BGB § 1959 Geschäftsführung vor der Ausschlagung – Gutgläubiger Erwerb vom vorläufigen Erben
Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,
wir möchten Ihnen die komplexen juristischen Begriffe rund um die „Geschäftsführung vor der Ausschlagung“ und den „gutgläubigen Erwerb“ im Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bei Geschäften mit dem vorläufigen Erben verständlich erklären.
Dabei konzentrieren wir uns auf die Paragraphen, die den Schutz Dritter betreffen, die Geschäfte mit einem Erben tätigen, dessen Erbenstellung noch nicht endgültig feststeht.
Stellen Sie sich vor, jemand ist Erbe geworden, aber er hat noch nicht endgültig entschieden, ob er die Erbschaft annimmt oder ausschlägt. In dieser Zeit, in der seine Erbenstellung noch „vorläufig“ ist, kann es notwendig sein, bestimmte Geschäfte für den Nachlass zu tätigen. Der Paragraph § 1959 BGB regelt, was passiert, wenn ein vorläufiger Erbe solche Geschäfte vornimmt.
Grundsätzlich ist es so, dass nur unaufschiebbare Verfügungen – also Geschäfte, die dringend erledigt werden müssen, um einen Schaden vom Nachlass abzuwenden – auch dann wirksam sind, wenn der vorläufige Erbe die Erbschaft später ausschlägt. Das bedeutet, dass die Erbschaft dann rückwirkend als nicht angenommen gilt.
Aber was ist, wenn keine solche dringende Notwendigkeit vorliegt? Hier kommen die allgemeinen Gutglaubensvorschriften ins Spiel. Diese Vorschriften schützen Dritte, die im guten Glauben Geschäfte mit dem vorläufigen Erben abschließen. Das heißt, wenn jemand davon ausgeht, dass der vorläufige Erbe der endgültige Erbe ist, kann er Rechte am Nachlass erwerben, die dann auch gegenüber dem späteren endgültigen Erben wirksam sind.
Der entscheidende Punkt ist dabei der gute Glaube des Dritten. Es geht nicht darum, ob der Dritte wusste, dass der Erbe (noch) gar nicht berechtigt war, über den Nachlass zu verfügen. Vielmehr muss der Dritte davon ausgegangen sein, dass die Erbenstellung des vorläufigen Erben endgültig ist.
Betrachten wir zunächst bewegliche Gegenstände, also Dinge wie Möbel, Autos oder Schmuck. Wenn ein vorläufiger Erbe solche Gegenstände verkauft oder verpfändet, können die §§ 932 ff. BGB (für den Eigentumserwerb), § 1032 Satz 2 BGB (für den Erwerb eines Nießbrauchs) und § 1207 BGB (für die Verpfändung) eine Rolle spielen.
Damit ein Dritter diese Gegenstände gutgläubig erwerben kann, muss sich sein guter Glaube nicht nur auf die Befugnis des vorläufigen Erben beziehen, über die Gegenstände zu verfügen, sondern auch darauf, dass dessen Erbenstellung endgültig ist. Wusste der Dritte also, dass der Erbe die Erbschaft noch ausschlagen oder seine Annahme der Erbschaft noch anfechten könnte, dann ist ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen.
Interessant ist hierbei, dass es nicht ausreicht, wenn der Dritte die Vorläufigkeit der Erbenstellung nur grob fahrlässig nicht kannte. Die herrschende Meinung ist hier strenger und verlangt für den Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs, dass der Dritte die Vorläufigkeit positiv kannte.
Der Grund dafür ist, dass Dritte – abgesehen vom Erbschein – in der Regel keine Möglichkeit haben, zu erkennen, ob ein Erbe endgültig oder nur vorläufig ist. Selbst die Nachlassgerichte geben hierzu meist keine verlässlichen Auskünfte.
Was passiert, wenn der endgültige Erbe den Besitz an den Gegenständen nach § 857 BGB unmittelbar erlangt? Dies führt nicht dazu, dass der vorläufige Erbe rückwirkend als unberechtigter Besitzer gilt.
Es liegt auch kein „Abhandenkommen“ im Sinne des § 935 Absatz 1 BGB vor, das einen gutgläubigen Erwerb verhindern würde. Der Schutz des Rechtsverkehrs durch die §§ 932 ff. BGB geht hier vor.
