen.

Was nun? Die Rückverweisung an das Landesarbeitsgericht

Obwohl das BAG einen klaren Verstoß feststellte, konnte es den Fall nicht abschließend entscheiden. Es muss noch geprüft werden, ob die Anfechtung der Wahl fristgerecht und in der richtigen Form eingereicht wurde. Die Antragsteller hatten ihre Beschwerde elektronisch eingereicht. Es muss nun geklärt werden, ob dieses elektronische Dokument die erforderliche „qualifizierte elektronische Signatur“ des Rechtsanwalts aufwies, da dies für die Wirksamkeit der Einreichung entscheidend ist und eine einfache Signatur nicht ausreicht. Wenn die elektronische Einreichung nicht korrekt erfolgte, könnte die Frist für die Wahlanfechtung verpasst worden sein, was zur Abweisung des Antrags führen würde, unabhängig von den festgestellten Wahlfehlern.

Das Landesarbeitsgericht muss also nun diese formellen Fragen klären und gegebenenfalls eine technische Prüfung der elektronischen Signatur vornehmen, bevor es endgültig über die Wirksamkeit der Betriebsratswahl entscheidet.

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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