BGH, Datum: 28. April 2010, Aktenzeichen: IV ZR 230/08
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Kammergerichts vom 13. März 2008 im Umfang der Revisionszulassung aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Die Kläger begehren Auskunft über die Höhe von Lebensversicherungsleistungen, die der Beklagten in ihrer Eigenschaft als Bezugsberechtigte ausgezahlt wurden.
Beim Tod des Erblassers war dessen zweite Ehefrau, die Beklagte, als Alleinerbin und widerruflich als Bezugsberechtigte zweier Lebensversicherungen eingesetzt, die der Erblasser auf sein eigenes Leben abgeschlossen hatte. Die Kläger, Söhne des Erblassers aus erster Ehe, sind der Ansicht, ihr – in Bezug auf die Bezugsberechtigung dem Grunde nach unstreitiger – Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 Abs. 1 BGB sei auf Grundlage der vom Versicherer an die Beklagten ausgezahlten Todesfallleistung zu berechnen und nicht – wie die Beklagte meint – nach den gezahlten Prämien.
Das Landgericht hat den entsprechenden Auskunftsantrag abgewiesen, das Berufungsgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr Auskunftsbegehren weiter.
Die Revision der Kläger hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts steht den Klägern ein Auskunftsanspruch aus § 2314 BGB, der sich auch auf den so genannten fiktiven Nachlassbestand erstrecken könne, nicht zu, weil hinsichtlich der Versicherungssumme kein Anspruch nach § 2325 BGB auf Pflichtteilsergänzung bestehe. Für den Pflichtteilsergänzungsanspruch sei nicht die Versicherungssumme als zugewendet anzusehen, sondern die Aufwendungen, mit denen sie erworben wurde. Nur diese Aufwendungen – die Summe der gezahlten Prämien – stammten aus dem Vermögen des Versicherungsnehmers. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23. Oktober 2003 (BGHZ 156, 350), in welchem der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs für das Insolvenzrecht entschieden habe, dass bei Insolvenz des Nachlasses nach erfolgter Anfechtung gemäß § 134 InsO die gesamte Versicherungsleistung – und nicht nur wie nach bisher herrschender Auffassung die Prämiensumme – zur Masse zurückgefordert werden könne, wenn der Erblasser einem Dritten unentgeltlich ein widerrufliches Bezugsrecht eingeräumt habe. Da das Gesetz im Rahmen des Pflichtteilsergänzungsanspruchs eine Anfechtungsmöglichkeit nicht vorsehe, seien die Rechtslagen nicht miteinander vergleichbar.
Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass der Pflichtteilsberechtigte gemäß § 2314 Abs. 1 BGB vom Erben auch Auskunft über den so genannten fiktiven Nachlass verlangen kann, also über Zuwendungen des Erblassers, die einen Pflichtteilsergänzungsanspruch aus § 2325 Abs. 1 BGB begründen können (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur BGHZ 89, 24, 26 f.; 61, 180, 183; 55, 378, 379). Zu Unrecht meint es jedoch, der Auskunftsanspruch der Kläger beschränke sich hier auf die Mitteilung der für die beiden Lebensversicherungen gezahlten Prämien, weil nur diese der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs zu Grunde gelegt werden könnten.
Wendet der Erblasser die Todesfallleistung aus einem von ihm auf sein eigenes Leben abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag einem Dritten über ein widerrufliches Bezugsrecht schenkweise zu, so berechnet sich ein Pflichtteilsergänzungsanspruch weder nach der Versicherungsleistung noch nach der Summe der vom Erblasser gezahlten Prämien. Es kommt vielmehr allein auf den Wert an, den der Erblasser aus den Rechten seiner Lebensversicherung in der letzten – juristischen – Sekunde seines Lebens nach objektiven Kriterien für sein Vermögen hätte umsetzen können.
Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. BGHZ 7, 134; Senatsurteil vom 4. Februar 1976 – IV ZR 156/73 – FamRZ 1976, 616 unter 2), die auf die vom Erblasser gezahlten Prämien abstellt, nicht mehr fest. Die Änderung der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats (BGHZ 156, 350) ist auf das Erbrecht nicht übertragbar.
Die Gegenstimmen in der Literatur (vgl. etwa Jörg Mayer DNotZ 2000, 905; Bayer, Der Vertrag zugunsten Dritter [1995] S. 315 f.; Lorenz in Dieter Farny und die Versicherungswissenschaft [1994] S. 355 ff.; Fuchs JuS 1989, 179, 182; Harder FamRZ 1976, 617 und Zuwendungen unter Lebenden auf den Todesfall [1968] S. 128 f. Fn. 36; Thiele, Lebensversicherung und Nachlassgläubiger [1968] S. 107 und 116; Josef ArchBürgR 42 [1916] 319, 322 ff.; Natter ZBlFG 1907/08, 303, 305 ff.; wohl auch Heilmann VersR 1972, 997, 999 und 1001) sehen sich durch die neue Rechtsprechung zum Insolvenzrecht in ihrer Auffassung bestärkt, dass auf die Versicherungsleistung abzustellen ist (vgl. Jörg Mayer in Bamberger/Roth, BGB 2. Aufl. § 2325 Rdn. 9; Kollhosser in Prölss/ Martin, VVG 27. Aufl. § 13 ALB 86 Rdn. 48; Hasse VersR 2009, 733, VersR 2008, 590, VersR 2007, 870, VersR 2005, 1176 und Lebensversicherung und erbrechtliche Ausgleichsansprüche [2005] S. 37 ff.; Progl ZErb 2008, 288 und ZErb 2004, 187; Schindler ZErb 2008, 331, 332; Sticherling ZErb 2008, 31 und ZErb 2008, 245; Dörner NJW 2007, 572; Kuhn/Rohlfing ErbR 2006, 11; Elfring ZEV 2004, 305, NJW 2004, 483 und Drittwirkungen der Lebensversicherung [2003] S. 98; Brox/Walker, Erbrecht 22. Aufl. Rdn. 769; Belitz, Anrechnungs- und Ausgleichsprobleme im Erb- und Familienrecht bei Lebensversicherungen [2009] S. 103; Eulberg/Ott-Eulberg/Halaczinsky, Die Lebensversicherung im Erb- und Erbschaftsteuerrecht [2005] Rdn. 218).
Die im Valutaverhältnis zwischen dem Erblasser und dem Bezugsberechtigten von § 2325 Abs. 1 BGB tatbestandlich vorausgesetzte – hier unstreitige – Schenkung i.S. des § 516 Abs. 1 BGB hat zwar den gesamten Anspruch auf die Versicherungsleistung zum Gegenstand (dazu unter a). Da es sich bei dieser Schenkung jedoch um eine mittelbare Zuwendung handelt, muss der Schenkungsgegenstand im Valutaverhältnis nicht gleichzeitig auch der auf der Rechtsfolgenseite des § 2325 Abs. 1 BGB für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs maßgebliche “verschenkte Gegenstand” sein (dazu unter b). Vielmehr ist in diesem Rahmen darauf abzustellen, auf welchem vom Erblasser aus seinem Vermögen weggegebenen Vermögenswert die Bereicherung des Bezugsberechtigten beruht (dazu unter c). Da bei Einräumung eines widerruflichen Bezugsrechts die Wirkung der Zuwendung erst mit dem Tod des Erblassers eintritt, ist dies der Wert, den der Erblasser noch selbst in der letzten juristischen Sekunde seines Lebens durch Verwertung seiner Ansprüche – Einziehung oder Veräußerung – seinem Vermögen hätte erhalten können, den er aber zu Gunsten der Entstehung des Anspruchs des Bezugsberechtigten untergehen lässt (dazu unter d und e). Nach oben begrenzt ist der Wert durch die Versicherungsleistung selbst (dazu unter f).
