Bewertung der anwaltlichen Tätigkeit durch den Mandanten auf einer Online-Plattform

Oktober 25, 2025

Bewertung der anwaltlichen Tätigkeit durch den Mandanten auf einer Online-Plattform

Gericht: OLG Stuttgart 4. Zivilsenat
Entscheidungsdatum: 29.09.2025
Aktenzeichen: 4 U 191/25
Dokumenttyp: Urteil

Dieses Urteil betrifft einen häufigen Konflikt im digitalen Zeitalter: die negative Bewertung einer Kanzlei durch einen Mandanten auf einer Online-Plattform (Google) und die Frage, ob diese Äußerungen rechtlich zulässig sind.

Worum geht es?

Eine überregional tätige Anwaltskanzlei (die Klägerin) verklagte einen ehemaligen Mandanten (den Beklagten), weil dieser auf dem Google-Bewertungsprofil der Kanzlei eine sehr negative Bewertung abgegeben hatte. Der Beklagte hatte die Kanzlei zuvor in einem arbeitsrechtlichen Konflikt mandatiert.

Die Kanzlei forderte die vollständige Löschung der Bewertung und begründete dies mit einer Verletzung ihres Unternehmenspersönlichkeitsrechts und ihres Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.

Der Kern des Konflikts

Der Mandant (Beklagte) war mit der Arbeit des Anwalts der Kanzlei in seinem Fall unzufrieden, insbesondere in Bezug auf:

Kommunikation:

Er habe mehrfach nachfragen müssen und sei im Unklaren gelassen worden.

Vorbereitung:

Der Anwalt sei unvorbereitet gewesen und habe keine ausreichenden Nachforschungen angestellt, wie zum Beispiel das Sammeln wichtiger Beweise.

Fristen:

Er habe den Anwalt an wichtige Termine und Fristen erinnern müssen.

Rechtsberatung:

Er habe das Gefühl gehabt, der Anwalt habe wichtige Aspekte des Arbeitsrechts falsch interpretiert und ihm falsche Ratschläge gegeben.

Die Bewertung endete mit der klaren Empfehlung: „Machen Sie nicht den gleichen Fehler wie ich. Halten Sie sich von dieser Anwaltskanzlei fern.“

Die Entscheidung des Landgerichts (1. Instanz)

Das Landgericht Tübingen hatte der Klage der Kanzlei teilweise stattgegeben. Es stufte einige spezifische Aussagen in der Bewertung als unzulässige Tatsachenbehauptungen ein, die das Recht der Kanzlei verletzten. Der Beklagte wurde zur Unterlassung (Löschung) dieser Passagen verurteilt. Die restlichen Teile der Bewertung sah das Gericht als zulässige Meinungsäußerungen an.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart (2. Instanz)

Der Beklagte legte gegen das Urteil des Landgerichts Berufung ein und verlangte die vollständige Abweisung der Klage.

Bewertung der anwaltlichen Tätigkeit durch den Mandanten auf einer Online-Plattform

Das OLG Stuttgart gab dem Beklagten recht und hob das Urteil des Landgerichts auf. Die Klage der Kanzlei wurde in vollem Umfang abgewiesen.

Die juristische Begründung

Das OLG musste in einer sogenannten Interessenabwägung entscheiden, ob das Recht der Kanzlei, nicht durch negative Aussagen geschädigt zu werden (Unternehmenspersönlichkeitsrecht), oder das Grundrecht des Beklagten auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) überwiegt.

Einstufung der Äußerungen:

Das OLG stufte alle streitgegenständlichen Aussagen – im Gegensatz zum Landgericht – als zulässige Werturteile (Meinungsäußerungen) ein, nicht als Tatsachenbehauptungen.

Tatsachenbehauptungen sind dem Beweis zugänglich (z. B. „Der Anwalt hat am 1. April nicht angerufen“).

Werturteile sind subjektive Stellungsnahmen, die zwar auf Tatsachen beruhen können, aber eine persönliche Meinung ausdrücken (z. B. „Die Kommunikation war eine Katastrophe“).

Schutz der Meinungsfreiheit:

Werturteile genießen den weiten Schutz der Meinungsfreiheit. Sie müssen nicht zutreffend, rational oder begründet sein. Nur wenn es sich um eine reine Schmähkritik (ausschließlich auf persönliche Herabsetzung gerichtet, ohne sachlichen Bezug) handelt, muss die Meinungsfreiheit zurücktreten. Eine solche Schmähkritik sah das OLG in diesem Fall nicht, da die Bewertung einen klaren Sachbezug zur erbrachten Dienstleistung hatte.

Fehlender Tatsachenkern:

Auch wenn es sich um Werturteile handelt, müssen sie eine hinreichende tatsächliche Grundlage haben, also nicht völlig willkürlich sein.

Das OLG prüfte den E-Mail-Verkehr zwischen dem Anwalt und dem Beklagten (z. B. späte Übersendung des Entwurfs, der Hinweis des Mandanten auf den Kündigungsschutz gemäß §18 BEEG).

Es stellte fest, dass der Beklagte aus seiner Sicht als juristischer Laie ausreichend Anhaltspunkte hatte, um sich die kritische Meinung zu bilden, er sei unzureichend informiert worden oder habe an Fristen „erinnern müssen“. Ob diese Bewertung juristisch „richtig“ war, ist für das Grundrecht der Meinungsfreiheit irrelevant.

Die Kritik betraf lediglich die Sozialsphäre (die berufliche Tätigkeit) der Kanzlei, was im Vergleich zur Privatsphäre weniger schwer wiegt.

Ergebnis:

Angesichts der hohen Bedeutung der Meinungsfreiheit und der Tatsache, dass die Kritik einen sachlichen Bezug zur Dienstleistung hatte (keine Schmähkritik), überwiegt das Recht des Mandanten auf freie Meinungsäußerung das Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Kanzlei.

Fazit des Urteils

Das OLG Stuttgart entschied:

Die gesamte negative Google-Bewertung ist als zulässige Meinungsäußerung des ehemaligen Mandanten anzusehen. Eine scharfe und überzogen formulierte Kritik an einer gewerblichen Leistung ist grundsätzlich durch Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt, solange sie einen sachlichen Bezug hat und keine reine Schmähkritik darstellt. Die Kanzlei muss die negative Bewertung hinnehmen.

Tenor:

Die Berufung des Beklagten war erfolgreich, die Klage der Klägerin wurde abgewiesen.

Revision:

Die Revision gegen dieses Urteil wurde nicht zugelassen.

RA und Notar Krau

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