BGH XII ZB 371/21

August 10, 2022

BGH XII ZB 371/21

1. Wird in einem Unterbringungsverfahren die nach § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG zwingend erforderliche persönliche Anhörung des Betroffenen vom Amtsgericht erst im Abhilfeverfahren nachgeholt, kann das Beschwerdegericht nicht von der auch im zweitinstanzlichen Verfahren grundsätzlich gebotenen persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 22. September 2021 – XII ZB 93/21 – FamRZ 2022, 135).

2. Daran ändert auch nichts, dass das Beschwerdegericht den ersten Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts im Hinblick auf die unterbliebene persönliche Anhörung des Betroffenen zu dem eingeholten psychiatrischen Gutachten aufgehoben und das Verfahren an das Amtsgericht zur Nachholung dieser Verfahrenshandlung zurückgegeben hat.

Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Ansbach vom 5. Juli 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Gründe BGH XII ZB 371/21


I.

Der Beteiligte zu 2 (im Folgenden: Verfahrenspfleger) wendet sich gegen die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen.

Die Betroffene leidet an einer paranoiden Schizophrenie. Mit Schreiben vom 13. April 2021 hat die für sie bestellte Betreuerin (Beteiligte zu 1) beim Amtsgericht die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen in einer beschützenden Einrichtung beantragt. Das Amtsgericht hat am 15. April 2021 die Betroffene angehört und, nachdem das eingeholte Sachverständigengutachten am 22. April 2021 bei Gericht eingegangen war, die Unterbringung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 1. April 2023 genehmigt und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Der hiergegen gerichteten Beschwerde der Betroffenen hat das Amtsgericht nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt. Das Landgericht hat den Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts aufgehoben, weil die persönliche Anhörung der Betroffenen zu dem eingeholten psychiatrischen Gutachten unterblieben sei. Daraufhin hat das Amtsgericht die Betroffene persönlich angehört und erneut der Beschwerde nicht abgeholfen. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen schließlich zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Verfahrenspflegers.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die angefochtene Entscheidung ist verfahrensfehlerhaft ergangen und hält deshalb einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Nach den Feststellungen des Sachverständigen lägen aufgrund der psychischen Erkrankung der Betroffenen die Voraussetzungen für deren Unterbringung in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses gemäß § 1906 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB vor. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände sei die seitens des Amtsgerichts genehmigte Unterbringung bis längstens 1. April 2023 zum Wohl der Betroffenen, die krankheitsbedingt nicht zu einer freien Willensbildung in der Lage sei, unabdingbar. Die förmlichen Bedenken des Verfahrenspflegers gegen die Ordnungsgemäßheit des Verfahrens seien unbegründet. Zwar habe das Amtsgericht die gemäß § 319 Abs. 1 FamFG erforderliche Anhörung der Betroffenen zum Sachverständigengutachten zunächst nicht durchgeführt. Im Abhilfeverfahren habe es die Anhörung allerdings am 17. Juni 2021 wirksam nachgeholt und sich einen persönlichen Eindruck von der Betroffenen in deren üblicher Umgebung verschafft. Eine erneute Anhörung der Betroffenen im Beschwerdeverfahren sei nicht geboten gewesen, da hiervon keine neuen Erkenntnisse zu erwarten gewesen seien.

2. Dies hält der Verfahrensrüge der Rechtsbeschwerde nicht stand, dass das Beschwerdegericht unter Verstoß gegen §§ 319 Abs. 1 Satz 1, 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG ohne persönliche Anhörung der Betroffenen über ihre Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss entschieden habe.

a) Nach § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor einer Unterbringungsmaßnahme persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen.

Diese Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG auch in einem Unterbringungsverfahren dem Beschwerdegericht die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch unter anderem voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist (Senatsbeschluss vom 30. Juni 2021 – XII ZB 573/20 – FamRZ 2021, 1742 Rn. 10 mwN).

b) Gemessen daran durfte das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall nicht – wie geschehen – von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG absehen. Denn das vom Amtsgericht durchgeführte Verfahren war fehlerhaft, weil es die Betroffene zu einem Zeitpunkt angehört hat, als das Sachverständigengutachten noch nicht erstattet war, und die spätere Anhörung im Abhilfeverfahren, bei der das Sachverständigengutachten vorgelegen hat, diesen Verfahrensfehler nicht mehr heilen konnte.

aa) Zwar regelt § 319 Abs. 1 FamFG nicht, zu welchem Zeitpunkt die Anhörung des Betroffenen zu erfolgen hat. Daher steht es grundsätzlich im Ermessen des Gerichts, wann es den Betroffenen anhört. Der Senat hat jedoch bereits zum Betreuungsverfahren entschieden, dass die nach § 278 Abs. 1 FamFG zwingend erforderliche Anhörung des Betroffenen regelmäßig erst nach Eingang des Sachverständigengutachtens zu erfolgen hat.

Denn sonst kann die Anhörung weder die Funktion erfüllen, dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich zu dem Sachverständigengutachten und den sich daraus ergebenden neuen Umständen zu äußern, noch kann das Betreuungsgericht die im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG) gebotene kritische Überprüfung des Gutachtens anhand des in einer Anhörung gewonnenen persönlichen Eindrucks vornehmen

(vgl. Senatsbeschluss vom 27. Februar 2019 – XII ZB 444/18 – MDR 2019, 626 Rn. 13 mwN).

bb) Dem wird das amtsgerichtliche Verfahren nicht gerecht.

Das Amtsgericht hat die Betroffene am 15. April 2021 und damit zu einem Zeitpunkt angehört, als das Sachverständigengutachten, auf das das Amtsgericht seine Entscheidung gestützt hat, noch nicht bei Gericht eingegangen war.

cc) Die verfahrensfehlerhafte Anhörung der Betroffenen wurde auch nicht dadurch geheilt, dass das Amtsgericht die Betroffene im Abhilfeverfahren erneut angehört hat. Wie der Senat nach Erlass des angegriffenen Beschlusses entschieden hat, kann eine fehlerhafte oder unterbliebene erstinstanzliche Anhörung eines Betroffenen in einem Betreuungsverfahren im Abhilfeverfahren regelmäßig weder geheilt noch nachgeholt werden

(Senatsbeschluss vom 22. September 2021 – XII ZB 93/21 – FamRZ 2022, 135 Rn. 14 ff.).

Dies gilt auch für die Anhörung eines Betroffenen in einem Unterbringungsverfahren nach § 319 Abs. 1 FamFG.

Daran ändert auch nichts, dass das Beschwerdegericht den ersten Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts im Hinblick auf die unterbliebene persönliche Anhörung der Betroffenen zu dem eingeholten psychiatrischen Gutachten aufgehoben und das Verfahren an das Amtsgericht zur Nachholung dieser Verfahrenshandlung zurückgegeben hat.

Das Beschwerdegericht hätte den erstinstanzlichen Verfahrensfehler vielmehr dadurch beheben müssen, dass es im Beschwerdeverfahren die Betroffene selbst persönlich anhört.

3. Der angefochtene Beschluss ist deshalb gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben.

Die Sache ist nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist. Für das weitere Verfahren wird das Beschwerdegericht zudem zu beachten haben, dass bislang die Voraussetzungen für die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung für die festgesetzte Dauer von über einem Jahr (§ 329 Abs. 1 Satz 1 FamFG) nicht ausreichend dargelegt wurden

(vgl. Senatsbeschluss vom 21. April 2021 – XII ZB 520/20 – FamRZ 2021, 1242 Rn. 9 mwN).

Guhling

Klinkhammer

Schilling

Günter

Krüger

BGH XII ZB 371/21

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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