Entreicherung und Bereicherung werden jedoch vermittelt durch die Einschaltung des Versicherers und die vertraglichen Absprachen im Deckungsverhältnis. Ohne die Leistungen des Erblassers wäre der Versicherer weder bereit noch verpflichtet, an den Begünstigten zu leisten. Ein solches Dreiecksverhältnis kann zutreffend so beschrieben werden, dass der Erblasser den Anspruch des Bezugsberechtigten durch seine Leistungen an der Versicherer “erkauft” (vgl. BGHZ 156, 350, 355).
Insoweit ist anerkannt, dass auch ein Geschäft, bei dem “einer einem anderen mit seinen Mitteln einen Gegenstand von einem Dritten verschafft, ohne dass der Schenker selbst zunächst Eigentümer geworden zu sein braucht” (Senatsurteil vom 29. Mai 1952 – IV ZR 167/51 – NJW 1952, 1171), als so genannte mittelbare Schenkung den Tatbestand des § 516 Abs. 1 BGB erfüllt. Dies umfasst auch die hier vorliegende Form der mittelbaren Zuwendung, bei der der Schenker einen Gegenstand aus seinem Vermögen (Entreicherungsgegenstand) an einen Dritten leistet, damit dieser dem Beschenkten einen anderen Gegenstand (Bereicherungsgegenstand) zukommen lässt (vgl. J. Koch in MünchKomm-BGB, 5. Aufl. § 516 Rdn. 10).
bb) Da der Vertragsschluss als solcher unstreitig ist, kann hier offen bleiben, ob der Schenkungsvertrag bereits zu Lebzeiten des Erblassers oder erst postmortal – etwa durch konkludente Übermittlung einer entsprechenden Willenserklärung des Erblassers durch den Versicherer bei Auszahlung der Versicherungsleistung – zu Stande gekommen ist. Zwar wäre ein lebzeitiges Schenkungsversprechen wegen des Verstoßes gegen § 518 1 Satz 1 BGB formunwirksam gewesen. Eine Lebensversicherung, bei der der Versicherungsnehmer hinsichtlich der Todesfallleistung eine widerrufliche Bezugsberechtigung zu Gunsten eines Dritten bestimmt, ist jedoch – ab Eintritt des Todes – ein Vertrag zu Gunsten Dritter (§§ 328, 331 BGB) auf den Todesfall. Der Formmangel wäre somit im Zeitpunkt des Todes durch die Bewirkung der Leistung – in Form des (“Vonselbst-“)Erwerbs auf Grund des Vertrags zu Gunsten Dritter – geheilt worden (vgl. Senatsurteile vom 10. Mai 1989 – IVa ZR 66/88 – NJW-RR 1989, 1282 unter 4; vom 5. März 1986 – IVa ZR 141/84 – NJW 1986, 2107 unter II; vom 19. Oktober 1983 – IVa ZR 71/82 – NJW 1984, 480 unter 1; vom 14. Juli 1976 – IV ZR 123/75 – WM 1976, 1130 unter II). Da es sich um ein Rechtsgeschäft unter Lebenden handelt, war die Einhaltung der Form des § 2301 BGB nicht erforderlich (vgl. BGHZ 157, 79, 82; 99, 97, 100; Senatsurteil vom 25. April 1975 – IV ZR 63/74 – NJW 1975, 1360 unter 1 a).
cc) Gegenstand der Schenkung im Valutaverhältnis ist der gesamte Anspruch auf die Versicherungsleistung, den der Erblasser dem Bezugsberechtigten zuwenden wollte.
