Die Verlängerung des Vorbehaltsnießbrauchs – Zugleich Anmerkung zu BFH Urteil vom 25.05.2022 – IX R 1/21
Artikel von Notarassessorin Dr. Johanna Wernthaler, Karlsruhe, MittBayNot 2023, 573
Die unentgeltliche Übertragung von Grundstücken im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge, oft verbunden mit einem Vorbehaltsnießbrauch, ist eine gängige Praxis.
Dieser Nießbrauch dient der Absicherung des Übertragenden oder der Optimierung der Schenkungsteuer.
Bei vermieteten Immobilien werden die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) dem Nießbraucher zugerechnet.
Bislang war die ertragsteuerliche Behandlung der sogenannten Surrogation – also der Substitution des ursprünglichen Wirtschaftsguts durch ein anderes – bei einem Vorbehaltsnießbrauch umstritten.
Nun hat der BFH mit seinem Urteil vom 25.05.2022 (IX R 1/21) eine langersehnte Klärung herbeigeführt und die Grundsätze
zur Abschreibung für Abnutzung (AfA) beim Vorbehaltsnießbrauch maßgeblich weiterentwickelt.
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 in Verbindung mit § 7 Abs. 4 EStG kann der Vorbehaltsnießbraucher die AfA für die überlassene Immobilie geltend machen, so wie er es vor der Übertragung als Eigentümer getan hat.
Entscheidend ist hierbei, dass der Steuerpflichtige vor der Eigentumsübertragung die Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Wirtschaftsguts getragen hat.
Die spätere Übertragung des Eigentums unterbricht diesen Zusammenhang zwischen Aufwand und Einkünfteerzielung nicht.
Diese Grundsätze galten nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH auch für die mittelbare Grundstücksschenkung.
Wenn durch eine Geldschenkung der Erwerb eines bestimmten Grundstücks ermöglicht wird, verbunden mit der Auflage, dass der Schenker den Nießbrauch erhält
und daraus Vermietungseinkünfte erzielt, stand dem Schenker die AfA-Berechtigung wie bei einer direkten Grundstücksschenkung zu.
Mit dem aktuellen Urteil erweitert der BFH seine Rechtsprechung nun um eine weitere Fallgruppe: Unter bestimmten Voraussetzungen ist auch der
Austausch einer mit einem Vorbehaltsnießbrauch belasteten Immobilie unschädlich für die AfA-Berechtigung des Nießbrauchers.
Im konkreten Fall hatten die Kläger ihr selbst bewohntes Einfamilienhaus im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unter Nießbrauchsvorbehalt an ihre Kinder übertragen.
Später entschieden sie sich zum Umzug und planten, das Haus zu verkaufen und den Erlös in zwei zu vermietende Eigentumswohnungen zu investieren, wobei der Nießbrauch fortbestehen sollte.
In einer privatschriftlichen Vereinbarung mit ihren Kindern willigten die Kläger in die Löschung des Nießbrauchs beim Verkauf des Hauses ein.
Gleichzeitig wurde vereinbart, dass sich der Nießbrauch zunächst am Verkaufserlös und später an den neu erworbenen Eigentumswohnungen fortsetzen sollte.
Der Verkaufserlös wurde auf das Konto der Eltern überwiesen und reichte aus, um zwei Eigentumswohnungen zu erwerben,
die zugunsten der Eltern mit einem Nießbrauch belastet und von diesen vermietet wurden.
In ihrer Einkommensteuererklärung machten die Kläger für die Vermietungseinkünfte AfA geltend, indem sie die Anschaffungskosten der Eigentumswohnungen
(inklusive Grund und Boden sowie Nebenkosten) über ihre voraussichtliche statistische Lebenserwartung verteilten.
Das Finanzamt lehnte dies ab, und Einspruch sowie Klage blieben erfolglos.
Der BFH bestätigte nun die Auffassung des Finanzamts.
