BAG 9 AZR 125/16

September 23, 2017

BAG 9 AZR 125/16 Urteil vom 15.11.2016, Unzulässige Berufung – Klageänderung – Kürzung Urlaub wegen Elternzeit

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 12. Januar 2016 – 1 Sa 88 a/15 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Flensburg vom 19. Februar 2015 – 3 Ca 1123/14 – als unzulässig verworfen wird.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand BAG 9 AZR 125/16

Die Parteien streiten über den Urlaub der Klägerin aus den Jahren 2012 bis 2015.

Die Klägerin ist seit dem 1. April 2007 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger gegen ein Bruttomonatsentgelt von zuletzt 1.105,00 Euro als Friseurin beschäftigt. Ihr steht bei einer Fünftagewoche ein Jahresurlaub von 25 Arbeitstagen zu.

Nach der Geburt ihrer Kinder nahm die Klägerin im Anschluss an die Mutterschutzfristen vom 27. Dezember 2009 bis zum 26. Oktober 2012 und vom 30. Januar 2013 bis zum 4. Dezember 2015 Elternzeit in Anspruch. Die Beklagte ließ mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 10. Oktober 2014 erklären, dass sie den Urlaub der Klägerin für jeden vollen Monat der Elternzeit gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG um ein Zwölftel kürze.

Mit ihrer am 20. Oktober 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin die Abgeltung von jeweils 25 Urlaubstagen aus den Jahren 2012 bis 2014 verlangt. Das Arbeitsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Klägerin stehe mangels Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Urlaubsabgeltung nicht zu. In der Berufungsbegründung hat die Klägerin vorgetragen, der Argumentation des Arbeitsgerichts trage sie durch die Umstellung ihrer Klageanträge Rechnung. Ihr stehe der Urlaub für die Jahre 2012 bis 2015 in vollem Umfang zu. Die Kürzungsbefugnis des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 1 BEEG sei unionsrechtswidrig und damit unwirksam.

BAG 9 AZR 125/16

Die Klägerin hat im Berufungsverfahren beantragt

festzustellen, dass ihr gegenüber der Beklagten für die Jahre 2012 bis 2015 noch je Kalenderjahr ein Urlaubsanspruch im Umfang von 25 Urlaubstagen zusteht;

hilfsweise

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.291,50 Euro brutto Urlaubsabgeltung für das Jahr 2012 nebst fünf Prozent Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 10. Oktober 2014 zu zahlen,

an sie 1.291,50 Euro brutto Urlaubsabgeltung für das Jahr 2013 nebst fünf Prozent Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 10. Oktober 2014 zu zahlen,

an sie 1.291,50 Euro brutto Urlaubsabgeltung für das Jahr 2014 nebst fünf Prozent Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 10. Oktober 2014 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin dem Hauptantrag in geringem Umfang stattgegeben und die Berufung in Übrigen zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel mit der Maßgabe weiter, dass sie mit dem Hauptantrag die Feststellung verlangt, dass ihr für den Zeitraum vom 1. Januar 2012 bis zum 4. Dezember 2015 weitere 89,59 Tage Urlaub zustehen.

Entscheidungsgründe

I. Die Revision der Klägerin ist unbegründet, da bereits ihre Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts unzulässig gewesen ist. Das Landesarbeitsgericht hätte die Berufung als unzulässig verwerfen müssen.

1. Die Zulässigkeit der Berufung ist eine vom Senat von Amts wegen zu prüfende Prozessfortsetzungsbedingung (BAG 23. Februar 2016 – 3 AZR 230/14 – Rn. 9; vgl. auch BAG 15. März 2011 – 9 AZR 813/09 – Rn. 9). Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Begründung iSd. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO oder ist die Berufung aus anderen Gründen unzulässig, hat das Revisionsgericht die Revision mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Berufung als unzulässig verworfen wird. Dass das Berufungsgericht das Rechtsmittel für zulässig gehalten hat, ist ohne Bedeutung (vgl. BAG 23. Februar 2016 – 3 AZR 230/14 – Rn. 9; 15. März 2011 – 9 AZR 813/09 – Rn. 9).

BAG 9 AZR 125/16

a) Das Rechtsmittel der Berufung setzt voraus, dass der Berufungskläger die Beseitigung einer in der angefochtenen Entscheidung liegenden Beschwer erstrebt. Dies erfordert, dass der im ersten Rechtszug erhobene Anspruch wenigstens teilweise weiterverfolgt wird. Ein im Wege der Klageänderung neuer, bisher nicht gestellter Anspruch kann nicht das alleinige Ziel eines Rechtsmittels sein (BAG 23. Februar 2016 – 1 ABR 5/14 – Rn. 12; 10. Februar 2005 – 6 AZR 183/04 – zu 1 a der Gründe).

