Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes

April 19, 2025

Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes

Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 7. Februar 2024 – 5 AZR 177/23

RA und Notar Krau

Hintergrund des Rechtsstreits:

Der Kläger war seit 1991 als Maschinenbeschicker bei der Beklagten beschäftigt.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich.

Das Landesarbeitsgericht stellte später fest, dass die Kündigungen unwirksam waren und gab dem Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers statt.

Ab dem 31. August 2020 setzte der Kläger seine Beschäftigung fort.

Für die Zeit des Annahmeverzugs (1. Januar 2018 bis 30. August 2020) forderte der Kläger Vergütung.

Die Beklagte wandte ein, der Kläger habe es böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen.

Der Kläger meldete sich nach der Kündigung bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend.

Für einen Zeitraum erhielt er eine Sperrzeit und anschließend Arbeitslosengeld I.

Während dieser Zeit wünschte er keine Stellenangebote von der Agentur und kündigte an, potenziellen Arbeitgebern vor einem Vorstellungsgespräch mitzuteilen,

dass ein Gerichtsverfahren mit der Beklagten laufe und er unbedingt dort weiterarbeiten wolle.

Eigene Bemühungen um eine andere Beschäftigung unternahm er in dieser Zeit nicht.

Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes

Später bezog er Leistungen vom Jobcenter und unternahm nach eigenen Angaben Bewerbungsbemühungen.

Er war kurzzeitig bei zwei anderen Arbeitgebern geringfügig beschäftigt.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:

Das BAG hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurück.

Die Begründung des BAG lautet im Wesentlichen wie folgt:  

Annahmeverzug grundsätzlich gegeben:

Das BAG bestätigte, dass die Beklagte sich im Annahmeverzug befand, da die Kündigungen unwirksam waren und sie den Kläger im streitigen Zeitraum nicht beschäftigte.

Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach KSchG:

Da das Arbeitsverhältnis fortbestand, richtet sich die Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 11 Nr. 1 und 2 KSchG.

Böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs (§ 11 Nr. 2 KSchG): Die Beurteilung des Landesarbeitsgerichts,

dass ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs nicht in Betracht komme, hielt der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

Böswilligkeit setzt voraus, dass dem Arbeitnehmer ein Vorwurf gemacht werden kann, vorsätzlich untätig geblieben zu sein und eine ihm zumutbare Arbeit nicht aufgenommen oder deren Aufnahme bewusst

verhindert zu haben, obwohl er alle objektiven Umstände kannte. Fahrlässiges Verhalten reicht nicht aus.

Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes

Im Rahmen der Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen können auch Verletzungen sozialrechtlicher Handlungspflichten berücksichtigt werden.

Der Arbeitnehmer ist nicht generell verpflichtet, sich unermüdlich um Arbeit zu kümmern, aber die Interessenabwägung kann im Einzelfall eine eigene Initiative erfordern.

Der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer auch Stellenangebote übermitteln, um ihn zur Prüfung anderer Optionen zu veranlassen.

Die anderweitige Arbeit muss zumutbar sein, wobei ein geringerer Verdienst allein nicht die Unzumutbarkeit begründet.

Die Anforderungen an die Zumutbarkeit nach dem SGB III sind nicht „eins zu eins“ auf § 11 Nr. 2 KSchG übertragbar.

Fehlerhafte Interessenabwägung des LAG:

Das BAG rügte, dass das Landesarbeitsgericht wesentliche Umstände nicht ausreichend berücksichtigt und nicht widerspruchsfrei gewürdigt habe.

Das LAG habe maßgeblich darauf abgestellt, dass der Kläger sich arbeitslos gemeldet und die Anforderungen der Agentur für Arbeit und des Jobcenters erfüllt habe.

Es habe aber nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Kläger durch seine Äußerungen gegenüber der Agentur selbst die Ursache dafür gesetzt habe,

dass ihm über ein Jahr lang keine Vermittlungsvorschläge unterbreitet wurden.

Seine Ankündigung, potenziellen Arbeitgebern von dem laufenden Gerichtsverfahren zu berichten und seine unbedingte Rückkehrabsicht zu betonen,

sei nicht das Verhalten einer tatsächlich um eine Beschäftigung bemühten Person.

Das Verhalten der Agentur, ihren Vermittlungsauftrag nicht wahrgenommen zu haben, entlaste den Kläger nicht, da er dies durch sein Verhalten provoziert habe.

Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes

Das LAG habe die Bewerbungsbemühungen des Klägers nicht vollständig berücksichtigt, da diese nach seinem eigenen Vortrag nur in einem kurzen Zeitraum stattfanden.

Die spätere geringfügige Beschäftigung sei ohne weitere Umstände nicht ausreichend, um böswilliges Unterlassen auszuschließen.

Die Einschätzung des Jobcenters, die Bemühungen des Klägers seien ausreichend gewesen, sei nicht der allein maßgebliche Bewertungsmaßstab für die Frage der Böswilligkeit im arbeitsrechtlichen Sinne.

Die unrechtmäßige Kündigung der Beklagten rechtfertige keine besondere Berücksichtigung der Kündigungsumstände im Rahmen des § 11 Nr. 2 KSchG,

da eine unwirksame Kündigung stets Voraussetzung für einen Annahmeverzugsanspruch sei.

Zurückverweisung an das LAG:

Aufgrund der Rechtsfehler verwies das BAG die Sache an das Landesarbeitsgericht zurück.

Dieses muss im Rahmen einer umfassenden Gesamtabwägung erneut prüfen, ob das Verhalten des Klägers ein böswilliges Unterlassen darstellte.

Dabei muss es berücksichtigen, dass der Kläger zwar formal die Meldepflicht erfüllte, aber tatsächliche Vermittlungsbemühungen verhinderte und sich erst deutlich später um andere Stellen bewarb.

Folgeprüfung bei Bejahung böswilligen Unterlassens:

Sollte das LAG ein böswilliges Unterlassen bejahen, muss es prüfen, in welcher Höhe und ab wann der Kläger einen anrechenbaren Verdienst hätte erzielen können.

Die Beklagte muss hierzu konkrete und zumutbare Beschäftigungsmöglichkeiten darlegen.

In bestimmten Fällen kann die Darlegungs- und Beweislast auf den Kläger übergehen, insbesondere wenn er durch sein Verhalten verhindert hat, dass ihm Stellenangebote unterbreitet wurden.

Fazit:

Das BAG beanstandete die Beurteilung des Landesarbeitsgerichts zum böswilligen Unterlassen anderweitigen Verdienstes.

Es betonte, dass nicht allein die formale Erfüllung sozialrechtlicher Pflichten maßgeblich sei, sondern das gesamte Verhalten des Arbeitnehmers

im Hinblick auf die Vermeidung von Arbeitslosigkeit und die Suche nach zumutbarer Arbeit zu berücksichtigen sei.

Die Zurückverweisung erfolgte, um dem Landesarbeitsgericht eine erneute, umfassendere Prüfung unter Berücksichtigung der vom BAG aufgezeigten Rechtsgrundsätze zu ermöglichen.

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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