Zusammenfassung des Aufsatzes von Lange:
„Die Irrtumsanfechtung bei Annahme und Ausschlagung einer Erbschaft„,
ZEV 2023, 270.
Der Artikel von Prof. Dr. Knut Werner Lange befasst sich mit der Anfechtung von Erbschaftsannahme und -ausschlagung wegen Irrtums.
Dieses Thema ist von großer praktischer Relevanz, da Erben oft unter Zeitdruck und mit unvollständigen Informationen über den Nachlass entscheiden müssen.
Grundlagen der Erbschaftsannahme und -ausschlagung:
- Vonselbsterwerb: Die Erbschaft geht mit dem Tod des Erblassers automatisch auf den Erben über.
- Befristetes Recht zur Ausschlagung: Der Erbe hat nur 6 Wochen Zeit, die Erbschaft auszuschlagen.
- Kritik und Bedeutung der Korrektur durch Anfechtung: Die kurze Frist und die Komplexität von Nachlässen führen oft zu überstürzten Entscheidungen, die der Erbe später bereuen kann. Die Anfechtung bietet hier eine Möglichkeit zur Korrektur.
Anfechtungsgründe:
Die Irrtumsanfechtung bei Annahme und Ausschlagung einer Erbschaft
- Anfechtungsgründe des 5. Buches BGB:
- § 1956 BGB: Anfechtung wegen Versäumung der Ausschlagungsfrist aufgrund von Irrtum, Täuschung oder Drohung.
- § 1949 BGB: Nichtigkeit der Annahme oder Ausschlagung bei Irrtum über den Berufungsgrund.
- Besonderheiten im Pflichtteilsrecht:
- § 2308 BGB: Anfechtung der Ausschlagung bei Unkenntnis über den Wegfall von Beschränkungen oder Beschwerungen.
- Beginn der Verjährungsfrist für den Pflichtteilsanspruch: Irrtum über die Wirksamkeit einer Verfügung kann den Verjährungsbeginn hinauszögern.
- Anfechtungsgründe des Allgemeinen Teils BGB:
- Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 Var. 1 BGB)
- Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Var. 2 BGB)
- Irrtum über die Eigenschaften einer Sache (§ 119 Abs. 2 BGB)
- Arglistige Täuschung oder Drohung (§ 123 BGB)
Anfechtung wegen Irrtums über Eigenschaften des Nachlasses (§ 119 Abs. 2 BGB):
- Der Nachlass selbst kann als „Sache“ im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB angesehen werden.
- Ein Irrtum über den Wert des Nachlasses oder einzelner Nachlassgegenstände berechtigt nicht zur Anfechtung.
- Ein Irrtum über die Zugehörigkeit von Gegenständen zum Nachlass (z.B. irrtümliche Annahme einer Überschuldung) kann hingegen einen Anfechtungsgrund darstellen.
Die Irrtumsanfechtung bei Annahme und Ausschlagung einer Erbschaft
Anfechtung wegen Erklärungsirrtums (§ 119 Abs. 1 Var. 2 BGB):
- Liegt vor, wenn der äußere Tatbestand der Erklärung nicht dem Willen des Erben entspricht (z.B. Irrtum über die Ausschlagungsfrist).
- § 1956 BGB erweitert den Anwendungsbereich des Erklärungsirrtums auf die Annahme der Erbschaft durch Fristablauf.
Anfechtung wegen Inhaltsirrtums (§ 119 Abs. 1 Var. 1 BGB):
- Der Erbe irrt über die Bedeutung und Tragweite seiner Erklärung.
- Abgrenzung zum unbeachtlichen Motivirrtum ist oft schwierig.
- Die Rechtsprechung wendet einen weiten Begriff des Inhaltsirrtums an, was zu Unsicherheiten führt.
- Beispiele: Irrtum über die Rechtsfolgen der Ausschlagung, Irrtum über die Voraussetzungen des § 2306 BGB.
Zusammenfassung und Folgerungen:
- Die Anfechtung wegen Irrtums über die Eigenschaften des Nachlasses ist nur in engen Grenzen möglich.
- Die weite Auslegung des Inhaltsirrtums durch die Rechtsprechung führt zu Rechtsunsicherheit und konterkariert das Ziel des Gesetzgebers, die Nachfolge von Todes wegen zügig zu klären.
- Die Verantwortlichkeit für die Willensbildung liegt beim Erben. Er hat die Möglichkeit, sich vor einer Entscheidung über Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft zu informieren und gegebenenfalls Rechtsrat einzuholen.
Kritik an der Rechtsprechung:
Die Irrtumsanfechtung bei Annahme und Ausschlagung einer Erbschaft
Prof. Lange kritisiert die Rechtsprechung für ihre weite Auslegung des Inhaltsirrtums.
Dies führe zu einer kaum noch systematisierbaren Einzelfalljudikatur und Rechtsunsicherheit.
Er plädiert für eine engere Auslegung des Anfechtungsrechts, um die Rechtssicherheit zu erhöhen und die zügige Klärung der Nachfolge zu gewährleisten.
Fazit:
Die Anfechtung von Erbschaftsannahme und -ausschlagung wegen Irrtums ist ein komplexes Thema mit erheblicher praktischer Bedeutung.
Die Rechtsprechung tendiert zu einer großzügigen Auslegung des Anfechtungsrechts, was jedoch zu Rechtsunsicherheit führt.
Prof. Lange plädiert für eine stärkere Betonung der Eigenverantwortung des Erben und eine engere Auslegung des Anfechtungsrechts.
RA und Notar Krau