BGH XII ZB 502/16
Rechtfertigung der Einrichtung einer Kontrollbetreuung
Betreuungsverfahren zur Einrichtung einer Kontrollbetreuung: Geschäftsfähigkeit des Betroffenen im Hinblick auf im Zusammenhang mit erteilten Vorsorge- und Betreuungsvollmachten vorzunehmende Rechtshandlungen; Aufgaben des Kontrollbetreuers
Verfahrensgang
vorgehend LG München I, 27. September 2016, Az: 13 T 21136/15
vorgehend AG München, 12. Oktober 2015, Az: 703 XVII 2714/15
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 13. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 27. September 2016 aufgehoben.
Auf die Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts München vom 12. Oktober 2015 dahin abgeändert, dass das Betreuungsverfahren eingestellt wird.
Die Rechtsmittelverfahren sind gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Wert der Rechtsmittelverfahren: 5.000 €
Gründe
A.
1
Der Betroffene wendet sich gegen die Einrichtung einer (Kontroll-)Betreuung.
2
Der 1933 geborene Betroffene erteilte im Jahr 2007 seiner Ehefrau, der Beteiligten zu 2, und seiner Stieftochter, der Beteiligten zu 1, eine notarielle General- und Betreuungsvollmacht. Er leidet in Folge einer im Jahr 2013 erlittenen Hirnblutung an einer mittelschweren Demenz. Mit Schreiben vom 10. April 2015 und später nochmals durch seinen Instanzanwalt mit Schreiben vom 22. April 2015 widerrief der Betroffene die Vollmachten. Am 12. April 2015 erteilte der Betroffene seinem Instanzanwalt eine Generalvollmacht nebst Betreuungsverfügung.
3
Der Betroffene hat die Einleitung eines Betreuungsverfahrens angeregt, vorrangig mit dem Ziel festzustellen, dass im Hinblick auf die seinem Instanzanwalt erteilte Vollmacht die Anordnung einer Betreuung nicht erforderlich sei. Hilfsweise soll dieser zum Betreuer bestellt werden. Nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen D. und Anhörung der Beteiligten hat das Amtsgericht, das von der Wirksamkeit der ursprünglich erteilten Vollmachten aus dem Jahr 2007 ausgegangen ist, dem Betroffenen für den Aufgabenkreis Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten sowie Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen des übertragenen Aufgabenkreises den Beteiligten zu 3 zum Betreuer bestellt. Auf die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht ein weiteres psychiatrisches Gutachten der Sachverständigen D.-S. eingeholt. Nach Anhörung der Beteiligten hat das Landgericht die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.
B.
4
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Einstellung des Betreuungsverfahrens.
I.
5
Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Der Betroffene leide an einer psychischen Erkrankung, aufgrund derer die freie Willensbildung aufgehoben sei. Die Vollmachten aus dem Jahr 2007 seien nicht wirksam widerrufen worden. Ebenso wenig habe der Betroffene seinem Verfahrensbevollmächtigten eine wirksame Generalvollacht erteilt. Die Befunderhebung und Bewertung durch den Sachverständigen D. habe ergeben, dass am 20. April 2015 (richtig: 20. Mai 2015) im Hinblick auf die massive Beeinträchtigung des Neugedächtnisses des Betroffenen weder die Einsichtsfähigkeit hinsichtlich der Frage der Vollmachtserteilung oder deren Widerruf noch die Fähigkeit vorgelegen habe, gegebenenfalls nach dieser Einsicht zu handeln. Soweit der Sachverständige D. zu dem Ergebnis gelangt sei, dass diese Beeinträchtigung auch bereits zum Zeitpunkt des Widerrufs und der Erteilung der Vollmacht im April 2015 vorgelegen habe, liege in der Begründung kein Widerspruch, weil der Erkrankung des Betroffenen ein länger andauernder Entwicklungsprozess zugrunde liege. Zudem sei die Sachverständige D.-S. nach dem Vorliegen der Computertomografie zu dem Ergebnis gelangt, dass die aktuelle Symptomatik Folgezustand der schweren Hirnblutung in Kombination mit mehreren Hirninfarkten gewesen sei. Bei diesem Zusammenhang bestehe kein Anhalt dafür, dass zwischenzeitlich eine vorübergehende Verbesserung des Zustandes des Betroffenen eingetreten sei, die zum Vorliegen der Geschäftsfähigkeit geführt hätte. Schließlich gehe die Sachverständige auch davon aus, dass in Anbetracht der ausgeprägten strukturellen Hirnschädigung eine Besserung der Symptomatik nicht zu erwarten sei. Dementsprechend sei von einer schweren durchgehenden organischen Beeinträchtigung auszugehen.
