Eingruppierung – Verweisungskette – Normenklarheit – Antragserfordernis – Gleichheitssatz

Juni 28, 2025

Eingruppierung – Verweisungskette – Normenklarheit – Antragserfordernis – Gleichheitssatz

RA und Notar Krau

In der Entscheidung 4 AZR 62/24 vom 26. Februar 2025 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) ein wichtiges Urteil zur Eingruppierung von Lehrkräften im öffentlichen Dienst gefällt. Die Klägerin, eine Sportlehrerin an einer Berliner Grundschule, stritt mit dem Land Berlin über ihre Bezahlung. Sie war der Meinung, sie müsse nach einer höheren Gehaltsgruppe (Entgeltgruppe 12 TV-L) bezahlt werden, statt wie bisher nach Entgeltgruppe 10.


Der Fall im Überblick

Die Klägerin begann ihren Dienst am 22. Juli 2019. Ihr Arbeitsvertrag sah vor, dass die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) und spezifische Lehrer-Tarifverträge (TV EntgO-L) gelten. Anfänglich wurde sie in Entgeltgruppe 10 TV-L eingruppiert.

Mit einer Tarifvertragsänderung, die am 1. August 2019 in Kraft trat, wurden die Regeln für die Eingruppierung von Grundschullehrkräften geändert. Diese Änderung hätte der Klägerin grundsätzlich eine höhere Eingruppierung in Entgeltgruppe 12 TV-L ermöglichen können, wenn sie einen Antrag gestellt hätte. In der geänderten Protokollerklärung Nr. 12 zum TV EntgO-L war festgelegt, dass Lehrkräfte, die bereits vor dem 1. August 2019 eingestellt wurden, einen Antrag stellen müssen, um in die höhere Entgeltgruppe zu kommen. Für diesen Antrag gab es eine Frist von einem Jahr ab dem Inkrafttreten der Änderung, also bis zum 31. Juli 2020. Die Klägerin stellte ihren Antrag jedoch erst im Dezember 2021.


Die Argumentation der Klägerin

Die Klägerin argumentierte, dass ein Antrag nicht nötig gewesen sei, da sie kurz vor dem Stichtag eingestellt wurde und ihr keine Nachteile entstehen dürften. Sie meinte auch, die tarifliche Regelung sei wegen des Antragserfordernisses und der Frist gleichheitswidrig und verstoße gegen das Gebot der Normenklarheit. Außerdem habe das beklagte Land sie nicht auf die Antragsfrist hingewiesen und damit ihre Unkenntnis bewusst aufrechterhalten, weshalb es sich nicht auf die verpasste Frist berufen dürfe.


Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das BAG wies die Revision der Klägerin zurück und bestätigte damit die Entscheidungen der Vorinstanzen (Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht).

Eingruppierung – Verweisungskette – Normenklarheit – Antragserfordernis – Gleichheitssatz

Normenklarheit und Verweisungsketten

Das BAG stellte klar, dass das Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit, das für staatliche Gesetze gilt, auch für Tarifverträge Anwendung findet. Tarifverträge müssen so formuliert sein, dass Beschäftigte erkennen können, ob sie von einer Regelung betroffen sind und was der Inhalt der Regelung ist. Dies gilt auch für Verweisungsketten, bei denen eine Tarifnorm auf eine andere verweist. Das Gericht betonte aber, dass die Anforderungen an die Verständlichkeit nicht „eins zu eins“ von staatlichen Grundrechtseinschränkungen auf Tarifverträge übertragbar sind. Es reiche aus, wenn der Inhalt einer Tarifnorm mit den üblichen juristischen Auslegungsmethoden ermittelt werden kann.

Im konkreten Fall sah das BAG die Verweisungskette, die zum Antragserfordernis führte, als ausreichend klar an. Die maßgeblichen Tarifregelungen, einschließlich der Verweise auf andere Paragraphen, seien für Lehrkräfte, die sich mit den für ihr Arbeitsverhältnis wichtigen Bestimmungen vertraut machen, verständlich. Die Frist von einem Jahr, die sich aus der Verweisung ergab, sei ebenfalls klar und nachvollziehbar gewesen.

Gleichheitssatz

Das Gericht bekräftigte, dass Tarifvertragsparteien (Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) beachten müssen. Es stellte klar, dass der Senat seine frühere Rechtsprechung aufgibt, wonach Tarifvertragsparteien nicht unmittelbar an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden seien. Allerdings haben die Tarifparteien weite Spielräume bei der Gestaltung von Regelungen. Eine Ungleichbehandlung ist nur dann verfassungswidrig, wenn sie willkürlich ist, also keinen nachvollziehbaren Grund hat.

Das BAG sah keine Verletzung des Gleichheitssatzes. Es argumentierte, dass bereits beschäftigte Lehrkräfte (wie die Klägerin) und neu eingestellte Lehrkräfte nicht direkt vergleichbar sind. Für bereits beschäftigte Lehrkräfte stellt sich die Frage der Besitzstandswahrung und der Abwägung von Vor- und Nachteilen bei einer möglichen Höhergruppierung. Das Antragserfordernis diene dazu, dieses Spannungsverhältnis aufzulösen und Rechtssicherheit über den Inhalt des Arbeitsverhältnisses zu schaffen. Die Fristsetzung sei zulässig, da sie an das Inkrafttreten der geänderten Protokollnotiz gekoppelt und damit sachlich begründet war.

Antragserfordernis und Treu und Glauben

Schließlich lehnte das BAG auch die Argumentation der Klägerin ab, dass sich das beklagte Land nicht auf die versäumte Frist berufen dürfe (Grundsatz von Treu und Glauben). Das Gericht sah keine Anhaltspunkte dafür, dass das beklagte Land die Klägerin bewusst von der rechtzeitigen Antragstellung abgehalten oder ihr wichtige Informationen vorenthalten hätte. Es bestehe keine allgemeine Pflicht des Arbeitgebers im öffentlichen Dienst, Beschäftigte auf die Möglichkeit eines Höhergruppierungsantrags hinzuweisen. Arbeitnehmer seien grundsätzlich selbst dafür verantwortlich, sich über die für sie geltende Rechtslage zu informieren.


Fazit

Das Urteil unterstreicht die Bedeutung klarer Formulierungen in Tarifverträgen, auch wenn sie komplex sind und auf andere Regelungen verweisen. Gleichzeitig bestätigt es die weitreichenden Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifvertragsparteien, solange ihre Regelungen nicht willkürlich sind. Für Arbeitnehmer bedeutet dies, dass sie sich aktiv über Änderungen in Tarifverträgen informieren müssen, insbesondere wenn es um Antragsfristen für Höhergruppierungen geht.


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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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