Bindung des FG an Beschluss des zuständigen AG zur Bestellung Nachtragsliquidator – BFH I B 25/23
Zusammenfassung RA und Notar Krau
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seinem Beschluss vom 20. März 2024 (Az.: I B 25/23) entschieden, dass die Bindungswirkung eines Beschlusses des zuständigen Amtsgerichts zur Bestellung eines
Nachtragsliquidators für ein finanzgerichtliches Verfahren nur dann entfällt, wenn dieser Beschluss als völlig außerhalb des § 273 Abs. 4 Satz 1 des Aktiengesetzes (AktG) ergangen anzusehen ist.
Dies wäre der Fall, wenn der Beschluss beispielsweise auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und daher als willkürlich betrachtet werden müsste.
Hintergrund und Tatbestand
Im zugrunde liegenden Fall hatte das Finanzgericht (FG) Köln das Verfahren mit dem Aktenzeichen 14 K 3066/15 am 24. April 2023 ausgesetzt.
Die Aussetzung wurde damit begründet, dass der Beschluss des Amtsgerichts X vom April 2021, welcher die Nachtragsliquidation für die inzwischen gelöschte Limited (Ltd.) mit Sitz in Großbritannien anordnete und den Kläger zum Nachtragsliquidator bestellte, zu Unrecht ergangen sei und deshalb nicht bindend sei.
Das FG Köln argumentierte, der Gerichtsstand sei durch arglistige Täuschung über zuständigkeitsbegründende Tatsachen erschlichen worden.
Der Kläger legte gegen diesen Beschluss Beschwerde ein und machte geltend, der Beschluss des Amtsgerichts sei für das FG bindend, da er nicht nichtig sei.
Der Beklagte, das Finanzamt, äußerte sich nicht zur Sache und stellte keinen Antrag.
Das FG half der Beschwerde nicht ab und bestätigte seine Entscheidung am 12. Juni 2023.
Der BFH hob den Beschluss des FG Köln auf und ordnete an, das Verfahren fortzusetzen.
Der BFH stellte fest, dass der Beschluss des Amtsgerichts vom April 2021 nicht nichtig sei und daher für das FG bindend sei.
Eine erneute Aussetzung des Verfahrens nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kam somit nicht in Betracht.
Voraussetzungen der Verfahrensaussetzung nach § 74 FGO
Nach § 74 FGO kann ein Gericht die Aussetzung des Verfahrens anordnen, wenn die Entscheidung des Verfahrens von einem anderen anhängigen Rechtsstreit abhängt oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist.
Es genügt, dass die Entscheidung im anderen Verfahren für das auszusetzende Verfahren rechtlich von Bedeutung ist.
Das FG Köln hatte die wirksame Bestellung eines Vertreters der gelöschten Ltd. als notwendig erachtet, um die erforderliche Beiladung der Ltd. vornehmen zu können.
Bindungswirkung des Beschlusses des Amtsgerichts
Der BFH stellte klar, dass der Beschluss des Amtsgerichts vom April 2021 bindend sei und den Mangel der Vertretung der Ltd. beseitige.
Selbst wenn der Beschluss auf einer unzutreffenden Tatsachengrundlage beruhe, mache dies ihn nicht nichtig, sondern lediglich rechtswidrig.
Der Beschluss des Amtsgerichts habe rechtsgestaltenden Charakter und entfalte Bindungswirkung, selbst wenn er auf falschen Angaben beruhe, die zur Erschleichung eines inländischen Gerichtsstandes dienten.
Rechtliche Grundlagen und Willkürmaßstab
Der BFH führte aus, dass die Bindungswirkung eines solchen Beschlusses nur dann entfalle, wenn er völlig außerhalb des Rahmens des § 273 Abs. 4 Satz 1 AktG ergangen sei.
Willkür läge nur vor, wenn dem Beschluss jede rechtliche Grundlage fehle und er bei verständiger Würdigung als offensichtlich unhaltbar erscheine.
Im vorliegenden Fall sei dies jedoch nicht gegeben, da der Beschluss des Amtsgerichts nicht als willkürlich anzusehen sei, auch wenn möglicherweise Täuschungsabsicht seitens des Klägers vorgelegen habe.
Einschlägige Rechtsprechung
Der BFH stützte seine Entscheidung auf mehrere frühere Beschlüsse des Bundesgerichtshofs (BGH) und anderer Gerichte, die die Bindungswirkung von gerichtlichen Beschlüssen thematisierten.
Insbesondere wurde auf die Entscheidungen des BGH vom 27. Mai 2008 (X ARZ 45/08) und vom 17. Mai 2011 (X ARZ 109/11) verwiesen, die darlegten, unter welchen Umständen eine gerichtliche Entscheidung als willkürlich und damit nicht bindend angesehen werden kann.
Ergebnis
Der BFH hob den Beschluss des FG Köln auf und ordnete die Fortsetzung des Verfahrens an.
Das FG müsse den Beschluss des Amtsgerichts vom April 2021 als bindend anerkennen und könne das Verfahren nicht erneut aussetzen.
Eine Kostenentscheidung war in diesem unselbständigen Nebenverfahren nicht zu treffen; über die Kosten des erfolgreichen Beschwerdeverfahrens sei im Rahmen der Hauptsache zu entscheiden.
Fazit
Der Beschluss des BFH stellt klar, dass die Bindungswirkung eines Beschlusses des zuständigen Amtsgerichts zur Bestellung eines Nachtragsliquidators nur in seltenen Ausnahmefällen entfällt.
Selbst wenn der Beschluss auf falschen Tatsachen beruht, ist er nicht nichtig, sondern lediglich rechtswidrig und daher bindend für das finanzgerichtliche Verfahren.
Dies verdeutlicht die hohe Hürde, die für die Annahme von Willkür und damit für die Aufhebung der Bindungswirkung solcher Beschlüsse erforderlich ist.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.