6
Derzeit werde durch die bestehenden Vollmachten dem Betreuungsbedürfnis Genüge geleistet. Ein Missbrauch der Vollmachten oder eine Ungeeignetheit der Bevollmächtigten habe nicht festgestellt werden können. Die vom Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen erhobenen Vorwürfe finanzieller Pflichtverletzungen hätten sich bisher als haltlos erwiesen. Weiterhin könne derzeit nicht gesehen werden, dass die Bevollmächtigten nicht objektiv in der Lage wären, die Vollmachten zum Wohl des Betroffenen auszuüben. Die Ausübung der Vollmachten möge durch die Kontaktverweigerung des Betroffenen erschwert sein; dieser Kontakt könne jedoch im Wesentlichen durch den bestellten Betreuer im Rahmen seines Aufgabenkreises ersetzt werden.
II.
7
Das hält nicht in allen Punkten rechtlicher Nachprüfung stand. Zwar ist die angefochtene Entscheidung entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zu beanstanden, soweit das Landgericht davon ausgegangen ist, dass die Vollmachten, die der Betroffene im Jahr 2007 seiner Ehefrau und seiner Stieftochter erteilt hat, nach wie vor wirksam sind. Jedoch vermögen die getroffenen Feststellungen die Bestellung eines Kontrollbetreuers nicht zu rechtfertigen.
8
9
10
Anders als bei der Feststellung eines freien Willens i.S.v. § 1896 Abs. 1a BGB muss sich die Geschäftsfähigkeit und damit die für sie erforderliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht auf die Betreuung, sondern auf die vorzunehmenden Rechtshandlungen – hier den Widerruf und die anschließende Vollmachterteilung – beziehen (Senatsbeschluss vom 15. Juni 2016 – XII ZB 581/15 – FamRZ 2016, 1446 Rn. 24).
11
12
Das Landgericht ist auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen D. zu der Feststellung gelangt, dass der Betroffene hinsichtlich des Widerrufs der Vollmachten sowie der Erteilung der neuen Vollmacht für seinen Instanzanwalt geschäftsunfähig war. In dem vom Landgericht in Bezug genommenen Gutachten heißt es hierzu u.a., die Defizite der intellektuellen Fähigkeiten des Betroffenen seien insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass er neue Informationen nahezu nicht mehr auffassen und speichern könne. Dies habe zur Folge, dass er sich auf neue Gegebenheiten nicht mehr einstellen könne, sondern auf die jeweils anwesenden Bezugspersonen angewiesen sei. Er sei nicht mehr in der Lage, seine Überlegungen, Schlussfolgerungen und Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Dabei hat sich sowohl das Landgericht als auch der Sachverständige hinreichend mit den von dem Betroffenen vorgelegten anderslautenden ärztlichen Stellungnahmen bzw. Gutachten auseinandergesetzt.
13
14
15
16
Das Landgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass durch die bestehenden Vollmachten dem Betreuungsbedürfnis derzeit Genüge geleistet werde. Ein Missbrauch der Vollmachten oder eine Ungeeignetheit der Bevollmächtigten habe nicht festgestellt werden können.
17
Soweit die Rechtsbeschwerdeerwiderung meint, dass das Amtsgericht aus damaliger Sicht eine Kontrollbetreuung habe einrichten dürfen und ihre Aufhebung allein Sache des Betreuungsgerichts sei, verkennt sie, dass das Landgericht als Beschwerdegericht letzte Tatsacheninstanz ist und deshalb bei seiner Entscheidung zu prüfen hat, ob die Voraussetzungen für eine Betreuung (noch) gegeben sind.
18
Soweit das Landgericht ausgeführt hat, die Ausübung der Vollmacht möge durch die Kontaktverweigerung des Betroffenen erschwert sein, dieser Kontakt könne jedoch im Wesentlichen durch den bestellten Betreuer im Rahmen seines Aufgabenkreises ersetzt werden, rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass es grundsätzlich nicht Aufgabe des Kontrollbetreuers ist, den Bevollmächtigten bei seiner Tätigkeit zu unterstützen; ein entsprechendes Bedürfnis kann daher auch nicht die Bestellung eines Kontrollbetreuers rechtfertigen. Der ihm übertragene Aufgabenkreis umfasst gemäß § 1896 Abs. 3 BGB eine Kontrolle der Tätigkeit des Bevollmächtigten. Soweit nach der Rechtsprechung des Senats eine ständige Kontrolle auch dann geboten ist, wenn Anzeichen dafür sprechen, dass der Bevollmächtigte mit dem Umfang und der Schwierigkeit der vorzunehmenden Geschäfte überfordert ist (Senatsbeschluss BGHZ 211, 67 = FamRZ 2016, 1671 Rn. 31), bedeutet das indes – entgegen der Auffassung des Landgerichts – nicht, dass der Kontrollbetreuer originäre Betreuungsaufgaben zu übernehmen hat. Er soll insoweit vielmehr einen trotz Vorliegens einer Vollmacht bestehenden Betreuungsbedarf aufdecken. Für einen solchen Betreuungsbedarf bestehen nach den Feststellungen des Landgerichts indes keine Anhaltspunkte.
19
20
21
Dose | Schilling | Nedden-Boeger | ||
Botur | Krüger |