Der (nicht) rechtsfähige Verein ohne Rechtspersönlichkeit
Aufsatz von Prof. Dr. Gregor Bachmann, NJW 2025, 1369
Die Reform des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) hat die rechtliche Behandlung des nicht eingetragenen Vereins (neV) maßgeblich verändert.
Während § 54 BGB a.F. auf das Recht der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) verwies, nimmt die Neufassung nunmehr Bezug auf die Vorschriften des eingetragenen Vereins (§§ 24 ff. BGB),
sofern kein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb vorliegt.
Diese Änderung führt zu der Schlussfolgerung, dass der neV grundsätzlich rechtsfähig ist, wenngleich er weiterhin in einer nicht rechtsfähigen Form existieren kann.
Die Gestaltungspraxis ist gefordert, ihre Regelwerke an diese neue Rechtslage anzupassen.
Im Gegensatz zum umfassend geregelten eingetragenen Verein (e.V.) fristete der neV im BGB lange ein Randdasein (§ 54 BGB a.F.).
Die Verweisung auf das GbR-Recht wurde in Rechtsprechung und Lehre als unpassend kritisiert und in der Folge korrigiert.
Entgegen der gesetzlichen Bezeichnung wurde dem neV schrittweise Rechts- und Parteifähigkeit zuerkannt.
Das MoPeG hat diese Diskrepanz zwischen Gesetz und gelebter Praxis beseitigt.
Die Verweisung auf §§ 705 ff. BGB wurde durch eine Bezugnahme auf §§ 24–53 BGB ersetzt (§ 54 Abs. 1 Satz 1 BGB n.F.).
Lediglich für wirtschaftlich tätige neV bleibt es bei der Verweisung auf das Gesellschaftsrecht (§ 54 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F.), da der Verein als Rechtsform für unternehmerische Aktivitäten nicht vorgesehen ist.
Wer ein Unternehmen betreiben möchte und die persönliche Haftung vermeiden will, muss auf die dafür vorgesehenen Rechtsformen zurückgreifen.
Der Begriff „neV“ bezieht sich daher primär auf den nicht eingetragenen Idealverein.
Unverändert blieb die Handelndenhaftung (§ 54 Abs. 2 BGB n.F.), die den Gläubiger eines neV schützen soll, da die Existenz und Vertretungsbefugnis des Vereins nicht immer sicher überprüfbar sind.
Das MoPeG ließ einige Abgrenzungsfragen offen, beispielsweise den Umfang der Rechtsfähigkeit (Grundbuchfähigkeit, Gesellschafterfähigkeit) und terminologische Inkonsistenzen.
Die Bezeichnung als „Verein ohne Rechtspersönlichkeit“ verdeutlicht, dass der neV keine juristische Person ist.
Mangels Einordnung in das klassische Dreierschema (natürliche Person, juristische Person, rechtsfähige Personengesellschaft) wird der neV, ähnlich der Vorgesellschaft
und der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE), als „sui generis“ eingestuft.
Die Figur der rechtsfähigen Gesamthand wurde durch das MoPeG abgeschafft.
Die Unterscheidung zwischen wirtschaftlich und nicht wirtschaftlich tätigen neV erfolgt anhand der für eingetragene Vereine entwickelten Grundsätze zur Abgrenzung von Ideal- und wirtschaftlichem Verein (§§ 21, 22 BGB).
Wirtschaftliche Nebenzwecke, die dem ideellen Hauptzweck untergeordnet sind, schließen die Einordnung als Idealverein nicht aus.
Die Gemeinnützigkeit gemäß § 52 AO ist ein Indiz hierfür.
Die Abgrenzung zum e.V. ist nunmehr klar:
Der entscheidende Unterschied liegt in der Eintragung im Vereinsregister.
Der neV ist grundsätzlich rechtsfähig, der e.V. ist eingetragen.
In der Übergangsphase zwischen Satzungsfeststellung und Eintragung wird der zukünftige e.V. als neV behandelt.
Die Abgrenzung zur GbR erfolgt primär nach dem Willen der Beteiligten. Fehlt eine klare Willensäußerung, sind typologische Kriterien heranzuziehen.
Körperschaftliche Elemente (Unabhängigkeit vom Mitgliederbestand, Dauerhaftigkeit) sprechen für einen Verein.
Fremdorganschaft (Vorstandsmitglieder sind nicht gleichzeitig Vereinsmitglieder) ist ein weiteres Indiz, wenngleich in der Praxis selten.
Bei wirtschaftlicher Betätigung greifen die Regeln der GbR (bzw. OHG), auch bei körperschaftlicher Strukturierung (§ 54 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F.).
Dispositives GbR-Recht kann im Innenverhältnis stillschweigend zugunsten des Vereinsrechts abbedungen werden.
Die Eintragung einer Vereinigung als eGbR im Gesellschaftsregister führt grundsätzlich zur Behandlung als GbR im Innen- und Außenverhältnis.
Die Erscheinungsformen des neV sind vielfältig und reichen von großen Organisationen wie politischen Parteien und Gewerkschaften bis hin zu lokalen Freizeitclubs und Bürgerinitiativen.
Wirtschaftlich tätige neV sind de facto GbRs oder OHGs.
Besondere Formen sind der Vorverein (Stadium zwischen Satzungsbeschluss und Eintragung) und der Zweigverein (selbstständige Untergliederung eines Gesamtvereins).
Lose Gruppierungen ohne ausgeprägte Binnenstruktur (z.B. „Fridays for Future“) können bei Vorliegen eines entsprechenden Rechtsbindungswillens als neV eingestuft werden.