Ein Rückgriff auf die Prämienzahlungen – oder einen anderen Wert unterhalb der Versicherungsleistung – als Gegenstand der Zuwendung im Valutaverhältnis führte zu einem nicht auflösbaren Widerspruch im Rahmen eines bereicherungsrechtlichen Ausgleichs. Dem Schenkungsvertrag ließe sich dann lediglich ein Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Prämien, nicht aber der überschießenden Versicherungsleistung entnehmen. Das Fehlen eines Rechtsgrunds hätte zur Folge, dass die Erben den überschießenden Teil der Versicherungsleistung kondizieren könnten (vgl. Senatsurteile vom 1. April 1987 – IVa ZR 26/86 – NJW 1987, 3131 unter 2; vom 14. Juli 1976 aaO; Kuhn/Rohlfing ErbR 2006, 11, 15; Harder FamRZ 1976, 617, 618). Dies widerspräche aber dem Willen des Erblassers. Im Valutaverhältnis ist daher der Anspruch auf die gesamte Versicherungsleistung – und damit der Bereicherungsgegenstand – Gegenstand der Schenkung (so ausdrücklich für die “schenkungsrechtliche Sicht” J. Koch aaO Rdn. 89).
Diese Unterscheidung zwischen dem Schenkungsgegenstand im Valutaverhältnis und “verschenktem Gegenstand” – und damit zwischen Tatbestand und Rechtsfolge des § 2325 Abs. 1 BGB – entspricht der bisherigen Rechtsprechung. In den Ausführungen des Reichsgerichts (RGZ 128, 187, 190 f.) wird dies deutlich, wenn es einerseits ausdrücklich als Schenkungsgegenstand den Anspruch auf die Versicherungssumme feststellt, andererseits jedoch davon abweichend den Pflichtteilsergänzungsanspruch nach der lebzeitigen Entreicherung des Erblassers in Form der Prämien bemisst. Auch der Senat hat im Urteil vom 1. April 1987 (aaO unter 4) angedeutet, dass für die Berechnung des Ergänzungspflichtteils ein anderer Gegenstand maßgeblich sein muss als für den Bereicherungsausgleich im Valutaverhältnis. Nur vor diesem Hintergrund lassen sich ferner die Aussagen des Senats im Urteil vom 4. Februar 1976 (IV ZR 156/73 – FamRZ 1976, 616 unter 2) und des XII. Zivilsenats (BGHZ 130, 377, 380), dass “Gegenstand der Schenkung” nur die Prämien seien, als die dort beabsichtigte Fortführung der Rechtsprechung des Reichsgerichts verstehen.
Ein Insolvenzgläubiger droht mit einer konkret bestehenden Forderung gegen den Insolvenzschuldner auszufallen. Mit Hilfe der Insolvenzanfechtung soll ein möglichst großes Vermögen des Schuldners als Haftungsmasse gesichert und dadurch der Ausfall reduziert werden. Die Stellung des Pflichtteilsberechtigten ist dagegen eine ganz andere (so schon, wenn auch mit umgekehrtem Blickwinkel, Josef, ArchBürgR 42 [1916] 319, 329). Er hat gegen den Erblasser keine konkrete Forderung. Vielmehr hat er allein aufgrund seiner familiären Nähe zum Erblasser ein – verfassungsmäßig verbürgtes (Art. 14 Abs. 1 GG) – Recht auf Teilhabe an dessen Vermögenswerten, sobald sie der Erblasser selbst – wegen seines Versterbens – nicht mehr benötigt. Daher ist der Pflichtteilsberechtigte nur dagegen geschützt, dass der Erblasser diese Vermögenswerte unentgeltlich weggibt, nicht jedoch dagegen, dass der Erblasser sie selbst verbraucht, verprasst oder in Anlagen investiert, mit denen der Pflichtteilsberechtigte nicht einverstanden ist. Während der Insolvenzgläubiger also eine konkrete, ihm zustehende Forderung einzutreiben versucht und hierfür Vermögen des Schuldners als Haftungsmasse gesichert werden muss, soll der Pflichtteilsberechtigte, ohne eine Forderung in bestimmter Höhe zu haben, einen Anteil an dem bekommen, was vom Vermögen des Erblassers übrig bleibt. Sein Anspruch besteht somit von vornherein nur in der Höhe, die sich aus seinem Anteil an dem hinterlassenen Vermögen ergibt. Soweit mit der Insolvenzanfechtung das Weggegebene nicht zur Masse gezogen werden kann, wird dem Insolvenzgläubiger im Ergebnis ein Vermögenswert entzogen, der ihm als Teil der Haftungsmasse zur Verfügen stehen soll. Der Pflichtteilsberechtigte hat dagegen bereits keinerlei Anspruch auf die vom Erblasser verschenkten Vermögenswerte, soweit sie nicht für die Berechnung des Ergänzungspflichtteils herangezogen werden können.