Bei unbeweglichen Gegenständen, also Grundstücken und Immobilien, gelten andere Regeln. Hier kommen die §§ 892 f. BGB für den Rechtserwerb in Betracht. Ein gutgläubiger Erwerb scheitert hier jedoch meistens daran, dass das Grundbuch noch nicht auf den vorläufigen Erben als Eigentümer oder Berechtigten umgeschrieben wurde.
Damit das Grundbuch berichtigt werden kann, genügt es nicht, dass der Erbe die Erbschaft unwirksam angenommen hat. Vielmehr muss dem vorläufigen Erben entweder ein Erbschein oder eine beglaubigte Abschrift der letztwilligen Verfügung (Testament oder Erbvertrag) zusammen mit der Eröffnungsniederschrift (§ 35 Absatz 1 GBO) erteilt und das Grundbuch tatsächlich berichtigt worden sein.
Sollte dies ausnahmsweise der Fall sein, dann muss sich – ähnlich wie bei beweglichen Gegenständen – die Gutgläubigkeit des Dritten auch auf die Endgültigkeit der Erbenstellung erstrecken. Auch hier schadet nur die positive Kenntnis der Vorläufigkeit.
Fehlt eine Berichtigung des Grundbuchs, kann sich ein gutgläubiger Erwerb vom vorläufigen Erben nur auf § 2366 BGB stützen. Das bedeutet, dem vorläufigen Erben muss ein Erbschein ausgestellt worden sein, auch wenn die Annahme der Erbschaft unwirksam oder anfechtbar war.
Auch hier gilt: Dem Dritten schadet nur die positive Kenntnis der Unrichtigkeit des Erbscheins oder der Absicht des Nachlassgerichts, den Erbschein einzuziehen.
Die Möglichkeit, dass der vorläufige Erbe die Erbschaft noch ausschlagen oder anfechten könnte, steht dem gutgläubigen Erwerb hingegen nicht entgegen. Eine andere Auslegung würde die Schutzwirkung des Erbscheins ohne gesetzliche Grundlage einschränken, da Dritte keine Möglichkeit haben, zu beurteilen, ob eine solche Ausschlagung oder Anfechtung ernsthaft in Betracht gezogen wird.
Ein gutgläubiger Erwerb von Forderungen und Rechten (z.B. eine Geldsumme, die dem Erblasser zustand) ist ebenfalls nur auf Grundlage des § 2366 BGB möglich. Wenn dem vorläufigen Erben ein Erbschein erteilt wurde, scheitert der gutgläubige Erwerb nur, wenn der Dritte die Unrichtigkeit des Erbscheins oder die Einziehungsabsicht des Nachlassgerichts positiv kannte. Dass der Dritte wusste, dass der vorläufige Erbe die Erbschaft noch ausschlagen oder anfechten konnte, ist wiederum nicht schädlich.
Wenn Leistungen an den vorläufigen Erben erbracht werden, der einen Erbschein besitzt, dann haben diese Leistungen gemäß § 2367 BGB Erfüllungswirkung. Das bedeutet, die Schuld gilt als beglichen. Das Gleiche gilt für andere Verfügungen, die mit Wirkung für den Nachlass erfolgen. Auch in diesem Zusammenhang ist nur die Bösgläubigkeit hinsichtlich der Richtigkeit oder Bestandskraft des Erbscheins schädlich, nicht jedoch eine Bösgläubigkeit hinsichtlich der Vorläufigkeit der Erbenstellung.
Die Beweislast dafür, ob eine Verfügung dringend war, liegt beim Dritten, wenn er die Wirksamkeit der Verfügung behauptet. Der Dritte muss auch beweisen, dass seine Leistung zu einem Zeitpunkt erfolgte, als der Leistungsempfänger noch vorläufiger Erbe war.
Wenn der Dritte hingegen eine Genehmigung des endgültigen Erben oder einen gutgläubigen Erwerb vom vorläufigen Erben vorträgt, muss er nicht mehr die Dringlichkeit des Geschäfts beweisen. Er muss aber die Voraussetzungen der Genehmigung und des gutgläubigen Erwerbs als Ausnahmen darlegen und beweisen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das deutsche Erbrecht komplexe Mechanismen zum Schutz des Rechtsverkehrs bei vorläufiger Erbenstellung bereithält.
Der Erbschein spielt dabei eine zentrale Rolle als Nachweis der Erbenstellung und zur Absicherung des gutgläubigen Erwerbs durch Dritte.
Haben Sie weitere Fragen zu diesen komplexen Themen?