Beweis der Zustellung und des Zugangs von Schriftstücken

Juni 21, 2025

Beweis der Zustellung und des Zugangs von Schriftstücken

VGH München, Beschluss v. 02.11.2022 – 11 CS 22.1984 , 11 C 22.1992

RA und Notar Krau

Dieser Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH München) vom 2. November 2022 befasst sich mit der Entziehung einer Fahrerlaubnis und den damit verbundenen rechtlichen Fragen der Zustellung von amtlichen Schreiben.

Hintergrund des Falls

Ein Fahrerlaubnisinhaber (der Antragsteller) hatte in seinem Fahreignungsregister (Punktekonto) mehrere Verstöße gesammelt. Nach dem deutschen Punktesystem für Fahrerlaubnisse ist vorgesehen, dass Fahrer bei Erreichen bestimmter Punktgrenzen zunächst ermahnt und dann verwarnt werden, bevor ihnen schließlich die Fahrerlaubnis entzogen wird, wenn sie acht oder mehr Punkte erreichen.

Im vorliegenden Fall hatte das Landratsamt Würzburg den Antragsteller im Jahr 2016 wegen Erreichens von fünf Punkten ermahnt. Dieses Schreiben wurde durch Niederlegung bei der Post zugestellt, da die Benachrichtigung in einen Gemeinschaftsbriefkasten eingeworfen wurde. Später, im Jahr 2020, wurde der Antragsteller nach Erreichen von sieben Punkten verwarnt. Die Postzustellungsurkunde für dieses Schreiben ging verloren, und der Antragsteller behauptete, es nie erhalten zu haben. Kurze Zeit später trat der Antragsteller eine längere Haftstrafe an. Während seiner Haftzeit beglich ein Verwandter eine Rechnung für die Verwarnungsgebühr, ohne dass der Antragsteller direkt davon wusste. Die Behörde übermittelte 2021 eine Kopie der Verwarnung, die aber ebenfalls als nicht wirksam zugestellt galt, da der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt in Haft war und seine Wohnung nicht mehr als Lebensmittelpunkt nutzte.

Nach weiteren schwerwiegenden Verkehrsverstößen und einer Verurteilung im Jahr 2022, die zu 42 weiteren Punkten im Fahreignungsregister führten, entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis. Der Antragsteller legte Klage ein und beantragte vorläufigen Rechtsschutz sowie Prozesskostenhilfe. Das Verwaltungsgericht Würzburg lehnte die Anträge ab und ging davon aus, dass die Ermahnung und Verwarnung wirksam zugestellt bzw. zugegangen seien und die Klage keine Erfolgsaussichten habe.

Beweis der Zustellung und des Zugangs von Schriftstücken

Entscheidung des VGH München

Der VGH München musste im Beschwerdeverfahren entscheiden, ob die Fahrerlaubnisentziehung rechtmäßig war und ob der Antragsteller Anspruch auf vorläufigen Rechtsschutz und Prozesskostenhilfe hatte.

Der Gerichtshof stellte fest, dass die Beschwerde des Antragstellers gegen die Ablehnung des vorläufigen Rechtsschutzes unbegründet ist. Auch wenn die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache als „offen“ anzusehen sind – was bedeutet, dass das Gericht sich nicht sicher ist, wie die Klage ausgehen wird – überwiegt hier das öffentliche Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs. Das Gesetz sieht vor, dass die Fahrerlaubnis bei Erreichen von acht oder mehr Punkten zwingend entzogen werden muss und dieser Entzug sofort vollziehbar ist. Angesichts der Vielzahl der vom Antragsteller begangenen Verkehrsverstöße, die seine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen belegen, ist es nicht vertretbar, ihn bis zum Abschluss des Hauptverfahrens weiter am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen.

Zur Zustellung der Ermahnung und Verwarnung:

  • Ermahnung (2016): Der VGH kam zu dem Schluss, dass die Zustellung der Ermahnung durch Niederlegung bei der Post unwirksam war, da die Benachrichtigung in einen Gemeinschaftsbriefkasten eingeworfen wurde, obwohl ein direkter Einwurf in den Briefkasten des Adressaten möglich gewesen wäre. Eine Ersatzzustellung durch Niederlegung ist nur zulässig, wenn andere Zustellungsformen nicht möglich sind. ABER: Die unwirksame Zustellung wurde geheilt, weil der Antragsteller die Ermahnung tatsächlich erhalten hat. Dies wurde durch ein Schreiben seines damaligen Anwalts belegt, das sich explizit auf das Ermahnungsschreiben bezog.
  • Verwarnung (2020): Für die Verwarnung gab es keine Postzustellungsurkunde, da diese verloren gegangen war. Der VGH lehnte die Annahme eines Zugangs der Verwarnung nach dem „Beweis des ersten Anscheins“ ab. Dieser „Anscheinsbeweis“ setzt einen typischen Geschehensablauf voraus, der hier nicht gegeben war, da der Verlust einzelner Postsendungen zum Leben gehört. Auch die Zahlung der Verwarnungsgebühr durch einen Verwandten reichte nicht als Beweis für den Zugang des Schreibens aus, da der Verwandte ohne genaue Kenntnis des Sachverhalts gehandelt haben könnte, um Mahngebühren zu vermeiden. Die spätere Zustellung einer Kopie der Verwarnung im März 2021 war ebenfalls unwirksam, da der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt in Haft war und seine Wohnung nicht mehr als Lebensmittelpunkt nutzte. Trotz dieser Mängel wurde der Zugang der Verwarnung letztlich durch die Akteneinsicht des Bevollmächtigten des Antragstellers im Juni 2022 geheilt. Das bedeutet, dass der Antragsteller die Verwarnung zwar spät, aber noch vor der Entziehung der Fahrerlaubnis zur Kenntnis genommen hat.

Prozesskostenhilfe

Der VGH lehnte auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ab. Da die Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers ausfiel und die Klage im Eilverfahren daher keine hinreichende Aussicht auf Erfolg versprach, war Prozesskostenhilfe nicht zu gewähren. Dies gilt auch für das Beschwerdeverfahren.

Zusammenfassend lässt sich sagen:

Der VGH München bestätigte die Entziehung der Fahrerlaubnis. Auch wenn es Fehler bei der Zustellung der behördlichen Schreiben gab, wurden diese durch den tatsächlichen Zugang bzw. die spätere Kenntnisnahme geheilt. Das Gericht betonte die Bedeutung der Verkehrssicherheit und des Schutzes der Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern.

Die Entscheidung zeigt, dass im deutschen Recht der tatsächliche Zugang eines Dokuments wichtiger sein kann als eine formell korrekte Zustellung und dass das öffentliche Interesse an der Verkehrssicherheit Vorrang haben kann, selbst wenn die rechtlichen Erfolgsaussichten eines Falles noch nicht endgültig geklärt sind.

Schlagworte

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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