Der BFH hatte bislang offengelassen, ob bei einem Austausch eines mit Vorbehaltsnießbrauch belasteten Grundstücks gegen ein anderes und der anschließenden Einräumung eines Nießbrauchs an dem neuen
Grundstück steuerrechtlich von einem Fortbestehen des Vorbehaltsnießbrauchs ausgegangen werden kann.
Das aktuelle Urteil schafft nun Klarheit in zweierlei Hinsicht:
Der zivilrechtlich als Verzicht auf den alten und Bestellung eines neuen Nießbrauchs am Surrogat darzustellende Vorgang ist steuerrechtlich als Fortbestehen des Vorbehaltsnießbrauchs einzuordnen,
wenn eine einheitliche vorherige Vereinbarung vorliegt und der Nießbrauch ohne Unterbrechung fortbesteht.
Wirtschaftlich betrachtet trägt der Vorbehaltsnießbraucher die Anschaffungskosten der Ersatzimmobilie, indem er den Erwerb durch den Verzicht auf den ursprünglichen Nießbrauch ermöglicht.
Ein obligatorisches Nutzungsrecht steht hierbei einem dinglichen Recht gleich.
Besteht am Ende einer ununterbrochenen „Nießbrauchskette“ ein Nießbrauch an der neuen Immobilie, der zivilrechtlich
mangels dinglicher Surrogation als Zuwendungsnießbrauch zu qualifizieren wäre, ist er wirtschaftlich als Fortsetzung des Vorbehaltsnießbrauchs anzusehen.
Somit bleibt die AfA-Berechtigung des Übertragenden erhalten.
Kernfrage war, welcher Aufwand über welchen Zeitraum abzuschreiben ist.
Die Kläger argumentierten, die neuen Nießbrauchsrechte entgeltlich durch den Verzicht erworben zu haben
und somit den Nießbrauch selbst über die voraussichtliche Restlebenszeit gemäß § 7 Abs. 1 EStG abschreiben zu können.
Dies hätte die Beschränkungen der Gebäude-AfA nach § 7 Abs. 4 EStG umgangen.
Der BFH wies dies zurück und stellte klar, dass das AfA-Objekt weiterhin die mit dem Nießbrauch belastete Ersatzimmobilie ist.
Der Nießbraucher ist weiterhin nur zur Vornahme der Gebäude-AfA befugt.
Somit können lediglich die auf das Gebäude entfallenden Anschaffungs- oder Herstellungskosten abgeschrieben werden.
Die Entscheidung des BFH ist von hoher praktischer Relevanz, da sie mehr Flexibilität für Übertragende schafft,
die nach der Überlassung ihres Familienheims unter Nießbrauchsvorbehalt den Wunsch nach einer räumlichen Veränderung haben.
Werden die Vorgaben des BFH zur Surrogation des Vorbehaltsnießbrauchs eingehalten, kann dies nicht nur den Erhalt der AfA-Berechtigung sichern, sondern im Einzelfall auch zu einem AfA-Step-Up führen.
Für den Austausch eines mit Nießbrauch belasteten Wirtschaftsguts zur Erhaltung der AfA sind folgende Punkte zu beachten:
Vertragliche Vereinbarung:
Während des Bestehens des ursprünglichen Nießbrauchs muss vertraglich vereinbart werden, dass sich der Nießbrauch an allen Surrogaten – vom Veräußerungserlös bis zur Ersatzimmobilie – fortsetzt.
Dies ist nach Ansicht des BFH formfrei möglich.
Die Ersatzimmobilie muss zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststehen.
Auch die Investition in mehrere Immobilien ist unschädlich.
Bei der Gestaltung des Ablösungsvertrags empfiehlt sich eine Orientierung an der vom BFH geprüften Formulierung, die den Verkauf,
die Überweisung des Erlöses auf das Konto der Eltern mit Nießbrauch daran und die Reinvestition in neue Immobilien mit erneutem Nießbrauch zugunsten der Eltern vorsieht.
