Einstweiliger Rechtsschutz und Gesellschafterliste

Juni 9, 2025

Einstweiliger Rechtsschutz und Gesellschafterliste

RA und Notar Krau

Das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Brandenburg vom 29. Juni 2022 (Aktenzeichen: 4 U 214/21) befasst sich mit einem komplexen Streit innerhalb einer deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Es klärt wichtige Fragen zu Gesellschafterrechten, der Einziehung von Geschäftsanteilen und der Rolle der Gesellschafterliste im Handelsregister.

Die Ausgangslage

Der Fall dreht sich um einen Gesellschafter (hier als „Kläger“ bezeichnet) und die beklagte GmbH, an der er zusammen mit einem Mitgesellschafter (F… R…) Anteile hielt. Die beiden Gesellschafter gerieten Ende 2017 in einen heftigen Streit. Zuvor gefasste Beschlüsse, die den Mitgesellschafter F… R… betrafen (z.B. Einziehung seiner Anteile), wurden später gerichtlich für nichtig erklärt.

Am 23. Mai 2018 fand eine Gesellschafterversammlung statt, bei der zwei wichtige Beschlüsse gefasst wurden:

  1. Tagesordnungspunkt (TOP) 1: Die Einziehung, also der Entzug, des Geschäftsanteils des Klägers.
  2. Tagesordnungspunkt (TOP) 2: Die Beauftragung eines Steuerbüros für die Jahresabschlüsse der Jahre 2015 bis 2017.

Kurz nach dieser Versammlung reichte der Mitgesellschafter F… R… eine neue Gesellschafterliste beim Amtsgericht ein, die nur noch ihn selbst als Gesellschafter auswies und der Kläger nicht mehr aufgeführt war. Der Kläger klagte daraufhin gegen die Beschlüsse vom 23. Mai 2018. Im Verlauf des Verfahrens wurde über das Vermögen der beklagten GmbH ein Insolvenzverfahren eröffnet.

Die Entscheidungen des OLG Brandenburg

Das OLG Brandenburg hat das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und seine Gründe detailliert dargelegt:

1. Zulässigkeit der Berufung und Vertretung der Gesellschaft: Das Gericht stellte fest, dass die Berufung der beklagten GmbH zulässig ist und das Insolvenzverfahren das Berufungsverfahren nicht unterbricht, da der Streit die Insolvenzmasse nicht negativ beeinflusst. Auch die Vertretung der Gesellschaft durch einen neu bestellten Geschäftsführer (R… W…) war ordnungsgemäß, selbst wenn dessen Bestellung gerichtlich angefochten wurde oder er noch nicht im Handelsregister eingetragen war. Die fehlende Eintragung im Handelsregister hat hier keine aufschiebende Wirkung.

2. Klagebefugnis des Klägers und der Beschluss zur Steuerbürobeauftragung (TOP 2): Das Landgericht hatte dem Kläger zunächst eine Klagebefugnis für alle Anträge zugesprochen. Das OLG korrigierte dies für den Beschluss zur Steuerbürobeauftragung (TOP 2). Der Kläger war zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht mehr in der Gesellschafterliste eingetragen. Das OLG urteilte, dass für solche „allgemeinen“ Beschlüsse, die nicht direkt die Gesellschafterstellung (wie Ausschluss oder Einziehung) betreffen, die formelle Eintragung in der Gesellschafterliste maßgeblich ist. Da der Kläger nicht mehr in der Liste stand, fehlte ihm die Befugnis, diesen Beschluss anzufechten oder dessen Nichtigkeit feststellen zu lassen. Der Kläger konnte sich auch nicht auf eine frühere einstweilige Verfügung berufen, die ihm Gesellschafterrechte zugesprochen hatte, da diese später rückwirkend aufgehoben wurde.

Einstweiliger Rechtsschutz und Gesellschafterliste

3. Klagebefugnis und Nichtigkeit des Einziehungsbeschlusses (TOP 1): Anders verhielt es sich mit dem Beschluss zur Einziehung des Geschäftsanteils des Klägers (TOP 1). Hier bestätigte das OLG die Ansicht des Landgerichts: Ein Gesellschafter behält seine Klagebefugnis, wenn es um seinen eigenen Ausschluss oder die Einziehung seines Geschäftsanteils geht, selbst wenn er bereits aus der Gesellschafterliste gestrichen wurde. Dies ist notwendig, um seinen verfassungsrechtlich garantierten Rechtsschutz zu gewährleisten.

Das OLG stellte fest, dass der Einziehungsbeschluss vom 23. Mai 2018 nichtig ist. Die Hauptbegründung war die fehlende Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft für die Abfindung des Klägers.

