Das Schlichtungsverfahren im Nachbarrecht vor dem Schiedsmann – Ein Weg zur gütlichen Einigung
Nachbarschaftsstreitigkeiten gehören zu den häufigsten Konflikten in unserer Gesellschaft. Ob es um Lärm, überhängende Äste, störende Gerüche oder unklare Grundstücksgrenzen geht – die Reibereien unter Nachbarn können den Alltag stark belasten.
Bevor man jedoch direkt den teuren und oft langwierigen Weg zu einem ordentlichen Gericht einschlägt, bietet das deutsche Recht in vielen Bundesländern für bestimmte Nachbarrechtsstreitigkeiten eine vorgeschaltete, außergerichtliche Lösung an: das Verfahren vor dem Schiedsmann oder der Schiedsfrau (zusammenfassend oft als Schiedsamt bezeichnet).
Dieses Verfahren dient als sogenannte obligatorische Streitschlichtung oder Güteeinigung. Für Laien ist es wichtig zu verstehen, dass es sich hierbei nicht um ein Gerichtsverfahren handelt, sondern um einen Versuch, eine einvernehmliche, gütliche Lösung zu finden.
Das Schiedsamt wird von ehrenamtlichen Schiedspersonen geführt, die für ihre Aufgabe gewählt und vom Amtsgericht bestätigt werden. Sie sind neutrale, unparteiische Vermittler und keine Richter. Ihre Hauptaufgabe ist es, die zerstrittenen Parteien an einen Tisch zu bringen, den Konflikt zu versachlichen und ihnen zu helfen, gemeinsam eine Lösung zu erarbeiten.
In vielen Bundesländern ist das Schiedsverfahren bei bestimmten Nachbarschaftsstreitigkeiten zwingend vorgeschrieben, bevor eine Klage beim Amtsgericht eingereicht werden darf. Dies betrifft meist:
Streitigkeiten wegen Einwirkungen vom Nachbargrundstück (wie Gase, Gerüche, Lärm, Rauch, Erschütterungen), sofern sie nicht von einem Gewerbebetrieb ausgehen.
Streitigkeiten wegen Überwuchses oder des Grenzabstandes von Pflanzen.
Weitere in den Landesnachbarrechtsgesetzen geregelte Streitpunkte.
Wird in diesen Fällen die Schlichtung nicht durchgeführt, gilt eine anschließende Klage bei Gericht als unzulässig.
Zuerst muss die zuständige Schiedsperson gefunden werden. Zuständig ist in der Regel das Schiedsamt, in dessen Bezirk der Antragsgegner (die Person, gegen die man vorgehen will) wohnt. Die Kontaktdaten erhält man üblicherweise über die Gemeindeverwaltung, das Bürgerbüro oder das örtliche Amtsgericht.
Der Konflikt beginnt mit der Antragstellung durch den Antragsteller (die Person, die das Verfahren initiiert).
Der Antrag kann schriftlich oder mündlich zu Protokoll beim Schiedsamt gestellt werden und muss enthalten:
Name und Anschrift beider Parteien.
Eine kurze Schilderung des Streitfalls (was ist passiert?).
Das angestrebte Ziel (was soll der Nachbar tun oder unterlassen?).
Mit der Antragstellung wird ein Kostenvorschuss fällig (oft zwischen 50 und 100 Euro), um die voraussichtlichen Gebühren und Auslagen (z.B. Porto für die Ladung) zu decken.
Nach Eingang des Antrags setzt die Schiedsperson einen Schlichtungstermin fest, zu dem beide Parteien persönlich geladen werden. Die Ladung erfolgt formell. In vielen Bundesländern besteht eine Erscheinenspflicht, und ein unentschuldigtes Fernbleiben kann mit einem Ordnungsgeld geahndet werden. Die Verhandlung findet in der Regel nicht öffentlich statt, oft in den Büroräumen der Gemeinde oder in den Räumen der Schiedsperson. Die Schiedsperson ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die Parteien dürfen in der Regel einen Beistand (z.B. einen Rechtsanwalt, Zeugen oder eine Vertrauensperson) mitbringen, was der Schiedsperson aber vorher mitgeteilt werden sollte.
Die eigentliche Verhandlung ist der Kern des Verfahrens. Die Schiedsperson leitet das Gespräch und gibt beiden Parteien die Gelegenheit, ihre Sichtweise darzulegen. Es geht darum, offen über den Konflikt zu sprechen und auch zurückliegende Vorkommnisse miteinzubeziehen, was in einem Gerichtsverfahren oft nicht möglich ist.
Die Schiedsperson verwendet mediative Gesprächstechniken, um die Kommunikation zu verbessern und die oft stark emotional aufgeladene Situation zu deeskalieren. Es wird kein Urteil gefällt; die Schiedsperson entscheidet nicht über „Recht und Unrecht“, sondern sucht nach einer gemeinsamen Basis für eine Lösung. Gegenseitiges Entgegenkommen ist hierbei essenziell.
Gelingt es den Parteien, sich zu einigen, wird ein sogenannter Vergleich geschlossen. Dies ist eine schriftliche, beiderseits akzeptierte Vereinbarung über die Beilegung des Streits. Der Vergleich wird von beiden Parteien und der Schiedsperson unterschrieben.
Die besondere Stärke dieses Vergleichs liegt in seiner Rechtsverbindlichkeit: Er ist ein vollstreckbarer Titel nach der Zivilprozessordnung, was bedeutet, dass die eingegangenen Verpflichtungen bis zu 30 Jahre lang – ähnlich wie ein Gerichtsurteil – zwangsweise vollstreckt werden können. Im Grunde genommen haben die Parteien selbst ihr „Urteil“ gefällt, was meist befriedigender ist als ein erzwungenes Urteil von dritter Seite.
Die Erfolglosigkeitsbescheinigung Kommt keine Einigung zustande, wird das Verfahren für erfolglos erklärt. Der Antragsteller erhält dann eine Erfolglosigkeitsbescheinigung. Dieses Dokument ist der Nachweis, dass der gesetzlich vorgeschriebene Schlichtungsversuch unternommen wurde. Mit dieser Bescheinigung in der Hand steht dem Antragsteller nun der Weg zum Gericht offen, um seinen Anspruch dort einzuklagen.
Die Kosten für das Schiedsverfahren sind im Vergleich zu einem Gerichtsverfahren sehr gering. Sie bestehen aus dem Vorschuss, der Gebühr (die sich bei einem erfolgreichen Vergleich erhöhen kann) und den Auslagen.
Kostenersparnis: Deutlich günstiger als ein Gerichtsprozess.
Schnelligkeit: Das Verfahren ist wesentlich schneller als eine Klage vor Gericht.
Vertraulichkeit: Die Verhandlung ist nicht öffentlich, die Privatsphäre bleibt gewahrt.
Nachhaltigkeit: Da die Parteien die Lösung selbst erarbeiten, ist sie oft nachhaltiger und befriedender, was für ein zukünftig entspannteres Nachbarschaftsverhältnis entscheidend ist.
Vollstreckbarkeit: Der Vergleich ist unmittelbar vollstreckbar – eine sehr starke rechtliche Wirkung.
Insgesamt ist das Verfahren vor dem Schiedsmann ein niederschwelliger, effizienter und kostengünstiger Weg, um verfahrene Nachbarschaftsstreitigkeiten beizulegen und eine Eskalation vor Gericht zu vermeiden. Es bietet die Chance, Konflikte zu beenden, ohne Gewinner und Verlierer zu produzieren.