Die unterschiedliche Schutzwürdigkeit korrespondiert mit der unterschiedlichen gesetzlichen Ausgestaltung der Rechtsfolgen einer unentgeltlichen Weggabe. Bei der Insolvenzanfechtung wird die unentgeltliche Leistung real rückgängig gemacht (§ 143 InsO). Bei der Pflichtteilsergänzung wird die Schenkung indes nicht rückgängig gemacht. Vielmehr wird der Nachlasswert fiktiv um den Wert des Verschenkten erhöht. Nicht primär der Beschenkte, sondern der Erbe muss dann einen entsprechenden Teil von dem hinterlassenen Vermögen an den Pflichtteilsberechtigten abgeben. Nur wenn das Hinterlassene nicht ausreicht und der Erbe deswegen die Erfüllung verweigert, kann der Pflichtteilsberechtigte verlangen, dass der Beschenkte den Schenkungsgegenstand “zum Zwecke der Befriedigung wegen des fehlenden Betrags” an den Erben herausgibt (§ 2329 Abs. 1 Satz 1).
Diese Unterschiede gebieten es, auch den nach § 2325 BGB maßgeblichen Gegenstand unabhängig von den insolvenzrechtlichen Wertungen zu bestimmen. Wenn – wie bei der Insolvenzanfechtung – konkrete Forderungen auszugleichen sind und deswegen die Schenkung insgesamt rückgängig gemacht werden soll, mag es angehen, die Insolvenzgläubiger auch an den Zugewinnmöglichkeiten im Todeszeitpunkt zu beteiligen und den gesamten Schenkungsgegenstand der Masse zuzuführen. Soll dagegen eine nur betragsmäßige Teilhabe an dem Vermögen sichergestellt werden, das der Erblasser hinterlassen hat, und die Schenkung als solche bestehen bleiben, so darf nur auf das abgestellt werden, was im lebzeitigen Vermögen des Erblassers vorhanden war. Der Pflichtteilsberechtigte hat nur ein Teilhaberecht an dem, was der Erblasser in seinem Vermögen hat, nicht an dem, was er zu diesem hinzu hätte erwerben können. Bleibt bei einer mittelbaren Zuwendung somit der Entreicherungsgegenstand wertmäßig hinter dem Zuwendungsgegenstand zurück, muss der Pflichtteilsberechtigte an dieser Differenz nicht beteiligt werden. Es stellt somit durchaus einen bedeutsamen Unterschied dar, ob die betreffende Vermögensmasse real, wie im Insolvenzrecht, oder nur fiktiv, wie beim Pflichtteilsergänzungsanspruch, erweitert wird (a.A. Schindler ZErb 2008, 331, 334 f.).
Der Anspruch des Erblassers auf die Versicherungsleistung wird bereits mit Abschluss des Versicherungsvertrags begründet, ist jedoch aufschiebend bedingt durch den Eintritt des Versicherungsfalls. Bei gemischten Lebensversicherungen sind zwei unterschiedliche Versicherungsfälle vereinbart (Todesfall während der versicherten Zeit sowie Erleben eines vereinbarten Endalters), die sich in der Regel – wenn das Ende der versicherten Zeit mit dem vereinbarten Endalter zusammenfällt – gegenseitig ausschließen. Die Vereinbarung zweier Versicherungsfälle führt zu zwei Ansprüchen auf die für den jeweiligen Versicherungsfall versprochene Leistung, die jeweils durch den Eintritt des entsprechenden Versicherungsfalls (Todes- oder Erlebensfall) aufschiebend bedingt sind.
