Bewertung des Vermögens bei einem Behindertentestament für Betreuungsgebühren

Juni 14, 2025

Bewertung des Vermögens bei einem Behindertentestament für Betreuungsgebühren

RA und Notar Krau

Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig hat sich in einem aktuellen Beschluss (vom 24. Februar 2025, Az. 9x W 14/24) mit der Frage befasst, wie das Vermögen einer Person mit Behinderung zu bewerten ist, wenn ein sogenanntes Behindertentestament vorliegt. Dies ist wichtig für die Berechnung der Gerichtskosten, genauer gesagt der Jahresgebühren für eine Dauerbetreuung.

Der Fall: Eine Vorerbschaft mit vielen Einschränkungen

Im konkreten Fall geht es um eine 1967 geborene Frau (B), die aufgrund einer frühkindlichen geistigen Schädigung unter Betreuung steht. Ihre Cousine ist die Betreuerin. Die Mutter von B hatte ein Behindertentestament aufgesetzt. Darin wurde B zur nicht befreiten Vorerbin eingesetzt. Das bedeutet, B erbt das Vermögen, darf es aber nicht frei nutzen oder darüber verfügen. Stattdessen wurde eine Dauertestamentsvollstreckung angeordnet. Der Testamentsvollstrecker hat die Aufgabe, die Erträge aus dem Nachlass (z.B. Mieteinnahmen, Zinsen) an B auszuzahlen, um ihre Lebensqualität zu verbessern, und zwar über das hinaus, was staatliche Leistungen abdecken. Dazu gehören etwa Geld für freie Verfügung, Geschenke, Urlaub oder Hobbys. Selbst das Vermögen selbst (der „Stamm“) darf angegriffen werden, wenn die Erträge nicht ausreichen.

Der Bezirksrevisor beantragte die Festsetzung des Geschäftswertes für die Betreuung von B für die Jahre 2022 und 2023. Das Amtsgericht (AG) setzte daraufhin hohe Geschäftswerte fest, was zu entsprechenden Jahresgebühren für die Betreuung führte. Die Betroffene legte Beschwerde ein, da sie argumentierte, über kein frei verfügbares Vermögen zu verfügen, da es der Testamentsvollstreckung unterliege.

Hauptfragen des Gerichts

Das OLG Schleswig musste zwei Hauptfragen klären:

  1. Ist die Beschwerde gegen die Festsetzung des Vermögenswerts zulässig? Hier ging es um die Frage, ob eine bestimmte Frist für die Beschwerde in solchen Dauerbetreuungsverfahren gilt.
  2. Wie ist der Vermögenswert bei einem Behindertentestament überhaupt zu berechnen? Hier musste das Gericht beurteilen, wie die Verfügungsbeschränkungen durch die Vorerbschaft und Testamentsvollstreckung berücksichtigt werden müssen.

Die Entscheidungen des OLG Schleswig


1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde (Widerspruchsfrist)

Das LG hatte die Beschwerde der B für das Jahr 2022 als zu spät eingereicht (verfristet) abgelehnt. Das OLG Schleswig hat dies jedoch anders gesehen. Es stellte klar, dass in Fällen einer Dauerbetreuung, bei der Jahresgebühren anfallen, die gesetzlich vorgesehene Ausschlussfrist für Beschwerden gegen die Wertfestsetzung nicht greift.

  • Keine „Hauptsache-Entscheidung“: Die Frist von sechs Monaten, die sich normalerweise auf das Ende eines Gerichtsverfahrens bezieht, ist hier nicht anwendbar, da eine Dauerbetreuung ein fortlaufender Prozess ist und nicht durch eine einmalige Entscheidung beendet wird.
  • Keine analoge Anwendung: Das Gericht betonte, dass eine analoge Anwendung dieser Frist, also eine sinngemäße Übertragung auf den vorliegenden Fall, nicht zulässig ist. Eine solche Auslegung würde die Rechte der Betroffenen unzulässig einschränken und wäre nicht transparent aus dem Gesetz ersichtlich. Das würde gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen.

Ergebnis: Die Beschwerde der B war zulässig, und das LG hätte sich mit dem Inhalt ihrer Beschwerde befassen müssen.

