Der automatische Erwerb der Erbschaft
Nahestehende zu verlieren, ist schmerzhaft. In dieser emotionalen Zeit müssen Sie sich zusätzlich mit juristischen Fragen auseinandersetzen, die oft kompliziert wirken. Eine davon betrifft die Frage, wie man eigentlich Erbe wird. Viele denken, man muss eine Erbschaft aktiv annehmen. Doch das deutsche Erbrecht hat hier eine Besonderheit, die auf den ersten Blick überraschen mag: Man wird automatisch Erbe.
Stellen Sie sich vor, jemand stirbt. In diesem Moment geht sein Vermögen – der sogenannte Nachlass – automatisch auf die gesetzlichen Erben über. Sie müssen dafür nichts tun, keine Formulare ausfüllen oder Erklärungen abgeben. Dieser Mechanismus ist im Gesetz so vorgesehen und sorgt dafür, dass ein Nachlass niemals „herrenlos“ bleibt. Es ist ein cleverer juristischer Kniff, der verhindert, dass es ein Vermögen ohne Eigentümer gibt.
Auch wenn die Erbschaft Ihnen quasi „zufällt“, bedeutet das nicht, dass Sie sie auch behalten müssen. Sie haben eine wichtige Wahlmöglichkeit: Sie können die Erbschaft ablehnen, also ausschlagen. Dafür haben Sie eine bestimmte Frist. Wenn Sie die Erbschaft fristgerecht ausschlagen, ist es so, als wären Sie nie Erbe gewesen. Die Erbschaft geht dann an den Nächsten in der Erbfolge.
Solange Sie sich nicht entschieden haben, ob Sie die Erbschaft annehmen oder ausschlagen möchten, befinden Sie sich in einer Art „Schwebezustand“. Man spricht hier vom vorläufigen Erben. In dieser Zeit ist das geerbte Vermögen noch nicht fest mit Ihrem eigenen Vermögen verschmolzen. Es ist wie ein Päckchen, das vor Ihrer Tür steht: Es gehört Ihnen zwar schon, aber Sie haben noch die Möglichkeit, die Annahme zu verweigern.
Grundsätzlich gilt der automatische Erwerb der Erbschaft. Es gibt jedoch seltene Ausnahmen, die hauptsächlich aus rechtlichen Regelungen stammen, die nicht den normalen Erbfall betreffen.
Eine solche Ausnahme könnte zum Beispiel dann eintreten, wenn die Bundesregierung in besonderen außenpolitischen Fällen per Verordnung den Erwerb von Rechten durch Ausländer oder ausländische Unternehmen einschränken würde. Das ist aber ein sehr spezieller Fall und betrifft nicht Staatsangehörige oder Unternehmen aus der Europäischen Union. Bislang hat die Bundesregierung von dieser Möglichkeit auch noch keinen Gebrauch gemacht.
Eine weitere, sehr spezifische Ausnahme findet sich in Nordrhein-Westfalen: Hier war es früher so, dass juristische Personen (wie Vereine oder Stiftungen) eine Erbschaft über 2.600 Euro nur mit Genehmigung der Landesregierung annehmen durften. Diese Regelung ist im Wesentlichen nur noch für juristische Personen mit Sitz im EU-Ausland relevant und muss im Einklang mit dem europäischen Recht gesehen werden. Für Privatpersonen ist das also in der Regel unerheblich.
Manche Erblasser möchten im Testament festlegen, dass der Erbe die Erbschaft erst ausdrücklich annehmen muss. Aber das Gesetz möchte unbedingt verhindern, dass ein Nachlass ohne Eigentümer bleibt. Daher sind solche Anordnungen, die den automatischen Erwerb verhindern sollen, unwirksam.
Das bedeutet: Egal, was im Testament steht – die Erbschaft fällt Ihnen zunächst automatisch zu. Anordnungen, die zum Beispiel die Ausschlagungsfrist verlängern oder verkürzen wollen, sind ebenfalls nicht gültig. Die gute Nachricht ist: Die Einsetzung als Erbe bleibt trotzdem wirksam, auch wenn solche Zusätze im Testament unwirksam sind.
Manchmal formuliert ein Erblasser im Testament Sätze wie: „Die Erbeinsetzung soll nur gelten, wenn sie der Erbe auch annimmt oder sie nicht ausschlägt.“ Solche Formulierungen sind in der Regel unschädlich. Sie wiederholen im Grunde nur die gesetzliche Regelung, dass man eine Erbschaft annehmen oder ausschlagen kann.
Möchte der Erblasser Ihnen tatsächlich eine längere Bedenkzeit einräumen, ob Sie die Erbschaft annehmen wollen, gibt es dafür ein anderes juristisches Werkzeug: die Vor- und Nacherbschaft. Dabei wird die Erbschaft zunächst einer Person (dem Vorerben) übertragen und geht dann zu einem späteren Zeitpunkt an eine andere Person (den Nacherben) über. Ob eine solche Vor- und Nacherbschaft gewollt ist, muss im Einzelfall durch eine genaue Auslegung des Testaments festgestellt werden.
Als Rechtsanwalt und Notar Krau ist es mir ein Anliegen, Ihnen in diesen komplexen juristischen Angelegenheiten zur Seite zu stehen und Ihnen das Erbrecht verständlich zu machen. Wenn Sie Fragen zur Erbschaft haben, zögern Sie nicht, sich an mich zu wenden.
Ich hoffe, diese Erklärung hat Ihnen geholfen, das Prinzip des automatischen Erwerbs der Erbschaft besser zu verstehen. Haben Sie noch weitere Fragen dazu?