Daneben hat der Erblasser vor Eintritt des Versicherungsfalls regelmäßig einen durch die Kündigung des Lebensversicherungsvertrags aufschiebend bedingten Anspruch auf den Rückkaufswert, der bereits während der gesamten Laufzeit des Versicherungsvertrags übertragbar ist und so als Kreditsicherheit genutzt werden kann (Senatsurteil vom 18. Juni 2003 aaO unter II 2 a).
Die (beiden) Ansprüche auf die Versicherungsleistung und der Anspruch auf den Rückkaufswert nach Kündigung sind nicht etwa Teile eines einheitlichen Anspruchs, sondern getrennte Ansprüche, über die der Erblasser gesondert verfügen kann (Senatsurteil vom 18. Juni 2003 aaO unter II 2 b). Gleichwohl ist das Recht auf den Rückkaufswert nur eine andere Erscheinungsform des Rechts auf die Versicherungssumme (siehe nur Senatsurteil vom 22. März 2000 aaO unter II 3 a). Umso mehr gilt, dass das Recht auf die Erlebensfallleistung nur eine andere Erscheinungsform des Rechts auf die Todesfallleistung ist.
Bei Eintritt des Todes tritt sowohl für die Vertragsänderung als auch für den Anspruch auf die Todesfallleistung die (identische) aufschiebende Bedingung (zwingend) gleichzeitig ein, weshalb der Bezugsberechtigte originär einen unbedingten Leistungsanspruch erwirbt. Gleichzeitig fallen die Ansprüche des Erblassers auf die Erlebensfallleistung und den Rückkaufswert wegen des dauerhaften Ausfalls der jeweiligen aufschiebenden Bedingungen (Erleben des Ablaufdatums bzw. Kündigung vor Eintritt des Todesfalls) weg. Der Anspruch des Erblassers auf die Todesfallleistung fällt zwar nicht wegen des Ausfalls der Bedingung weg, jedoch wegen der mit der Bezugsrechtseinräumung verfügten Vertragsänderung, die in derselben juristischen Sekunde wirksam wird, in der auch die aufschiebende Bedingung für den Anspruch auf die Todesfallleistung eintritt. Dieser zeitliche, wirtschaftliche und auf der Konstruktion des Versicherungsvertrags beruhende Zusammenhang zwingt dazu, diese weggefallenen Ansprüche des Erblassers als den Gegenstand der Entreicherung anzusehen, auf dem die Bereicherung des Bezugsberechtigten beruht (insoweit auch Hasse VersR 2009, 733, 740; Frey aaO S. 130).
Im Falle eines widerruflichen Bezugsrechts ist bei Zahlung der Prämien noch nicht feststellbar, wem deren Wert im Ergebnis zukommt. Dies richtet sich danach, ob und gegebenenfalls zu wessen Gunsten im Zeitpunkt des Todes ein Bezugsrecht besteht. Fällt die Versicherungsleistung mangels Bezugsrechtserklärung in den Nachlass, ist der Erblasser durch die Prämienzahlung im Ergebnis nicht entreichert. Erst wenn die Zuwendung des Bezugsrechts mit dem Eintritt des Todes unwiderruflich wird, steht erstmalig fest, dass die Prämien das Vermögen seinerzeit entreichert haben.
