BGB § 1959 Geschäftsführung vor der Ausschlagung – Rechtsstellung des endgültigen Erben
Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,
wir sprechen heute über einen wichtigen Aspekt des Erbrechts, nämlich die Geschäftsführung vor der Ausschlagung der Erbschaft und die damit verbundenen rechtlichen Fragen. Dies regelt der BGB § 1959. Bevor wir in die Details gehen, möchte ich Ihnen einige zentrale Begriffe verständlich erläutern.
Wichtige juristische Begriffe einfach erklärt
- BGB (§ 1959): Das BGB ist das Bürgerliche Gesetzbuch, die zentrale Sammlung von Gesetzen, die unser tägliches Leben regeln. Der Paragraph 1959 ist Teil des Erbrechts und befasst sich damit, was passiert, wenn jemand eine Erbschaft noch nicht endgültig angenommen oder ausgeschlagen hat.
- Vorläufiger Erbe: Das ist die Person, die eigentlich erben würde, aber die Erbschaft noch nicht angenommen hat. Es kann also noch sein, dass diese Person die Erbschaft ablehnt (ausschlägt).
- Endgültiger Erbe: Das ist die Person, die letztendlich die Erbschaft annimmt, sei es der ursprüngliche vorläufige Erbe, der die Erbschaft annimmt, oder jemand anderes, wenn der vorläufige Erbe die Erbschaft ausschlägt.
- Ausschlagung der Erbschaft: Das bedeutet, dass ein Erbe die Erbschaft ablehnt. Man möchte sie nicht haben, vielleicht weil der Nachlass überschuldet ist. Dies muss innerhalb einer bestimmten Frist geschehen.
- Prozess/Verfahren: Damit ist ein Gerichtsverfahren gemeint, zum Beispiel eine Klage.
- Aktivlegitimation: Ein juristischer Begriff, der besagt, ob jemand berechtigt ist, eine Klage zu führen. Wer klagt, muss auch derjenige sein, dem das Recht zusteht, das er einklagen möchte. Fehlt die Aktivlegitimation, ist die Klage unbegründet, das heißt, sie wird abgewiesen.
- Prozessstandschafter: Eine Person, die im eigenen Namen einen Prozess für jemand anderen führt. Das Gesetz kennt dies im Bereich der Erbschaftsausschlagung in dieser Konstellation nicht.
- § 265 ZPO: Ein Paragraph der Zivilprozessordnung (ZPO), der regelt, was passiert, wenn sich die Person, um die es im Prozess geht, ändert. Hier wird beschrieben, dass dieser Paragraph nicht einfach so angewendet werden kann, wenn der vorläufige Erbe seine Stellung verliert.
- §§ 242, 239 Abs. 5 ZPO: Diese Paragraphen regeln die Unterbrechung eines Prozesses, zum Beispiel wenn eine Partei stirbt. Auch diese Paragraphen können hier nicht einfach analog (sinngemäß) angewendet werden.
- Interventionsmöglichkeiten: Das sind Wege, wie Dritte in einen laufenden Prozess eingreifen können, um ihre eigenen Interessen zu schützen.
- Parteiwechsel: Das bedeutet, dass die Person, die klagt (Kläger), im laufenden Prozess ausgetauscht wird. Dies braucht meistens die Zustimmung des Beklagten (der Person, gegen die geklagt wird). Nur wenn der Parteiwechsel sachdienlich ist, also dem Prozess nützt und ihn beschleunigt, kann er auch ohne Zustimmung erfolgen, besonders wenn der endgültige Erbe die bisherige Prozessführung genehmigt hat.
- Prozessökonomie: Dieses Prinzip besagt, dass ein Gerichtsverfahren möglichst effizient und schnell ablaufen soll, ohne unnötige Verzögerungen oder Kosten.
- Unaufschiebbare Maßnahme (§ 1959 Abs. 2 BGB): Das sind dringende Handlungen, die der vorläufige Erbe vornehmen muss, um den Nachlass zu schützen, bevor feststeht, wer der endgültige Erbe ist. Zum Beispiel, wenn verderbliche Waren verkauft werden müssen, um einen Verlust zu vermeiden.
- Rechtskraft: Wenn ein Urteil rechtskräftig ist, bedeutet das, dass es endgültig und nicht mehr anfechtbar ist. Es kann also nicht mehr durch Rechtsmittel wie Berufung oder Revision geändert werden.
- Rechtsnachfolger: Eine Person, die die Rechte und Pflichten einer anderen Person übernimmt. Der endgültige Erbe ist nicht automatisch der Rechtsnachfolger des vorläufigen Erben im Prozess.
- § 325 ZPO: Dieser Paragraph regelt, für und gegen wen ein Urteil wirkt. Hier wird klargestellt, dass ein Urteil gegen den vorläufigen Erben nicht automatisch gegen den endgültigen Erben wirkt.
- Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO): Ein Rechtsmittel, mit dem man sich gegen eine Zwangsvollstreckung wehren kann, wenn der Anspruch, aus dem vollstreckt wird, nicht (mehr) besteht.
- Einstweiliger Rechtsschutz: Dringende gerichtliche Maßnahmen, die schnell eine vorläufige Regelung treffen, um Nachteile abzuwenden, bevor eine endgültige Entscheidung im Hauptsacheverfahren getroffen wird.
- Genehmigung der Prozessführung: Wenn der endgültige Erbe ausdrücklich zustimmt, dass die bisherige Prozessführung des vorläufigen Erben für ihn gelten soll. Diese Genehmigung wirkt aber nur zu seinen Lasten, nicht zu seinen Gunsten.
- Vollstreckungstitel: Ein Dokument (z.B. ein Urteil), das die Berechtigung zur Zwangsvollstreckung begründet.
- Vollstreckungsklausel: Eine amtliche Bestätigung auf einem Vollstreckungstitel, dass die Zwangsvollstreckung eingeleitet werden darf.
- Insolvenz des vorläufigen Erben: Wenn der vorläufige Erbe zahlungsunfähig ist. Dann geht die Verfügungsgewalt über sein eigenes Vermögen an einen Insolvenzverwalter über.
- Insolvenzverwalter: Eine Person, die im Insolvenzverfahren das Vermögen des Schuldners verwaltet und verwertet, um die Gläubiger zu befriedigen.
- Nachlassinsolvenzverfahren: Ein spezielles Insolvenzverfahren, das nur das Vermögen des Verstorbenen (den Nachlass) betrifft, um die Nachlassgläubiger zu befriedigen.
- Nachlassverwaltung: Eine gerichtliche Maßnahme, bei der ein Nachlassverwalter eingesetzt wird, um den Nachlass zu sichern und zu verwalten, oft um zu klären, wer erbberechtigt ist oder wenn die Erbschaft sehr komplex ist.
- Anfechtungsgesetz (AnfG): Ein Gesetz, das es Gläubigern ermöglicht, bestimmte Rechtshandlungen eines Schuldners rückgängig zu machen, wenn diese die Gläubiger benachteiligen.
BGB § 1959 Geschäftsführung vor der Ausschlagung – Rechtsstellung des endgültigen Erben
Was passiert, wenn der vorläufige Erbe während eines Prozesses seine Erbenstellung verliert?
Stellen Sie sich vor, der vorläufige Erbe (die Person, die eigentlich erben würde) hat einen Gerichtsstreit begonnen, weil er dachte, er sei der Erbe. Während dieses Prozesses schlägt er aber die Erbschaft aus. Was geschieht dann mit dem Prozess?
Grundsätzlich verliert der vorläufige Erbe in diesem Moment seine Berechtigung, die Klage weiterzuführen. Juristen nennen das mangelnde Aktivlegitimation. Die Klage wird dann abgewiesen. Das Gesetz sieht in solchen Fällen nicht vor, dass einfach der endgültige Erbe (der die Erbschaft dann wirklich antritt) in den Prozess eintritt und ihn fortführt. Auch eine automatische Unterbrechung des Prozesses, damit der endgültige Erbe übernehmen kann, ist nicht vorgesehen.
Die einzigen Möglichkeiten sind, dass der endgültige Erbe auf andere Weise in den Prozess eingreift (sogenannte Interventionen) oder dass die Person, die klagt, im laufenden Prozess ausgetauscht wird (ein Parteiwechsel). Für einen solchen Parteiwechsel braucht man aber normalerweise die Zustimmung des Beklagten (der Person, gegen die geklagt wird). Nur wenn der Wechsel dem Prozess nützt und der endgültige Erbe die bisherigen Handlungen im Prozess genehmigt hat, kann es auch ohne Zustimmung gehen.
Einige meinen, wenn die Prozessführung durch den vorläufigen Erben unaufschiebbar war (also sehr dringend, um den Nachlass zu schützen), sollte es eine Ausnahme geben. Sie fordern, dass in diesem Fall der Prozess unterbrochen werden sollte und der endgültige Erbe ohne Zustimmung des Beklagten übernehmen könnte. Diese Ansicht wird aber von den meisten Juristen abgelehnt. Der Grund: Es wäre im laufenden Prozess schwer zu beurteilen, ob eine Handlung wirklich so dringend war. Das würde die Prozessökonomie stark beeinträchtigen. Es bleibt dabei: Ein Parteiwechsel nur mit Zustimmung des Beklagten oder bei Sachdienlichkeit.
Was geschieht, wenn die Erbschaft nach dem Prozess ausgeschlagen wird?
