Beweiserleichterungen bei der Geltendmachung von Schadensersatz wegen Falschberatung bei der Kapitalanlage
Da der geschädigte Anleger im Prozess gegen seinen Berater oft Schwierigkeiten beim Beweis der Falschberatung hat, hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Deutschland wichtige Beweiserleichterungen geschaffen. Diese helfen dem Anleger, seine Ansprüche auf Schadensersatz leichter durchzusetzen.
Hier ist eine verständliche Übersicht der aktuellen Rechtslage in Bezug auf die Beweiserleichterungen:
Grundsätzlich gilt im deutschen Zivilprozess:
Derjenige, der Schadensersatz verlangt (der Anleger), muss alle Voraussetzungen beweisen. Das sind im Falle der Falschberatung:
Ein Beratungsvertrag (oft stillschweigend durch das Beratungsgespräch zustande gekommen).
Eine Pflichtverletzung (z.B. falsche oder fehlende Aufklärung über Risiken).
Die Kausalität (dass der Fehler des Beraters die Ursache für die Anlageentscheidung und damit für den Schaden war).
Der Schaden (der finanzielle Verlust).
Gerade bei den Punkten 2 und 3 kommt die Rechtsprechung dem Anleger mit Beweiserleichterungen entgegen.
Dies ist die wichtigste Beweiserleichterung und betrifft den Ursachenzusammenhang (Kausalität).
Hat der Berater seine Pflichten verletzt (z.B. nicht oder falsch über ein wichtiges Risiko aufgeklärt), vermutet der BGH, dass der Anleger die Anlage bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht gezeichnet hätte.
Der Anleger muss nicht beweisen, dass er sich anders entschieden hätte. Die Vermutung spricht für ihn.
Der Berater müsste diese Vermutung widerlegen, was in der Praxis extrem schwierig ist. Er müsste konkrete Anhaltspunkte vortragen und beweisen, dass der Anleger die Anlage auch bei korrekter Beratung getätigt hätte (z.B. weil ihm das Risiko bekannt war oder er diese Art von spekulativer Anlage explizit gesucht hat).
Wenn dem Anleger, der eine sichere Altersvorsorge suchte, ein hochspekulativer Fonds empfohlen wurde, und der Berater nicht über das Totalverlustrisiko aufgeklärt hat, wird vermutet, dass der Anleger diesen Fonds bei korrekter Aufklärung nicht gekauft hätte.
Der BGH hat die Anforderungen an das Mitverschulden des Anlegers deutlich gesenkt, was faktisch ebenfalls eine Beweiserleleichterung darstellt.
Ein Anleger handelt nicht leichtfertig oder grob fahrlässig, wenn er sich auf die Aussagen seines Beraters verlässt und deshalb Risikohinweise im Kleingedruckten oder in Unterlagen (wie dem Emissionsprospekt oder Zeichnungsschein) nicht liest oder nicht versteht.
Der BGH geht davon aus, dass der Berater als Fachexperte auftritt und der Anleger ihm vertrauen darf. Mündliche Zusicherungen haben Vorrang vor widersprechenden schriftlichen Texten im „Kleingedruckten“.
Nur wenn der Anleger eigene Sachkunde besitzt oder Informationen Dritter hatte, die den Berateraussagen klar widersprachen, kann ein Mitverschulden in Betracht kommen.
Obwohl keine direkte Beweiserleichterung, sind die hohen Beratungsstandards des BGH für den Anleger oft die Grundlage für den Nachweis einer Pflichtverletzung.
Der Berater muss die persönliche Situation des Anlegers (Kenntnisse, Erfahrungen, Anlageziele, Risikobereitschaft, finanzielle Verhältnisse) vollständig ermitteln und dokumentieren.
Die empfohlene Kapitalanlage muss objektiv zum Anlegerprofil passen. Ein sicherheitsorientierter Anleger darf z.B. kein spekulatives Produkt empfohlen bekommen.
Obwohl Banken und Berater verpflichtet sind, über jede Beratung ein Protokoll (nach dem Wertpapierhandelsgesetz WpHG: eine Geeignetheitserklärung) anzufertigen, hat die Verletzung dieser Pflicht keine direkte gesetzliche Beweislastumkehr.
Das Fehlen oder die Mangelhaftigkeit eines solchen Protokolls wirkt sich praktisch stark zugunsten des Anlegers aus:
Kann der Berater kein Protokoll oder nur ein unvollständiges Protokoll vorlegen, kann er kaum beweisen, dass er seine Aufklärungs- und Beratungspflichten tatsächlich erfüllt hat.
Eine lückenhafte oder fehlende Dokumentation lässt oft den Schluss zu, dass keine anlegergerechte Beratung stattgefunden hat, was wiederum die oben genannte Kausalitätsvermutung auslöst.
Auch bei Falschberatung gilt eine Verjährungsfrist (in der Regel 3 Jahre), die beginnt, sobald der Anleger Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen (Beratungsfehler und Schaden) hat oder diese grob fahrlässig nicht hat. Der BGH entscheidet hierbei jedoch anlegerfreundlich, indem er festhält, dass jeder einzelne Beratungsfehler gesondert verjährt. Das bedeutet, wenn der Anleger erst später von einem weiteren, vorher verschwiegenen Risiko erfährt, beginnt die Verjährung für diesen speziellen Fehler neu.
Die deutsche Rechtsprechung, insbesondere die des Bundesgerichtshofs, hat geschädigten Anlegern den Prozess gegen ihren Berater durch die Kausalitätsvermutung und die geringen Anforderungen an das Mitverschulden deutlich erleichtert. Trotzdem bleibt es die Aufgabe des Anlegers, einen Beratungsfehler (Pflichtverletzung) glaubhaft darzulegen. Die Pflicht zur korrekten Dokumentation der Beratung durch den Berater ist dabei ein wichtiges Hilfsmittel für den Anleger im Streitfall.