Nach der Ansicht des Reichsgerichts (aaO) werden die Prämienzahlungen aus der expost-Perspektive so behandelt, als habe der Erblasser die tatsächlich im eigenen Namen an den Versicherer gezahlten Prämien dem Begünstigten schenkweise überlassen, damit dieser damit die Prämien für eine von ihm, dem Begünstigten, auf das Leben des Erblassers abgeschlossenen Lebensversicherung habe bezahlen können (vgl. Bayer, Der Vertrag zugunsten Dritter [1995] S. 315). Dies trägt indes nicht hinreichend dem Gesichtspunkt Rechnung, dass Teile der Prämien für die Zahlung von Versicherungsleistungen an andere Versicherungsnehmer in den – tatsächlich vom Erblasser überlebten – Versicherungsjahren sowie für die Deckung von Verwaltungskosten verbraucht werden und die Prämienzahlungen insofern nicht zwangsläufig zu einer Wertsteigerung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag führen (zu den Grundlagen der Zusammensetzung der Prämie vgl. Winter in Bruck/ Möller aaO Anm. E 12 ff.). Alle Jahresprämien, die nicht für das Versicherungsjahr gezahlt werden, in dem der Versicherungsfall eintritt, sind für die Versicherungsleistung nur insofern notwendig, als sie diese durch Kapitalbildung erhöhen oder die letzte Prämie verringern. Im Übrigen können sie hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg – das Entstehen des Anspruchs des Bezugsberechtigten – entfiele.
Es liegt mithin eine mehrgliedrige Vermittlungskette vor: Die Zahlung der Prämien führt zunächst zu einer Wertsteigerung der Ansprüche des Erblassers, wohingegen erst deren Aufgabe im Todesfall den Anspruchserwerb des Bezugsberechtigten ermöglicht. Bildlich gesprochen “kauft” sich der Erblasser durch die Prämienzahlungen den Vermögensgegenstand erst ein, mit dem er wiederum anschließend den originären Anspruch des Bezugsberechtigten “erkauft”. Maßgeblich kann jedoch nur der Gegenstand sein, den der Erblasser weggibt, um den Bereicherungsgegenstand zu “erkaufen”, nicht dagegen das, was er zuvor einsetzen musste, um den dann weggegebenen Entreicherungsgegenstand zunächst in sein Vermögen zu bringen.
Das Abstellen auf die letzte juristische Sekunde des Lebens des Erblassers tritt nur vordergründig in Konflikt mit § 2325 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BGB, wonach ein “anderer Gegenstand”, also einer, der – wie der Anspruch auf die Versicherungsleistung – keine verbrauchbare Sache ist, mit dem Wert anzusetzen ist, den er im Zeitpunkt des Erbfalls – also eine juristische Sekunde später – hat. In diesem Moment sind die hier zu bewertenden Ansprüche jedoch bereits weggefallen, mithin wertlos. Auch ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Schenkung führte zu keinem anderen Ergebnis, da erst im Zeitpunkt des Erbfalls der Erwerb des Bezugsberechtigten vollendet und die Schenkung vollzogen ist.
Dieser – allerdings nur scheinbare – Widerspruch ergibt sich jedoch zwangsläufig aus der Konstruktion der mittelbaren Schenkung, bei der der Erblasser den Anspruch des Bezugsberechtigten durch die Preisgabe seiner eigenen Ansprüche – in Form der Umwandlung des Lebensversicherungsvertrags in einen Vertrag zu Gunsten Dritter – “erkauft”. Gibt der Schenkende einen Vermögensgegenstand auf (Entreicherungsgegenstand), damit ein neuer Anspruch eines anderen begründet wird (Bereicherungsgegenstand), kann denknotwendig im Zeitpunkt der Vollendung des Erwerbs der aufgegebene Gegenstand nicht mehr existieren. Fällt aber anerkannter Maßen diese Form der mittelbaren Zuwendung unter § 2325 Abs. 1 BGB, muss für die Durchführung des Niederstwertprinzips des § 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB der Wert des Entreicherungsgegenstands (in der letzten juristischen Sekunde, in der er sich noch im Vermögen des Erblassers befindet) mit dem Wert des Bereicherungsgegenstands (in der ersten juristischen Sekunde, in der er sich im Vermögen des Bezugsberechtigten befindet), verglichen werden. Damit wird dem Kausalitätserfordernis Rechung getragen. Entscheidend bleibt das Zugewendete, soweit es auf dem Aufgewendeten beruht. Durch die Bewertung des Entreicherungsgegenstands in der letzten juristischen Sekunde vor dem Erbfall wird somit im Ergebnis ermittelt, mit welchem Wert dieser zum Zeitpunkt des Erbfalls wirtschaftlich im Bereicherungsgegenstand enthalten ist.
