Eigenbedarfskündigung: Nichten und Neffen als Familienangehörige

Oktober 10, 2025

Eigenbedarfskündigung: Nichten und Neffen als Familienangehörige

Vorinstanzen:

AG Baden-Baden, Entscheidung vom 01.07.2008 – 7 C 150/08 –

LG Baden-Baden, Entscheidung vom 26.05.2009 – 2 S 9/09 –

Zusammenfassung des BGH-Urteils vom 27.01.2010 (VIII ZR 159/09)

Urteil des Bundesgerichtshofs: Kündigung wegen Eigenbedarf der Nichte

Bei diesem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) geht es um eine Räumungsklage einer Vermieterin gegen ihre Mieter. Der zentrale Streitpunkt ist die Wirksamkeit einer Kündigung wegen sogenannten Eigenbedarfs für die Nichte der Vermieterin.

Der Sachverhalt: Worum es ging

Eine hochbetagte, kinderlose und verwitwete Klägerin zog im Jahr 2004 aus ihrer Eigentumswohnung in Baden-Baden in eine Seniorenresidenz und vermietete die Wohnung an die Beklagten.

Drei Jahre später, im August 2007, übertrug die Klägerin die Wohnung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge an ihre Nichte (die in einer anderen Stadt wohnte) und behielt sich gleichzeitig den Nießbrauch an der Wohnung vor. Das bedeutet: Die Nichte wurde Eigentümerin, aber die Klägerin blieb berechtigt, die Wohnung zu nutzen oder die Mieteinnahmen zu erhalten.

Als Gegenleistung für die Schenkung verpflichtete sich die Nichte, die Klägerin in der Seniorenresidenz lebenslang zu versorgen und die häusliche Grundpflege zu übernehmen. Im notariellen Vertrag wurde festgehalten, dass die Nichte beabsichtigt, in die Wohnung zu ziehen, um die Pflege persönlich erfüllen zu können.

Die Klägerin kündigte daraufhin das Mietverhältnis mit den Beklagten ordentlich wegen Eigenbedarfs, da die Nichte die Wohnung für die Erfüllung der Pflegeverpflichtung benötigte. Die Mieter weigerten sich auszuziehen.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen

Amtsgericht (AG):

Das AG hielt die Kündigung wegen Eigenbedarfs für gerechtfertigt und wirksam. Um eine sofortige unzumutbare Härte für die Mieter zu vermeiden, ordnete es eine Fortsetzung des Mietverhältnisses bis mindestens August 2009 zu unveränderten Bedingungen an.

Landgericht (LG):

Das LG (Berufungsgericht) wies die Klage der Vermieterin ab und hielt die Kündigung für unwirksam.

Es argumentierte, die Klägerin sei in der Seniorenresidenz bereits ausreichend versorgt, weshalb die zusätzliche Pflege durch die Nichte nicht notwendig sei.

Es sah die Nichte nicht als „engen Familienangehörigen“ im Sinne des Gesetzes an. Nur bei engen Angehörigen (Eltern, Kinder, Geschwister) sei Eigenbedarf ohne Weiteres zulässig; bei entfernteren Verwandten müsse eine zusätzliche moralische oder rechtliche Fürsorgepflicht des Vermieters gegenüber dem Angehörigen vorliegen, was hier verneint wurde.

Die Entscheidung des BGH und ihre Begründung

Der BGH gab der Revision der Klägerin statt und hob das Urteil des Landgerichts auf. Er entschied, dass die Kündigung wegen Eigenbedarfs wirksam war und die Mieter die Wohnung räumen müssen.

Zum Begriff des „Familienangehörigen“

Der entscheidende Punkt war die Frage, ob eine Nichte zu dem privilegierten Kreis der Familienangehörigen gemäß §573 Abs. 2 Nr. 2 BGB gehört, für die Eigenbedarf geltend gemacht werden darf.

Der BGH stellt klar, dass Nichten und Neffen zwar nicht zu den engsten Angehörigen (wie Eltern oder Kinder) gehören, aber entgegen der Ansicht des LG auch nicht zu den weitläufig Verwandten.

Wichtigste Schlussfolgerung:

Nichten und Neffen stehen den Geschwistern des Vermieters im Grad der Verwandtschaft so nah, dass sie generell zu dem Kreis der privilegierten Familienangehörigen zählen.

Eigenbedarfskündigung: Nichten und Neffen als Familienangehörige

Daher ist für sie der Nachweis einer zusätzlichen engen sozialen Bindung oder Fürsorgepflicht – anders als bei sehr entfernten Verwandten – nicht erforderlich. Der Gesetzgeber geht von einer gegenseitigen Solidarität aus.

Der BGH beruft sich hierbei auf die gesetzgeberische Wertung im Zeugnisverweigerungsrecht (§383 ZPO, §52 StPO), das Nichten und Neffen ebenfalls einbezieht.

Zur Notwendigkeit des Bedarfs

Da die Nichte als Familienangehörige gilt, war der Eigenbedarf für die persönliche Erfüllung der Pflegeverpflichtung gegenüber der hochbetagten Tante rechtlich anzuerkennen.

Die Argumentation des LG, die Klägerin sei bereits in der Seniorenresidenz ausreichend versorgt, sei unerheblich. Das Interesse des Vermieters (hier: die Nichte in der Nähe zu haben und die vereinbarte Pflege zu ermöglichen) ist entscheidend.

Zur Räumungsfrist (Härtefallprüfung)

Der BGH stellte fest, dass die Mieter nach der nun festgestellten Wirksamkeit der Kündigung zur Räumung verpflichtet sind.

Er prüfte, ob die Räumung der Wohnung für die Mieter eine unzumutbare Härte darstellen würde (was eine Verlängerung des Mietverhältnisses ermöglichen könnte).

Da die Mieter keine konkreten Gründe für eine Härte (z. B. keine angemessene Ersatzwohnung) vorgetragen hatten und das Mietverhältnis inzwischen über fünf Jahre bestanden hatte, sah der BGH keine unzumutbare Härte mehr.

Der BGH setzte den Mietern eine Räumungsfrist bis zum 31. Mai 2010.

Fazit und Kernbotschaft des Urteils

Das Urteil stärkt die Rechte von Vermietern bei der Geltendmachung von Eigenbedarf für Verwandte in der Seitenlinie:

Nichten und Neffen gelten im Mietrecht grundsätzlich als privilegierte Familienangehörige im Sinne des Eigenbedarfs (§573 Abs. 2 Nr. 2 BGB).

Bei ihnen muss keine zusätzliche enge soziale Bindung oder Fürsorgepflicht im Einzelfall nachgewiesen werden, um die Kündigung zu rechtfertigen. Die Tatsache der Verwandtschaft ist ausreichend.

Das Urteil sorgte für eine Klarstellung und Erweiterung des Kreises der Familienangehörigen, für die Eigenbedarf geltend gemacht werden kann.

RA und Notar Krau

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