BGH XII ZB 197/21

August 10, 2022

BGH XII ZB 197/21

Zu den Voraussetzungen und Begründungsanforderungen, wenn eine Unterbringung für länger als ein Jahr angeordnet oder genehmigt werden soll

(im Anschluss an Senatsbeschlüsse BGH, vom 14. März 2018 – XII ZB 629/17, BGHZ 218, 111 = FamRZ 2018, 950

und BGH, vom 21. April 2021 – XII ZB 520/20, FamRZ 2021, 1242).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 1. April 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Gründe

BGH XII ZB 197/21
I.

Der 1982 geborene Betroffene wendet sich gegen die Genehmigung seiner Unterbringung.

Er leidet an einer paranoiden Schizophrenie mit nunmehr chronifizierter Symptomatik. Für ihn wurde eine Betreuung eingerichtet und ein Berufsbetreuer bestellt, dessen Aufgabenkreis die Gesundheitssorge und die Entscheidung über die Unterbringung umfasst.

Der Betroffene war seit dem Jahr 2016 mit Unterbrechungen mehrfach untergebracht und wurde zuletzt am 26. November 2020 aus der psychiatrischen Klinik entlassen.

Nach einer Verschlechterung seines Zustands wurde er am 28. Dezember 2020 im Wege der einstweiligen Anordnung erneut untergebracht.

Der Betreuer hat im vorliegenden Hauptsacheverfahren die geschlossene Unterbringung des Betroffenen für zwei Jahre zunächst in einem psychiatrischen Fachkrankenhaus und schnellstmöglich in einer geschlossenen sozialtherapeutischen Wohnstätte beantragt.

Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens mit Beschluss vom 5. Februar 2021 die Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses oder einer sozialtherapeutischen Wohnstätte bis zum 29. Dezember 2022 genehmigt.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht mit klarstellenden Maßgaben zum Ort der geschlossenen Unterbringung zurückgewiesen.

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Aufgrund der paranoiden Schizophrenie sowie des schizophrenen Residualsyndroms bestehe beim Betroffenen die reale Gefahr, dass er sich selbst einen erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB).

Der Betroffene vernachlässige die Einnahme der Medikamente.

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Es drohe eine erhebliche Verschlechterung seiner psychischen Gesundheit sowie eine Destabilisierung seines körperlichen Zustands, die sein weiteres Leben höchst nachteilig beeinflussen oder auch beenden könnten. Eine fehlende adäquate Versorgung führe wohl unausweichlich zu einer fortschreitenden Verelendung des Betroffenen.

Eine kurzfristige Unterbringung sei nicht ausreichend.

Der Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung einer sozialtherapeutischen Einrichtung sei als milderer Form der Vorzug zu geben, sobald dort ein Platz zur Verfügung stehe.

Ein Heimaufenthalt ohne geschlossene Unterbringung oder gar eine ambulante Behandlung erscheine nicht möglich, da sich der Betroffene beidem mit größter Sicherheit entziehe.

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

a) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde allerdings geltend, dass keine durch ein Sachverständigengutachten gesicherten Feststellungen zur Aufhebung des freien Willens bei dem Betroffenen getroffen worden seien

(vgl. Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2020 – XII ZB 183/20 – NJW-RR 2021, 3 Rn. 11 mwN).

Das Beschwerdegericht hat sich mit dem Krankheitsbild des Betroffenen auseinandergesetzt und einen nachhaltigen Einfluss der Erkrankung auf die Willensbildung des unter Halluzinationen und Wahnvorstellungen leidenden Betroffenen festgestellt, die sein Denken und Handeln weitgehend beeinflusse.

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Das einem freien Willen immanente Kritik- und Urteilsvermögen werde durch die Erkrankung aufgehoben und durch krankhafte Prozesse außer Funktion gesetzt.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist der Ausschluss des freien Willens auch an verschiedenen Stellen im Gutachten der Sachverständigen belegt, wonach der Betroffene “ganz offensichtlich nicht zur freien Willensbestimmung (…) in der Lage” und “die Krankheits- und Behandlungseinsicht … nicht mehr ansatzweise vorhanden” sei.

b) Die Rechtsbeschwerde beanstandet jedoch zutreffend, dass der angefochtene Beschluss keine tragfähige Begründung für die Dauer der Unterbringung und insbesondere das Abweichen von der gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 FamFG regelmäßig ein Jahr betragenden Höchstfrist enthält.

aa) Nach dieser Vorschrift endet die Unterbringung spätestens mit Ablauf eines Jahres, bei offensichtlich langer Unterbringungsbedürftigkeit spätestens mit Ablauf von zwei Jahren, wenn sie nicht vorher verlängert wird.