Die durch den Todes- oder Erlebensfall bedingten Ansprüche auf die Versicherungsleistung kann der Erblasser dagegen nicht selbst durch Einziehung realisieren. Er kann jedoch unter Umständen – was lukrativer sein kann – seine Rechte aus dem Versicherungsvertrag gegen Entgelt einem Dritten, etwa einem gewerblichen Aufkäufer oder einem Investmentfonds, übertragen, oder aber einem Dritten gegen Entgelt ein (unwiderrufliches) Bezugsrecht einräumen. Ein Zweitmarkt für laufende Lebensversicherungsverträge existiert heute durchaus (vgl. Reinhold Müller VW 2004, 1770; Ruß VW 2003, 1740; anders noch Voit, Die Bewertung der Kapitallebensversicherung im Zugewinnausgleich [1992] S. 82). Bedeutsam für den dabei zu erzielenden Preis ist neben den konkreten Vertragsdaten – wie etwa Laufzeit, Versicherungsleistung, Prämienhöhe, Alter und Geschlecht des Versicherten – insbesondere auch, welche Rechte der Erblasser einem Käufer übertragen kann und welche dagegen – etwa wegen Sicherungsabtretungen oder eingeräumten unwiderruflichen Bezugsrechten – anderweitig gebunden sind. Zudem können bestimmte Arten von Lebensversicherungen – etwa fondsgebundene Lebensversicherungen oder (ehemalige) Direktversicherungen – schlechter oder gar nicht verwertet werden. Was der Erblasser zu Lebzeiten durch eine Veräußerung hätte realisieren können, hängt daher stark von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.
Kann der Pflichtteilsberechtigte, der die Darlegungs- und Beweislast für die Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs trägt (vgl. BGHZ 89, 25, 32), einen über dem Rückkaufswert liegenden Veräußerungswert nicht ausnahmsweise durch ein lebzeitiges, konkretes und ernsthaftes Kaufangebot nachweisen, wird er diesen Beweis häufig nur durch ein entsprechendes Sachverständigengutachten erbringen können, das aufgrund abstrakter und genereller Maßstäbe unter Zugrundelegung der konkreten Vertragsdaten des betreffenden Versicherungsvertrags einen objektiven Marktwert feststellt. Die schwindende persönliche Lebenserwartung des Erblassers aufgrund subjektiver, individueller Faktoren – wie insbesondere ein fortschreitender Kräfteverfall oder Krankheitsverlauf – darf bei der Wertermittlung allerdings ebenso wenig in die Bewertung einfließen, wie das erst nachträglich erworbene Wissen, dass der Erblasser zu einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich verstorben ist.
Da die Ansprüche des Erblassers nicht nebeneinander realisiert werden können, kommt es für den Pflichtteilsergänzungsanspruch auf den höchsten erzielbaren Wert an. Im Regelfall wird der Ergänzungswert im Rückkaufswert abgebildet, der in der überwiegenden Anzahl von Fällen ohne größeren Aufwand durch eine Auskunft des Versicherers bewiesen werden kann. Hält der Pflichtteilsberechtigte nach den vorgenannten objektiven Kriterien einen höheren Wert für entscheidend, muss er diesen – wie oben dargelegt – beweisen.
Terno Wendt Dr. Kessal-Wulf Felsch Lehmann Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 23.07.2007 – 8 O 90/07 –
KG Berlin, Entscheidung vom 13.03.2008 – 16 U 35/07 –