Bewertung des Vermögens bei einem Behindertentestament für Betreuungsgebühren


2. Zur Höhe der richterlichen Festsetzung des Vermögenswerts

Das OLG hat betont, dass die richterliche Festsetzung des Vermögenswerts für die Jahresgebühren einer Dauerbetreuung grundsätzlich möglich ist. Dies soll den Kostenbeamten die Arbeit erleichtern und sicherstellen, dass die Kosten korrekt berechnet werden.

Wichtige Punkte zur Berechnung des Vermögenswerts:

  • Vorerbschaft gehört zum Vermögen: Das OLG bestätigt, dass das Vermögen aus der Vorerbschaft von B grundsätzlich zum kostenrechtlichen Vermögen gehört, auch wenn es durch die Testamentsvollstreckung und die Vorerbschaft beschränkt ist. Es kommt nicht darauf an, ob die Betreuerin das Vermögen direkt verwalten kann. Die Gebührenregelung stellt auf das gesamte Vermögen ab.
  • Berücksichtigung von Verfügungsbeschränkungen: Entscheidend ist aber, dass die Verfügungsbeschränkungen der B berücksichtigt werden müssen. Da B nicht frei über das Vermögen verfügen kann und lediglich einen Anspruch auf Auszahlung von Erträgen oder, im Notfall, aus dem Stamm des Vermögens hat, kann der volle Wert des Nachlasses nicht angesetzt werden.
  • Anwendung des § 52 GNotKG: Für die Bewertung des eingeschränkten Nutzungswerts der Vorerbschaft ist die Vorschrift des § 52 GNotKG (Gerichts- und Notarkostengesetz) heranzuziehen. Diese Vorschrift regelt, wie der Wert von Rechten und Ansprüchen mit wiederkehrenden oder dauernden Nutzungen zu bestimmen ist.
  • Berechnung des Jahreswerts: Das Gericht stellte klar, dass nicht der einfache Jahreswert zugrunde gelegt werden darf, sondern der Wert, der sich aus den ersten zehn Jahren ergibt. Dies liegt daran, dass die Vorerbschaft auf Lebenszeit besteht und somit auf unbestimmte Zeit angelegt ist. Da B zum Zeitpunkt des Erbanfalls über 50, aber unter 70 Jahre alt war, wird ein Wert für die ersten zehn Jahre angenommen.
  • Ermittlung des Ertragswerts: Da der Gebrauchswert der Vorerbschaft für B aufgrund der Beschränkungen fast vollständig entfällt, muss der Ertragswert herangezogen werden. Dieser ergibt sich aus den Beträgen, die der Testamentsvollstrecker an B auszahlt. Das Gericht schlägt vor, den durchschnittlichen Jahreswert der Auszahlungen der letzten Jahre zu ermitteln und diesen Wert dann mit dem Faktor 10 zu multiplizieren, um den Wert der Vorerbschaft zu bestimmen.
  • Einheitlicher Wert: Dieser ermittelte Wert der Vorerbschaft ist für die gesamte Dauer der Betreuung maßgeblich und muss nicht jedes Jahr neu bewertet werden, da er auf den Beginn des Rechts, also den Erbanfall, abstellt.
  • Freibetrag: Vom Gesamtwert des Vermögens (Vorerbschaft plus eventuell vorhandenes freies Vermögen) ist der Freibetrag von 25.000 Euro abzuziehen, bevor die Jahresgebühr berechnet wird.

Fazit und Rückverweisung

Das OLG konnte die genaue Höhe des Wertes nicht selbst festlegen, da dies eine Sache der tatsächlichen Bewertung ist. Es hat den Fall daher an das Landgericht zurückverwiesen, damit dieses die Neuberechnung auf Grundlage der vom OLG vorgegebenen rechtlichen Maßstäbe vornimmt.


Dieses Urteil ist wichtig, weil es klarstellt, wie das Vermögen bei einem Behindertentestament für die Berechnung der Betreuungsgebühren zu behandeln ist. Es schützt die Betroffenen davor, dass ein Vermögen voll angerechnet wird, über das sie gar nicht frei verfügen können.

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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