Die Befristung auf längstens ein Jahr stellt damit eine gesetzliche Begrenzung für die Dauer der Unterbringung dar, die nur unter besonderen Voraussetzungen überschritten werden darf.

Wird über die regelmäßige Höchstfrist der geschlossenen Unterbringung von einem Jahr hinaus eine Unterbringung von bis zu zwei Jahren genehmigt oder angeordnet,

ist diese Abweichung vom Regelfall im Hinblick auf den hohen Rang des Rechts auf Freiheit der Person ausreichend zu begründen.

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Solche Gründe können sich etwa aus konkreten Feststellungen über die Dauer einer notwendigen Therapie oder aus fehlenden Heilungs- und Besserungsaussichten bei anhaltender Eigengefährdung ergeben.

Dabei erfordert das im Gesetz genannte Merkmal der “Offensichtlichkeit”, dass die Gründe für eine über ein Jahr hinaus währende Unterbringungsbedürftigkeit für das sachverständig beratene Gericht deutlich und erkennbar hervortreten

(Senatsbeschlüsse BGHZ 218, 111 = FamRZ 2018, 950 Rn. 34 mwN

und vom 21. April 2021 – XII ZB 520/20 – FamRZ 2021, 1242 Rn. 9).

bb) Hierzu finden sich in der angefochtenen Entscheidung keine tragfähigen Feststellungen.

Das Beschwerdegericht hat lediglich ausgeführt, die vom Amtsgericht vorerst angeordnete Zeitdauer der Unterbringung begegne keinen Bedenken

und die Krankheitsgeschichte des Betroffenen zeige, dass durch eine kurzfristige Unterbringung eine Stabilisierung nicht erreicht werden könne.

Dies begründet nicht, warum eine Unterbringungsdauer von zwei Jahren angezeigt ist. Im Gegenteil stellt bereits die einjährige Unterbringung die grundsätzlich zu beachtende und nur ausnahmsweise zu überschreitende Höchstfrist dar.

Darüber hinaus hat sich das Beschwerdegericht nicht damit auseinandergesetzt, dass das Sachverständigengutachten, auf das es verwiesen hat,

keine eindeutige Aussage zur Unterbringungsdauer trifft. Dort wird lediglich ausgeführt, dass “keine Alternative zu einer langfristigen Unterbringung” bestehe und dass die “volle Unterbringungszeit, die der Gesetzgeber ermöglicht, zu berücksichtigen” sei.

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Ob hiermit die grundsätzliche Höchstfrist von einem Jahr oder die nur ausnahmsweise zur Verfügung stehende Frist von zwei Jahren gemeint ist, hat das Beschwerdegericht nicht näher aufgeklärt.

Hierzu hätte jedoch schon deshalb Anlass bestanden, weil die gleiche Sachverständige in einem – seinerzeit zur Entlassung des Betroffenen aus der geschlossenen Einrichtung führenden – Vorgutachten vom 25. November 2020 noch angenommen hatte, dass der Betroffene zu diesem Zeitpunkt wegen Erreichung des Therapieziels zu einer freien Willensbestimmung in der Lage gewesen sei.

3. Die angegriffene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Sie ist gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Die Sache ist gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, das die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben wird.

Die Aufhebung gibt dem Beschwerdegericht zugleich Gelegenheit, sich im Hinblick auf die teils sachfremden Ausführungen im schriftlichen Gutachten die Frage nach der Eignung der Sachverständigen vorzulegen.

Für das weitere Verfahren weist der Senat zudem darauf hin, dass angesichts des der Unterbringung entgegenstehenden Willens des Betroffenen im Fall einer erneuten Zurückweisung der Beschwerde gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG eine förmliche Zustellung geboten ist

(vgl. Senatsbeschluss vom 20. Oktober 2021 – XII ZR 314/21 – FamRZ 2022, 226 Rn. 5 ff. mwN).

4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Guhling

Klinkhammer

Günter

Nedden-Boeger

Botur

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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