Einsicht in Personalakte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
BAG, Urteil vom 16.11.2010 – 9 AZR 573/09
Ein ehemaliger Mitarbeiter (Kläger) eines Versicherungsunternehmens (Beklagte) wollte Einsicht in seine Personalakte nehmen, die sein Ex-Arbeitgeber nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiter aufbewahrte.
Die Vorinstanzen gaben dem Arbeitgeber recht und wiesen die Klage ab. Das fand das BAG aber nicht richtig.
Das Bundesarbeitsgericht hat die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und dem ehemaligen Mitarbeiter Recht gegeben. Es hat entschieden, dass der Anspruch auf Einsicht in die Personalakte auch nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses besteht, solange der Arbeitgeber die Akte aufbewahrt.
Der Anspruch ergibt sich nicht direkt aus dem Betriebsverfassungsgesetz oder den damaligen Regeln des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG), da diese hauptsächlich für bestehende Arbeitsverhältnisse oder bestimmte Arten von Datenverarbeitung gelten.
Stattdessen stützt das BAG den Anspruch auf die nachwirkende vertragliche Schutz- und Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch ($ 241 Abs. 2 BGB), in Verbindung mit den Grundrechten des Arbeitnehmers – insbesondere dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) .
Das BAG betont, dass der ehemalige Mitarbeiter kein konkretes berechtigtes Interesse darlegen muss, um Einsicht zu erhalten.
Die Begründung ist entwaffnend einfach:
- Der Arbeitnehmer kann seine Rechte auf Beseitigung oder Korrektur unrichtiger Daten in seiner Personalakte nur geltend machen, wenn er von deren Inhalt Kenntnis hat.
- Schon die bloße Aufbewahrung der Akte durch den Arbeitgeber über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus begründet die Gefährdungslage, dass unrichtige Daten weiterverwendet werden.
Kurzum: Die Pflicht des Arbeitgebers, keine falschen Daten aufzubewahren, korrespondiert mit dem Recht des Arbeitnehmers auf Kontrolle – und diese Kontrolle ist ohne Einsicht unmöglich.
Das Urteil präzisiert, dass sich das Einsichtsrecht auf die gesamte Personalakte im formellen Sinn bezieht. Das sind alle Unterlagen, die der Arbeitgeber äußerlich als „Personalakte“ führt und dazu gehörig kennzeichnet, einschließlich etwaiger Sonder- und Nebenakten – unabhängig von ihrem Inhalt.
Der Kläger hatte hilfsweise auch die Herausgabe der gesamten Akte zur Einsicht beantragt. Diesen Antrag wies das BAG ab. Das Recht aus der Fürsorgepflicht und den Grundrechten ist ein reines Einsichtsrecht beim Arbeitgeber, aber kein Anspruch auf physische Herausgabe der Akte.
Dieses Urteil ist ein Meilenstein für den postmortalen Datenschutz im Arbeitsrecht. Es stärkt die Position des Arbeitnehmers massiv, denn es stellt klar:
Wer eine Personalakte führt, muss dem Betroffenen jederzeit Einsicht gewähren, solange die Akte aufbewahrt wird – selbst wenn das Arbeitsverhältnis schon lange Geschichte ist. Ein konkreter Grund dafür muss nicht genannt werden.
Das BAG macht damit deutlich, dass die grundrechtlichen Schutzpflichten des Arbeitgebers über das Ende des Arbeitsvertrages hinaus andauern, solange er durch die Aktenführung weiterhin die Daten des Ex-Mitarbeiters kontrolliert. Ein bisschen wie eine Dauerkarte zur Kontrolle der eigenen Geschichte, die beim Ex-Chef liegt.
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