Tatsächliche Umsetzung:
Die Vereinbarung muss entsprechend umgesetzt werden, insbesondere hinsichtlich der Abwicklung über das Konto des Nießbrauchers. § 1074 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) berechtigt den Nießbraucher
zur Einziehung der Forderung, und gemäß § 1075 Abs. 1 BGB setzt sich der Nießbrauch an der Forderung kraft dinglicher Surrogation am Bankguthaben fort.
Die Zinsen stehen dem Nießbraucher als Nutzungen zu. Die Belassung des Veräußerungserlöses auf dem Konto des Nießbrauchers zur Sicherstellung der zweckgemäßen Verwendung schließt auch eine
schenkungsteuerrechtlich relevante Bereicherung der Kinder aus.
Eine „Parkierung“ des Erlöses beim Erwerber der Ersatzimmobilie sollte vermieden werden, um Zweifel an der Mittelherkunft auszuschließen.
Die Finanzierung der Ersatzimmobilie muss aus dem Veräußerungserlös der Altimmobilie erfolgen.
Bei Gleichwertigkeit ist dies unproblematisch.
Bei einer Differenzierung zwischen Veräußerungserlös und Anschaffungskosten der Ersatzimmobilie sind folgende Szenarien denkbar:
Veräußerungserlös > Anschaffungskosten:
Der Nießbrauch besteht zunächst an der Restforderung fort.
Ein Verzicht des Übergebers auf den Forderungsnießbrauch ist schenkungsteuerrelevant.
Veräußerungserlös < Anschaffungskosten:
Trägt der Erwerber den Mehraufwand und erstreckt sich der Nießbrauch auf das Gesamtobjekt, entsteht bezüglich des vom Erwerber getragenen Aufwands ein Zuwendungsnießbrauch, der anteilig zum Verlust der AfA-Berechtigung führen kann.
Die AfA-Berechtigung könnte erhalten bleiben, wenn nur ein Teil- oder Quotennießbrauch entsprechend den Aufwendungen des Nießbrauchers eingeräumt wird.
Es bleibt abzuwarten, ab welcher Zuzahlung des Erwerbers wirtschaftlich nicht mehr von einem reinen Austausch gesprochen werden kann.
Leistet der Übergeber den Mehrbetrag, kann er die volle AfA auf den Gebäudeanteil geltend machen, tätigt aber gleichzeitig eine weitere mittelbare Grundstücksschenkung.
Die Verlängerung des Vorbehaltsnießbrauchs kann ein AfA-Step-Up-Modell ermöglichen, wenn das Abschreibungsvolumen der Altimmobilie bereits erschöpft ist.
Während die AfA bei der Altimmobilie auf die historischen Kosten begrenzt ist, schafft die Surrogation des Nießbrauchs durch den Austausch des belasteten Grundbesitzes neues Abschreibungspotenzial, da
nach der Argumentation des BFH eine neue Anschaffung vorliegt und somit eine neue AfA-Reihe auf Basis der neuen Anschaffungskosten des Gebäudes beginnt.
Nach Erlöschen des Nießbrauchs ist diese AfA vom Eigentümer gemäß § 11d Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) fortzusetzen.
Der BFH behandelt diese Konstellation somit, als hätte der Schenker die Altimmobilie verkauft, die Ersatzimmobilie erworben und diese anschließend unter Nießbrauchsvorbehalt verschenkt.
Dieses Urteil des BFH schafft somit wichtige Klarheit und Flexibilität für die Übertragung von Immobilien unter Vorbehaltsnießbrauch, insbesondere wenn eine spätere Surrogation des Objekts gewünscht ist.
Die Einhaltung der vom BFH formulierten Voraussetzungen ist jedoch entscheidend, um die steuerlichen Vorteile zu wahren.