BGH II ZB 6/22 – Vertretungsmacht von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft

Mai 25, 2023

BGH II ZB 6/22 – Vertretungsmacht von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft

RA und Notar Krau

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) im Fall II ZB 6/22 vom 17. Januar 2023 behandelt die Frage der Vertretungsmacht von

Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft (AG) bei ihrer Bestellung zu Geschäftsführern einer Tochtergesellschaft, konkret einer GmbH in Gründung.

Der BGH klärt, dass die Vertretungsmacht eines Vorstandsmitglieds der AG nach § 181 Abs. 1 BGB beschränkt ist,

wenn es sich selbst oder andere Vorstandsmitglieder der Muttergesellschaft zu Geschäftsführern der Tochtergesellschaft bestellt.

Der Sachverhalt beginnt mit der Gründung einer GmbH, deren Alleingesellschafterin die J. AG ist.

Drei Vorstandsmitglieder der J. AG, Dr. E., Dr. T. und D., wurden in einer notariell beglaubigten Urkunde zur Vertretung der AG bevollmächtigt.

Dr. O., ebenfalls im Auftrag der J. AG, gründete daraufhin die GmbH und bestellte in einer Gesellschafterversammlung die drei Vorstandsmitglieder der J. AG zu Geschäftsführern der GmbH.

BGH II ZB 6/22 – Vertretungsmacht von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft

Anschließend wurde der Notar beauftragt, die GmbH und ihren Geschäftsführer zur Eintragung ins Handelsregister anzumelden.

Das Registergericht lehnte jedoch die Eintragung des Geschäftsführers ab und forderte eine Genehmigung des Aufsichtsrats der Alleingesellschafterin (J. AG) ​​sowie die Befreiung der Vorstandsmitglieder von den Grundsätzen des § 181 Abs. 1 BGB.

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt hob diese Entscheidung teilweise auf, lag jedoch auf der Vorlage der Genehmigung des Aufsichtsrats.

Im Rahmen der Rechtsbeschwerde stellt der BGH klar, dass die Bestellung eines Vorstandsmitglieds der AG zum Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft einen Interessenkonflikt darstellt, der durch § 181 Abs. 1 BGB geregelt wird.

Nach dieser Vorschrift darf ein Vertreter nicht im Namen des Vertretens mit sich selbst oder als Vertreter eines Dritten ein Rechtsgeschäft abschließen, es sei denn, er ist von dieser Beschränkung befreit.

Der BGH bestätigte, dass diese Beschränkung auch bei der Selbstbestellung eines Vorstandsmitglieds zum Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft gilt.

Ein zentraler Punkt der Entscheidung betrifft die Frage, ob der Aufsichtsrat der AG für die Genehmigung dieser Bestellung zuständig ist.

BGH II ZB 6/22 – Vertretungsmacht von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft

Das OLG hatte dies bejaht, der BGH widersprach jedoch.

Nach Auffassung des BGH ist der Aufsichtsrat nicht zuständig, da die Bestellung eines Vorstandsmitglieds der Muttergesellschaft zum Geschäftsführer der Tochtergesellschaft kein Akt der Muttergesellschaft, sondern einen Organakt der Tochtergesellschaft darstellt.

Es handle sich dabei um ein Rechtsgeschäft der Tochtergesellschaft, weshalb § 112 AktG, der die Vertretung der AG durch den Aufsichtsrat gegenüber Vorstandsmitgliedern regiert, nicht anwendbar sei.

Die Entscheidung, wer Geschäftsführer der Tochtergesellschaft wird, liegt demnach bei der Tochtergesellschaft selbst.

Der BGH betont weiterhin, dass die Anordnung der Vorstandsmitglieder Dr. E. und Dr. T. zu Geschäftsführern schwebend unwirksam ist, solange keine Genehmigung durch ein vertretungsberechtigtes Organ der Alleingesellschafterin vorliegt.

Diese Genehmigung kann jedoch von einem Vorstandsmitglied der AG erteilt werden, das nicht selbst von der Beschränkung des § 181 BGB betroffen ist.

In diesem Fall wäre das Vorstandsmitglied D., der an der Beschlussfassung nicht beteiligt war und somit die erforderliche Genehmigung

gemeinsam mit einem Prokuristen oder einem nicht durch § 181 BGB beschränkten Vorstandsmitglied erteilen könnte.

BGH II ZB 6/22 – Vertretungsmacht von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft

Abschließend stellt der BGH fest, dass die Entscheidung des OLG rechtsfehlerhaft war, indem es die Genehmigung durch den Aufsichtsrat der J. AG verlangte.

Stattdessen muss das Registergericht nun über die Eintragung des Geschäftsführers der GmbH unter Beachtung der Rechtsauffassung des BGH neu entscheiden.

Insgesamt verdeutlicht der Beschluss des BGH die Bedeutung des § 181 BGB im Kontext der Vertretungsmacht bei Konzernstrukturen.

Er zeigt, dass Interessenkonflikte bei der Bestellung von Führungspersonen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft rechtlich sorgfältig behandelt werden müssen, um die Unabhängigkeit der Organbeschlüsse zu wahren und potenziellen Interessenkonflikten zu vermeiden.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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