Bezugnahme auf betriebsverfassungsrechtliche Tarifregelungen – BAG Urteil vom 20.1.2021 – 4 AZR 286/20

Mai 22, 2021

Bezugnahme auf betriebsverfassungsrechtliche Tarifregelungen – BAG Urteil vom 20.1.2021 – 4 AZR 286/20

Zusammenfassung RA und Notar Krau


Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 26. Februar 2020 (4 Sa 1285/19) wird zurückgewiesen.


Die Beklagte trägt 90 % der Kosten der Revision, der Kläger 10 %.


Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Gewährung von tariflichen Freistellungstagen.

Der Kläger arbeitet als Gießereiarbeiter in Wechselschicht mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 36 Stunden. Im Arbeitsvertrag vom 12. September 2007 wurde vereinbart, dass für das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in NRW gelten.

Die Beklagte ist Mitglied im METALL NRW Verband, jedoch seit dem 1. Oktober 2008 ohne Tarifbindung (OT-Mitgliedschaft).

Am 14. Februar 2018 vereinbarten der METALL NRW Verband und die IG Metall Bezirksleitung einen „Tarifvertrag Tarifliches Zusatzgeld“ (TV T-ZUG), der eine zusätzliche Einmalzahlung für 2019 vorsieht.

Beschäftigte können nach § 25 des Manteltarifvertrags (MTV) statt des Zusatzgeldes Freistellungstage verlangen.

Anspruchsberechtigt sind unter anderem Beschäftigte in Wechselschicht mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 35 Stunden.

Bezugnahme auf betriebsverfassungsrechtliche Tarifregelungen – BAG Urteil vom 20.1.2021 – 4 AZR 286/20

Am 23. Oktober 2018 beantragte der Kläger acht Freistellungstage für das Jahr 2019 aufgrund von Pflege.

Die Beklagte lehnte den Antrag wegen fehlender Tarifgebundenheit ab und beteiligte den Betriebsrat nicht.

Der Kläger machte geltend, dass die maßgeblichen Tarifbestimmungen nach § 1 des Arbeitsvertrags anwendbar seien und dass eine Erörterung mit dem Betriebsrat nicht stattgefunden habe.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zu Recht zurückgewiesen.

I. Zulässigkeit des Leistungsantrags:

Der Leistungsantrag des Klägers ist hinreichend bestimmt nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

II. Begründetheit der Klage:

Die Beklagte ist nach § 1 des Arbeitsvertrags i.V.m. § 25.1 bis 25.3 MTV, § 2 Nr. 1, Nr. 2 Buchst. a TV T-ZUG verpflichtet, dem Kläger acht Freistellungstage zu gewähren.

§ 25.5 MTV ist im Arbeitsverhältnis der Parteien nicht anwendbar.

  1. Anwendbarkeit der Tarifbestimmungen:

Die Bestimmungen des TV T-ZUG und des MTV gelten aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme. § 1 des Arbeitsvertrags vom 12. September 2007 enthält eine zeitdynamische Verweisung auf die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen.

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Dies erfasst auch den TV T-ZUG und den MTV.

Eine Begrenzung der Verweisung auf bestimmte Tarifverträge oder deren Inhalte ist nicht ersichtlich.

  1. Dynamische Verweisung und Schutz des Arbeitgebers:

Eine Berufung des Arbeitgebers auf eine Nichteinbeziehung bestimmter Tarifbestimmungen unter dem Gesichtspunkt der AGB-Kontrolle scheidet aus.

Die Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen dient nicht dem Schutz des Klauselverwenders.

  1. Überraschende Tarifbestimmungen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des TV T-ZUG und des MTV sind keine überraschenden Tarifbestimmungen.

Die vertragliche Vereinbarung der dynamischen Geltung tarifvertraglicher Regelungen ist Ausdruck der Vertragsfreiheit.

Der Arbeitgeber kann den Arbeitsvertrag einvernehmlich ändern oder im Wege der Änderungskündigung anpassen.

  1. Persönlicher Geltungsbereich:

Der Kläger fällt unter den persönlichen Geltungsbereich des TV T-ZUG.

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Die Regelung wiederholt lediglich deklaratorisch die Voraussetzungen für eine normative Wirkung des Tarifvertrags nach § 4 Abs. 1 TVG.

  1. Teilnichtigkeit betriebsverfassungsrechtlicher Regelungen:

Die Schaffung von betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen im Wege des Einzelarbeitsvertrags ist unzulässig. § 25.5 MTV, der die Erörterung des Arbeitsvolumens mit dem Betriebsrat regelt, ist im Arbeitsverhältnis der Parteien nicht anwendbar.

Eine umfassende Verweisungsklausel, die betriebsverfassungsrechtliche Normen eines Tarifvertrags in Bezug nimmt, ist insoweit nichtig.

  1. Teilnichtigkeit der Bezugnahmeklausel:

Die Bezugnahmeklausel ist nur insoweit nichtig, als sie betriebsverfassungsrechtliche Normen in Bezug nimmt.

Dies betrifft § 25.5 MTV. § 25.1 bis 25.3 MTV und der TV T-ZUG bleiben hingegen wirksam in Bezug genommen.

  1. Anspruch des Klägers:

Der Kläger erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen für die begehrten acht Freistellungstage nach § 25 MTV i.V.m. § 2 Nr. 2 Buchst. a TV T-ZUG.

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Der Antrag konnte nach seinem Inhalt nicht so verstanden werden, dass der Kläger ausschließlich einen Freistellungsanspruch nach § 25.1 Buchst. b MTV geltend machen wollte.

Der Freistellungsanspruch besteht als originärer Erfüllungsanspruch fort.

  1. Kostenentscheidung:

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 565 Satz 1 i.V.m. § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO.

Zusammenfassend hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in NRW auch die tariflichen Freistellungsansprüche umfasst.

Betriebsverfassungsrechtliche Normen, wie die Erörterung des Arbeitsvolumens mit dem Betriebsrat, können hingegen nicht wirksam einbezogen werden.

Der Kläger hat einen Anspruch auf die begehrten Freistellungstage, da die maßgeblichen Tarifbestimmungen anwendbar sind.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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