BGB § 1959 Geschäftsführung vor der Ausschlagung – Vornahme von Rechtsgeschäften gegenüber dem vorläufigen Erben
Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,
wenn jemand verstirbt, gibt es oft eine Zeit der Ungewissheit, bevor feststeht, wer endgültig die Erbschaft antritt. In dieser Phase spricht man vom vorläufigen Erben. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) regelt in § 1959 Absatz 3 speziell, welche Rechtsgeschäfte in dieser Übergangszeit mit dem vorläufigen Erben vorgenommen werden können und welche Wirkungen diese haben. Diese Regelung ist wichtig, damit Dritte, die mit dem Nachlass zu tun haben, nicht durch die unklare Erbschaftslage benachteiligt werden.
Ein vorläufiger Erbe ist die Person, die aufgrund der gesetzlichen Erbfolge oder eines Testaments zunächst als Erbe angesehen wird, aber noch nicht endgültig entschieden hat, ob sie die Erbschaft annimmt oder ausschlägt. Das deutsche Erbrecht sieht eine Frist von sechs Wochen vor, innerhalb derer der Erbe über die Annahme oder Ausschlagung entscheiden muss. Während dieser Zeit ist der vorläufige Erbe für den Nachlass zuständig, allerdings mit gewissen Einschränkungen.
§ 1959 Absatz 3 BGB befasst sich damit, dass bestimmte Rechtsgeschäfte, die von Dritten gegenüber dem vorläufigen Erben vorgenommen werden, auch dann wirksam bleiben, wenn der vorläufige Erbe die Erbschaft später doch ausschlägt oder die Annahme anficht. Die Vorschrift soll verhindern, dass Dritte durch die vorläufige Erbenstellung benachteiligt werden und ihre Rechte verlieren. Es geht dabei vor allem um einseitige Rechtsgeschäfte.
Einseitige Rechtsgeschäfte sind Erklärungen, die von einer Person abgegeben werden und für ihre Wirksamkeit nicht die Zustimmung einer anderen Person benötigen. Oft sind diese Erklärungen an Fristen gebunden. Wenn man diese Erklärungen nicht rechtzeitig abgeben kann, weil noch nicht feststeht, wer der endgültige Erbe ist, könnte ein Rechtsverlust drohen. Deshalb erlaubt § 1959 Absatz 3 BGB, dass solche Erklärungen bereits gegenüber dem vorläufigen Erben abgegeben werden können.
Dabei handelt es sich um eine ganze Reihe von wichtigen Erklärungen, die im Rechtsverkehr häufig vorkommen:
Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht alle Rechtsgeschäfte unter § 1959 Absatz 3 BGB fallen:
Verpflichtungsgeschäfte sind Verträge, bei denen sich zwei Parteien zu einer Leistung verpflichten (z.B. ein Kaufvertrag). Diese erfordern immer die Mitwirkung des vorläufigen Erben, da er selbst aktiv werden und sich verpflichten muss. § 1959 Absatz 3 BGB ist jedoch auf Erklärungen beschränkt, die gegenüber dem Erben abgegeben werden.
Auch wenn es in der Rechtsprechung diskutiert wird, ob Verpflichtungsgeschäfte, insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen wie Miet- oder Arbeitsverträgen, nicht doch erfasst sein sollten, lehnt die überwiegende Meinung dies ab. Der Grund: Der vorläufige Erbe ist sich der Vorläufigkeit seiner Stellung bewusst und handelt bei solchen Verpflichtungen auf eigenes Risiko. Für den Schutz der Geschäftspartner des vorläufigen Erben reicht es aus, dass sie diesen direkt in Anspruch nehmen können. Außerdem ist der Erbschein das offizielle Dokument, das die Erbenstellung nachweist. Wer ohne Erbschein mit dem vorläufigen Erben Geschäfte macht, trägt ebenfalls ein eigenes Risiko.
Die Frage, ob eine Leistung (z.B. eine Zahlung) an den vorläufigen Erben befreiend wirkt, wird ebenfalls diskutiert. Die herrschende Meinung befürwortet dies nicht ohne Weiteres. Der Dritte, der eine Leistung erbringen muss, kann sich vor dem Risiko schützen, in Schuldnerverzug zu geraten, indem er die Leistung hinterlegt (§ 372 BGB) oder in bestimmten Fällen versteigert (§ 383 BGB).
Allerdings kann ein Dritter den vorläufigen Erben sehr wohl in Annahmeverzug setzen, indem er ihm die Leistung anbietet (§ 294 BGB). Wenn dies geschieht, kann der vorläufige Erbe die Leistung unter bestimmten Umständen (wenn Dringlichkeit besteht, wie bei drohendem Gläubigerverzug) mit Wirkung für den endgültigen Erben annehmen.
Ein wichtiger Unterschied zu § 1959 Absatz 2 BGB ist, dass § 1959 Absatz 3 BGB keine Dringlichkeit des Rechtsgeschäfts verlangt. Das bedeutet, die Erklärung ist auch dann wirksam, wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt ohne Rechtsverlust hätte abgegeben werden können.
Auch die Bösgläubigkeit des Erklärenden spielt keine Rolle. Selbst wenn derjenige, der die Erklärung abgibt, weiß, dass der Empfänger nur der vorläufige Erbe ist, bleibt die Erklärung wirksam gegenüber dem endgültigen Erben.
Damit die Erklärung wirksam ist, muss sie den allgemeinen Voraussetzungen für Rechtsgeschäfte entsprechen. Das heißt, sie muss ordnungsgemäß abgegeben und dem vorläufigen Erben zugegangen sein. Außerdem muss es dem vorläufigen Erben überhaupt möglich sein, die Erklärung entgegenzunehmen. Dies ist zum Beispiel nicht der Fall, wenn er geschäftsunfähig ist oder bereits ein Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter bestellt wurde. Wenn jedoch ein Nachlasspfleger bestellt ist oder der vorläufige Erbe insolvent ist, bleibt seine Empfangszuständigkeit bestehen.
Die Erklärung muss dem vorläufigen Erben zugegangen sein, bevor dieser die Erbschaft wirksam ausgeschlagen oder die Annahme wirksam angefochten hat. Geht die Erklärung erst danach zu, ist sie unwirksam, selbst wenn sie vorher abgegeben wurde.
Die wichtigste Rechtsfolge ist, dass die gegenüber dem vorläufigen Erben abgegebene Erklärung auch nach einer Ausschlagung oder Anfechtung der Erbschaftsannahme gegenüber dem endgültigen Erben wirksam bleibt. Die Erklärung muss also nicht wiederholt werden. Sie entfaltet ihre Rechtswirkung unmittelbar.
Allerdings gerät der endgültige Erbe erst mit der Annahme der Erbschaft mit seinem eigenen Vermögen in Schuldnerverzug. Er kann sich dann aber auf eine dreimonatige Einrede berufen (§ 2014 BGB) oder geltend machen, dass er den Verzug nicht verschuldet hat.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass § 1959 Absatz 3 BGB eine wichtige Regelung ist, die Dritten im Umgang mit dem Nachlass in der Phase der Ungewissheit eine gewisse Sicherheit bietet. Es ist jedoch entscheidend zu wissen, welche Art von Rechtsgeschäften darunterfällt und welche nicht, um Rechtsverluste zu vermeiden.
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