Der Anspruch kann auch nicht mit der Begründung in das Berufungsverfahren eingeführt werden, aufgrund eines in erster Instanz geltend gemachten, nunmehr hilfsweise weiterverfolgten Anspruchs entstehe eine nachträgliche objektive Klagehäufung. Die Zulässigkeit eines Hauptantrags folgt nicht aus der eines Hilfsantrags, der nur für den Fall gestellt wird, dass der Hauptantrag ohne Erfolg ist. In der Folge ist eine Berufung nur insoweit zulässig, als der ursprüngliche Antrag unbedingt weiterverfolgt wird (vgl. BAG 23. Februar 2016 – 1 ABR 5/14 – Rn. 12; BGH 11. Oktober 2000 – VIII ZR 321/99 – zu II 2 c der Gründe).

b) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt.

Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Die zivilprozessuale Regelung soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorbereitet wird. Deshalb hat der Berufungskläger die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchem Grund er das angefochtene Urteil für unrichtig hält (st. Rspr., zB BAG 18. Mai 2011 – 4 AZR 552/09 – Rn. 14; 15. März 2011 – 9 AZR 813/09 – Rn. 11). Dabei dürfen im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie zwar keine unzumutbaren Anforderungen an den Inhalt von Berufungsbegründungen gestellt werden.

Die Berufungsbegründung muss aber auf den Streitfall zugeschnitten sein und im Einzelnen erkennen lassen, in welchen Punkten rechtlicher oder tatsächlicher Art und aus welchen Gründen das angefochtene Urteil fehlerhaft sein soll (st. Rspr., zB BAG 18. Mai 2011 – 4 AZR 552/09 – Rn. 14; vgl. auch BAG 15. März 2011 – 9 AZR 813/09 – Rn. 11). Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (st. Rspr., zB BAG 18. Mai 2011 – 4 AZR 552/09 – Rn. 14; 15. März 2011 – 9 AZR 813/09 – Rn. 11).

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2. Danach genügt die Berufungsbegründung der Klägerin vom 30. März 2015 nicht den gesetzlichen Anforderungen.

BAG 9 AZR 125/16

a) Alleiniges Ziel der Berufung war die Änderung des Klageantrags. Statt der erstinstanzlich geltend gemachten Urlaubsabgeltung hat die Klägerin mit ihrer Berufung die Feststellung begehrt, dass ihr für die Jahre 2012 bis 2015 je Kalenderjahr noch ein Urlaubsanspruch im Umfang von 25 Urlaubstagen zusteht. Sie hat damit die erstinstanzliche Klageabweisung in der Berufungsinstanz nicht mehr in Zweifel gezogen, sondern lediglich im Wege der Klageänderung einen neuen, bisher nicht geltend gemachten Feststellungsanspruch zur Entscheidung gestellt. Ihr Klageziel war damit nicht mehr auf die Beseitigung der sich aus dem Urteil des Arbeitsgerichts ergebenden Beschwer gerichtet.

b) Soweit die Klägerin in der Berufungsinstanz hilfsweise ihre erstinstanzlich gestellten Leistungsanträge auf Urlaubsabgeltung weiterverfolgt, ist die Berufung ebenfalls unzulässig. Die Berufungsbegründung setzt sich nicht mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung des Arbeitsgerichts auseinander. Entgegen den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO hat die Klägerin nichts dazu vorgetragen, in welchen Punkten rechtlicher oder tatsächlicher Art und aus welchen Gründen das angefochtene Urteil fehlerhaft sei. In der Berufungsbegründung beschränkt sie sich auf die nicht auf den konkreten Einzelfall zugeschnittene Wiedergabe einer Senatsentscheidung vom 12. März 2013 (- 9 AZN 2383/12 -) und eines dieser Entscheidung vorausgehenden Schriftsatzes.

Im Übrigen meint sie lediglich, dass ihr „ein entsprechender Urlaubsanspruch/ Urlaubsabgeltungsanspruch“ zustehe. Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll, werden nicht bezeichnet. Stattdessen bestätigt die Klägerin die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts, indem sie diese zum Anlass für ihre Klageänderung nimmt.

II. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

Brühler

Krasshöfer

Zimmermann

Faltyn

Matth. Dipper

BAG 9 AZR 125/16

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

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Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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