Nehmen wir an, der vorläufige Erbe hat den Prozess beendet, und es gibt ein Urteil. Erst danach schlägt er die Erbschaft aus. Wirkt dieses Urteil dann für und gegen den endgültigen Erben?
Grundsätzlich lautet die Antwort: Nein. Der endgültige Erbe ist nicht einfach der Rechtsnachfolger des vorläufigen Erben in Bezug auf den Prozess. Das Urteil, das gegen den vorläufigen Erben ergangen ist, wirkt nicht automatisch gegen den endgültigen Erben. Der Beklagte könnte sogar eine Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil mit einer sogenannten Vollstreckungsgegenklage abwehren.
Es gibt aber zwei Ausnahmen, die in der Rechtslehre diskutiert werden:
- Wenn die Klage eine unaufschiebbare Maßnahme nach § 1959 Abs. 2 BGB war: Wenn die Klage des vorläufigen Erben wirklich sehr dringend war, könnte das Urteil in diesem Ausnahmefall auch für den endgültigen Erben gelten. Dies ist besonders im einstweiligen Rechtsschutz denkbar, da diese Verfahren von Natur aus dringlich sind und beiden Parteien noch Möglichkeiten bleiben, die Angelegenheit im Hauptverfahren endgültig zu klären.
- Wenn der endgültige Erbe die Prozessführung genehmigt: Wenn der endgültige Erbe der bisherigen Prozessführung des vorläufigen Erben zustimmt, wirkt diese Genehmigung. Aber Achtung: Diese Genehmigung wirkt nur zulasten des endgültigen Erben, niemals zu seinen Gunsten. Das heißt, er muss die negativen Folgen tragen, kann aber keine Vorteile daraus ziehen, die ihm sonst nicht zustünden.
Zwangsvollstreckung durch den vorläufigen Erben
Der vorläufige Erbe kann nicht nur Prozesse führen, sondern auch versuchen, aus einem Urteil, das der Verstorbene erwirkt hatte, zu vollstrecken. Dafür braucht er aber eine sogenannte Vollstreckungsklausel, die ihn als Rechtsnachfolger ausweist.
Insolvenz des vorläufigen Erben
Wenn der vorläufige Erbe zahlungsunfähig ist und ein Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet wird, verliert er die Verfügungsgewalt über sein eigenes Vermögen. Die Stellung als vorläufiger Erbe bleibt aber erhalten. Das bedeutet, nur er kann noch die Erbschaft annehmen oder ausschlagen. Jedoch kann er keine Verfügungen über Nachlassgegenstände treffen, die er als endgültiger Erbe im Insolvenzverfahren nicht hätte treffen können. Einseitige Rechtsgeschäfte können nur ihm gegenüber, nicht aber gegenüber dem Insolvenzverwalter, vorgenommen werden.
Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens
Der vorläufige Erbe kann auch die Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens beantragen. Wird dieses Verfahren eröffnet, verliert der vorläufige Erbe seine Befugnis, über den Nachlass zu verfügen. Diese Befugnis geht auf den Nachlassinsolvenzverwalter über. Der vorläufige Erbe kann dann keine Handlungen mehr im Namen des Nachlasses vornehmen. Handlungen, die er vor der Eröffnung des Verfahrens vorgenommen hat, bleiben aber grundsätzlich wirksam, können aber unter Umständen angefochten werden.
BGB § 1959 Geschäftsführung vor der Ausschlagung – Rechtsstellung des endgültigen Erben
Anordnung der Nachlassverwaltung
Wird eine Nachlassverwaltung angeordnet, verliert der vorläufige Erbe ebenfalls das Recht, den Nachlass zu verwalten und darüber zu verfügen. Diese Aufgabe übernimmt dann der Nachlassverwalter. Auch hier behalten Handlungen, die vor der Anordnung vorgenommen wurden, ihre Gültigkeit, können aber angefochten werden. Wenn der vorläufige Erbe später doch der endgültige Erbe wird, ist er den Nachlassgläubigern gegenüber verpflichtet und dem Nachlass gegenüber berechtigt, wie es im § 1959 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 BGB steht.
Abschließend ist noch zu erwähnen, dass die Verjährung eines Anspruchs, der zum Nachlass gehört oder sich gegen den Nachlass richtet, nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach der Annahme der Erbschaft, der Insolvenzeröffnung oder der Bestellung eines Nachlassvertreters (wie Testamentsvollstrecker, Nachlasspfleger oder Nachlassverwalter) eintritt (§ 211 S. 1 BGB). Das gibt allen Beteiligten eine gewisse Zeit, um sich zu orientieren und die Rechtslage zu klären.
Ich hoffe, diese Zusammenfassung hat Ihnen die komplexen Zusammenhänge des § 1959 BGB verständlicher gemacht.