Einsicht in Personalakte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

November 4, 2025

Einsicht in Personalakte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

BAG, Urteil vom 16.11.2010 – 9 AZR 573/09

Worum ging es?

Ein ehemaliger Mitarbeiter (Kläger) eines Versicherungsunternehmens (Beklagte) wollte Einsicht in seine Personalakte nehmen, die sein Ex-Arbeitgeber nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiter aufbewahrte.

  • Der Kläger hatte den Verdacht, dass unrichtige Angaben (z.B. der Vorwurf der „mangelnden Loyalität“) in der Akte waren, und wollte diese überprüfen und gegebenenfalls korrigieren lassen.
  • Der Arbeitgeber weigerte sich und meinte, der Kläger müsse ein konkretes, schutzwürdiges Interesse darlegen, da der Streit um das Arbeitszeugnis bereits beigelegt war. Außerdem gälten die gesetzlichen Einsichtsrechte (wie z.B. aus dem Betriebsverfassungsgesetz oder dem Bundesdatenschutzgesetz) nicht mehr oder nicht für diese Art von Akten.

Die Vorinstanzen gaben dem Arbeitgeber recht und wiesen die Klage ab. Das fand das BAG aber nicht richtig.

Die Entscheidung des BAG: Einsicht ist Pflicht!

Das Bundesarbeitsgericht hat die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und dem ehemaligen Mitarbeiter Recht gegeben. Es hat entschieden, dass der Anspruch auf Einsicht in die Personalakte auch nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses besteht, solange der Arbeitgeber die Akte aufbewahrt.

1. Die Rechtsgrundlage: Persönlichkeitsrecht und Fürsorgepflicht

Der Anspruch ergibt sich nicht direkt aus dem Betriebsverfassungsgesetz oder den damaligen Regeln des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG), da diese hauptsächlich für bestehende Arbeitsverhältnisse oder bestimmte Arten von Datenverarbeitung gelten.

Stattdessen stützt das BAG den Anspruch auf die nachwirkende vertragliche Schutz- und Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch ($ 241 Abs. 2 BGB), in Verbindung mit den Grundrechten des Arbeitnehmers – insbesondere dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) .

  • Informationelle Selbstbestimmung: Dieses Grundrecht erlaubt es jeder Person, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung ihrer persönlichen Daten zu bestimmen.
  • Nachwirkende Pflicht: Solange der Arbeitgeber die Personalakte aufbewahrt, ist er dem ehemaligen Mitarbeiter gegenüber weiterhin zur Rücksichtnahme verpflichtet. Er muss sicherstellen, dass keine unrichtigen oder unvollständigen Daten gespeichert werden, die dem Ex-Mitarbeiter später schaden könnten (z.B. bei Anfragen von neuen potenziellen Arbeitgebern).

Einsicht in Personalakte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

2. Kein besonderes Interesse nötig – die Akte allein reicht

Das BAG betont, dass der ehemalige Mitarbeiter kein konkretes berechtigtes Interesse darlegen muss, um Einsicht zu erhalten.

Die Begründung ist entwaffnend einfach:

  • Der Arbeitnehmer kann seine Rechte auf Beseitigung oder Korrektur unrichtiger Daten in seiner Personalakte nur geltend machen, wenn er von deren Inhalt Kenntnis hat.
  • Schon die bloße Aufbewahrung der Akte durch den Arbeitgeber über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus begründet die Gefährdungslage, dass unrichtige Daten weiterverwendet werden.

Kurzum: Die Pflicht des Arbeitgebers, keine falschen Daten aufzubewahren, korrespondiert mit dem Recht des Arbeitnehmers auf Kontrolle – und diese Kontrolle ist ohne Einsicht unmöglich.

3. Personalakte im „formellen Sinn“

Das Urteil präzisiert, dass sich das Einsichtsrecht auf die gesamte Personalakte im formellen Sinn bezieht. Das sind alle Unterlagen, die der Arbeitgeber äußerlich als „Personalakte“ führt und dazu gehörig kennzeichnet, einschließlich etwaiger Sonder- und Nebenakten – unabhängig von ihrem Inhalt.

4. Der Hilfsantrag: Keine Herausgabe der Akte

Der Kläger hatte hilfsweise auch die Herausgabe der gesamten Akte zur Einsicht beantragt. Diesen Antrag wies das BAG ab. Das Recht aus der Fürsorgepflicht und den Grundrechten ist ein reines Einsichtsrecht beim Arbeitgeber, aber kein Anspruch auf physische Herausgabe der Akte.

Das Fazit für Arbeitnehmer (und Ex-Arbeitnehmer)

Dieses Urteil ist ein Meilenstein für den postmortalen Datenschutz im Arbeitsrecht. Es stärkt die Position des Arbeitnehmers massiv, denn es stellt klar:

Wer eine Personalakte führt, muss dem Betroffenen jederzeit Einsicht gewähren, solange die Akte aufbewahrt wird – selbst wenn das Arbeitsverhältnis schon lange Geschichte ist. Ein konkreter Grund dafür muss nicht genannt werden.

Das BAG macht damit deutlich, dass die grundrechtlichen Schutzpflichten des Arbeitgebers über das Ende des Arbeitsvertrages hinaus andauern, solange er durch die Aktenführung weiterhin die Daten des Ex-Mitarbeiters kontrolliert. Ein bisschen wie eine Dauerkarte zur Kontrolle der eigenen Geschichte, die beim Ex-Chef liegt.

RA und Notar Krau

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