Einige traditionell als neV organisierte Zusammenschlüsse haben sich mittlerweile eintragen lassen, um beispielsweise die Kontoeröffnung zu erleichtern.
Teilweise unterhalten neV eigene, gemeinnützige e.V. für bestimmte Zwecke.
Die Rechtsfähigkeit des neV existiert in abgestufter Form:
Der Gefälligkeitsverein: Hier fehlt der gemeinsame Rechtsbindungswille, weshalb keine Einordnung als Verein im Sinne der §§ 21 ff. BGB erfolgt.
Solche Gruppen bewegen sich außerhalb des Vereinsrechts, können aber öffentlich-rechtlichen Pflichten unterliegen oder als kriminelle Vereinigung eingestuft werden.
Im Innenverhältnis können einzelne Rechtsbeziehungen Vertragscharakter haben.
Trotz der Tilgung des Begriffs aus dem Gesetz existiert diese Variante aufgrund der Vereinsautonomie fort. Es gelten diejenigen Vorschriften der §§ 24–53 BGB,
die keine Rechtsfähigkeit voraussetzen (insbesondere nicht Vertretung und Organhaftung).
Die Vermögensfähigkeit des nicht rechtsfähigen neV wird im Unterschied zur nicht rechtsfähigen GbR bejaht.
Die Vereinsmitglieder können die Rechtsfähigkeit des neV beschränken, beispielsweise auf das Innenverhältnis oder den Vereinszweck.
Dies ist durch Satzungsgestaltung möglich, wobei die Vertretungsmacht des Vorstands entsprechend begrenzt werden kann (§ 26 Abs. 1 Satz 3 BGB).
Der rechtsfähige neV: Dies ist der „Normalfall“ ohne abweichende Regelung. Der neV ist materiell voll rechtsfähig und dem e.V. insoweit gleichgestellt (Rechte, Pflichten, Prozessfähigkeit, Vermögensfähigkeit).
Die Rechtsfähigkeit ergibt sich aus dem Verweis auf §§ 24 ff. BGB. Terminologisch hat sich die Bezeichnung „Verein ohne Rechtspersönlichkeit“ durchgesetzt.
Aber: Keine Grundbuchfähigkeit. Trotz Rechtsfähigkeit ist der neV nicht grundbuchfähig, da § 54 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht auf die eintragungsrelevanten Normen (§§ 55 ff. BGB) verweist
und die Eintragung für die Subjektpublizität im Grundstücksverkehr entscheidend ist (§ 47 Abs. 2 GBO).
Der neV kann jedoch durch Eintragung zum grundbuchfähigen e.V. mutieren.
Bei Umwandlung eines e.V. in einen neV sollte der Grundbesitz zuvor liquidiert werden (analog § 707a Abs. 4 BGB).
Gesellschafterfähigkeit? Materiell-rechtlich kann ein neV Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft sein.
Jedoch ist § 40 Abs. 1 Satz 3 GmbHG bzw. § 67 Abs. 1 Satz 3 AktG analog anzuwenden, wonach eine nicht registrierte GbR nicht in die Gesellschafterliste bzw. das Aktienregister eingetragen wird.
Der neV muss sich daher in einen e.V. umwandeln, um als Gesellschafter registriert zu werden.
Umwandlungen innerhalb des neV (z.B. vom Gefälligkeitsverein zum „echten“ Verein, Änderung der Rechtsfähigkeit) sind unproblematisch.
Die Umwandlung vom neV in einen e.V. erfolgt durch satzungsändernden Beschluss und Eintragung im Vereinsregister außerhalb des Umwandlungsgesetzes.
Der Verein besteht als e.V. fort, ohne dass eine Rechtsnachfolge stattfindet.
Erforderlich sind eine schriftliche Satzung und der Nachweis der Vertretungsbefugnis.
Im Unterschied zur eintragungswilligen GbR benötigt der Verein mindestens sieben Mitglieder und spezielle Satzungsregelungen.
Die Umwandlung vom e.V. in einen neV erfolgt durch satzungsändernden Beschluss und Antrag auf Löschung aus dem Register.
Der Verein verliert seine Rechtspersönlichkeit, besteht aber als (rechtsfähiger oder nicht rechtsfähiger) neV fort.
Eine Umwandlung nach dem Umwandlungsgesetz ist nicht möglich, da der neV dort nicht als Zielrechtsträger vorgesehen ist.
Die Umbenennung des „nicht rechtsfähigen Vereins“ in „Verein ohne Rechtspersönlichkeit“ hat sich noch nicht überall durchgesetzt.
Eine konsequente Verwendung der neuen Terminologie ist sowohl im Gesetz als auch in der Gestaltungspraxis notwendig, um Missverständnisse zu vermeiden.
Das MoPeG hat die Rechtsstellung des nicht eingetragenen Idealvereins durch die Verweisung auf das Vereinsrecht und die Anerkennung seiner Rechtsfähigkeit gestärkt.
Der neV ist nunmehr – abgesehen von der fehlenden Eintragung – dem e.V. weitgehend gleichgestellt, wenngleich er keine juristische Person ist.
Die Mitglieder können zwischen einer rechtsfähigen und einer nicht rechtsfähigen Variante wählen.
Der neV ist nicht grundbuchfähig und kann sich bei Beteiligung an registrierten Gesellschaften nicht ohne vorherige Eintragung als e.V. in die entsprechenden Register eintragen lassen.
Normgeber und Rechtsanwender sind gefordert, die neue Terminologie konsequent anzuwenden.