Die rechtliche Einordnung von § 1371 Absatz 1 BGB
Wenn ein Ehepartner stirbt, stellt sich oft die Frage, wie das Vermögen aufgeteilt wird. Im deutschen Recht gibt es eine spezielle Regelung, die dem überlebenden Ehepartner zusätzlich zu seinem gesetzlichen Erbteil ein zusätzliches Viertel des Nachlasses gewährt. Diese Regelung greift, wenn die Eheleute im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt haben.
Diese Regelung, die umgangssprachlich als „erbrechtliches Viertel“ bekannt ist, sorgt jedoch im sogenannten Internationalen Privatrecht (IPR) – also bei Fällen mit Auslandsbezug (z.B. wenn die Ehepartner unterschiedliche Staatsangehörigkeiten haben oder im Ausland gelebt haben) – für große Verwirrung. Juristen diskutieren seit langem darüber, ob diese zusätzliche Vermögenszuwendung eherechtlich (Güterrecht) oder erbrechtlich einzuordnen ist.
Die Einordnung ist entscheidend, weil sie bestimmt, welche Rechtsordnung im internationalen Fall angewendet wird:
Wenn es Güterrecht ist, entscheidet das Recht, das den ehelichen Güterstand regelt (oft das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts oder der Staatsangehörigkeit beider Partner).
Wenn es Erbrecht ist, entscheidet das Recht, das den Nachlass regelt (seit der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) meist das Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts).
Eine eindeutige Einordnung („Qualifikation“) ist nötig, um zu verhindern, dass der überlebende Partner im schlimmsten Fall durch die Anwendung unterschiedlicher Gesetze entweder gar nichts oder mehr erhält, als beabsichtigt (sogenannter „Normenmangel“ oder „Normenhäufung“).
Die Mehrheit der Fachleute – und ein aktuelles Gerichtsurteil eines deutschen Oberlandesgerichts – sieht in diesem Viertel eine eherechtliche (güterrechtliche) Regelung.
Der eigentliche Zweck: Obwohl die Zahlung erst im Todesfall und aus dem Nachlass erfolgt (ein erbrechtliches „Instrument“), dient die Regelung ihrem Kern nach dazu, den während der Ehe gemeinsam erwirtschafteten Zugewinn pauschal auszugleichen. Sie ersetzt den komplizierten rechnerischen Zugewinnausgleich. Der Hauptzweck ist also güterrechtlich.
Das Viertel gibt es nur, wenn die Ehepartner im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebten. Diese Abhängigkeit vom ehelichen Vermögenssystem ist ein starkes Indiz für Güterrecht.
Das Ehegüterrecht bleibt in der Regel während der Ehe gleich. Wäre das Viertel eine Erbregelung, könnte der Anspruch des überlebenden Ehepartners verloren gehen, wenn der andere Partner z.B. nur seine Staatsangehörigkeit ändert (und damit das Erbstatut wechselt). Dies würde dem Schutzbedürfnis des Ehepartners zuwiderlaufen.
Die Argumentation der Gegner, die auf die erbrechtlichen Aspekte (wie die Möglichkeit des testamentarischen Ausschlusses) abstellen, wird als nachrangig betrachtet. Die Form (Erhöhung des Erbteils) dürfe nicht über den Inhalt (Ausgleich des Zugewinns) gestellt werden.
Die Idee einer „Doppelqualifikation“ (die Vorschrift sei nur anwendbar, wenn deutsches Recht sowohl das Ehe- als auch das Erbrecht regelt) wird abgelehnt. Dies würde den Anwendungsbereich der Regelung in internationalen Fällen unnötig stark einschränken und häufig zu ungerechten Ergebnissen führen.
Mit der Einführung der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) und einer geplanten Europäischen Güterstandsverordnung (EuGüVO) verschiebt sich die Debatte auf die europäische Ebene.
Auch unter diesem neuen europäischen IPR-Regime bleibt die eherechtliche Einordnung die wahrscheinlichste und sinnvollste Lösung:
Die EuErbVO schließt eherechtliche Fragen ausdrücklich aus ihrem Anwendungsbereich aus.
Die ursprünglichen Argumente für die güterrechtliche Qualifikation (pauschalierter Zugewinnausgleich) behalten auch im europäischen Kontext ihre Gültigkeit.
Eine doppelte Einordnung wäre unter den EU-Verordnungen besonders problematisch, da diese eigentlich als ergänzende Rechtsakte ohne Überschneidungen gedacht sind.
Experten befürworten, dass das sogenannte erbrechtliche Viertel eherechtlich einzuordnen ist. Um jedoch für internationale Fälle absolute Sicherheit zu schaffen und die Anwendung unterschiedlicher Rechtsordnungen zu vermeiden, wird Juristen und Eheleuten dringend geraten, in einem Ehevertrag eine Rechtswahl zu treffen. Sie sollten aktiv das Recht wählen, das sowohl ihr Ehegüterrecht als auch ihr Erbrecht regelt. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass im Todesfall die gleichen Regeln für die gesamte Vermögensauseinandersetzung gelten.