  • Die Gesellschaft hätte dem Kläger mindestens 189.476,79 € als Abfindung zahlen müssen.
  • Das Gericht prüfte die Jahresabschlüsse der Gesellschaft für 2017 und 2018. Diese wiesen einen „nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag“ aus, was bedeutet, dass das Eigenkapital durch Verluste aufgebraucht war und die Gesellschaft bilanziell überschuldet war.
  • Zahlungen an ausscheidende Gesellschafter dürfen jedoch nicht dazu führen, dass das Stammkapital der Gesellschaft unterschritten wird oder eine bereits bestehende Unterdeckung sich vertieft. Da die Gesellschaft bereits überschuldet war, hätte die Auszahlung der Abfindung gegen diese Regel verstoßen.
  • Das Argument der Beklagten, die Zahlung hätte aus einem Gesellschafterdarlehen von F… R… erfolgen können, wurde zurückgewiesen. Ein Darlehen ist eine Verbindlichkeit und zählt nicht zum freien Vermögen der Gesellschaft. Auch die Existenz von „stillen Reserven“ (z.B. ein höherer Marktwert eines Grundstücks im Vergleich zum Buchwert) durfte nicht herangezogen werden, um die Zahlungsfähigkeit zu belegen, da dies den Gläubigerschutz unterlaufen würde.

4. Feststellung der Gesellschafterstellung des Klägers: Das OLG bestätigte auch die Feststellung des Landgerichts, dass der Kläger weiterhin Gesellschafter der beklagten GmbH ist.

  • Der Erwerb des Geschäftsanteils durch den Kläger im Jahr 2012 war wirksam. Die Argumente der Beklagten, der Erwerb sei aufgrund von Verstößen gegen anwaltliche Berufspflichten, Sittenwidrigkeit oder arglistiger Täuschung unwirksam, wurden abgewiesen. Das Gericht stellte klar, dass Verstöße gegen anwaltliches Berufsrecht nicht zwangsläufig zur Nichtigkeit des zugrunde liegenden Vertrages führen. Auch die Vorwürfe der Sittenwidrigkeit oder Täuschung wurden als nicht ausreichend dargelegt oder verfristet zurückgewiesen.
  • Zusätzlich versuchte die Gesellschaft am 10. März 2021 erneut, die Einziehung des Geschäftsanteils des Klägers zu bestätigen oder erneut zu beschließen. Das OLG erklärte auch diese Beschlüsse für nichtig: Ein bereits nichtiger Beschluss kann nicht einfach „bestätigt“ werden. Der neue Einziehungsbeschluss war ebenfalls nichtig, weil der Kläger zu dieser Gesellschafterversammlung nicht ordnungsgemäß geladen wurde. Selbst wenn er formell nicht mehr in der Gesellschafterliste stand, musste er für einen solchen Beschluss weiterhin wie ein Gesellschafter behandelt und eingeladen werden.

5. Verpflichtung zur Einreichung einer geänderten Gesellschafterliste: Da der Kläger weiterhin als Gesellschafter der Beklagten gilt, hat er das Recht zu verlangen, dass eine entsprechende aktualisierte Gesellschafterliste beim Registergericht eingereicht wird. Die beklagte GmbH wurde daher zur unverzüglichen Einreichung einer korrigierten Gesellschafterliste verurteilt.

Zusammenfassendes Ergebnis:

Das OLG Brandenburg hat entschieden, dass der Beschluss zur Einziehung der Geschäftsanteile des Klägers vom 23. Mai 2018 nichtig ist, weil die beklagte GmbH zu diesem Zeitpunkt nicht über die notwendigen freien Mittel verfügte, um die Abfindung zu zahlen. Auch spätere Versuche, die Anteile des Klägers einzuziehen, waren unwirksam, da der Kläger nicht ordnungsgemäß zu der entsprechenden Versammlung geladen wurde.

Einstweiliger Rechtsschutz und Gesellschafterliste

Das Gericht bestätigte, dass der Kläger weiterhin Gesellschafter der beklagten GmbH ist und die Gesellschaft verpflichtet ist, die Gesellschafterliste im Handelsregister entsprechend zu ändern. Lediglich der Antrag des Klägers, den Beschluss zur Beauftragung des Steuerbüros für nichtig zu erklären, wurde abgewiesen, da ihm hierfür die formelle Klagebefugnis fehlte.

Die Kosten des Verfahrens wurden überwiegend (95%) der beklagten Gesellschaft auferlegt, der Kläger trägt 5%. Eine Revision zum Bundesgerichtshof wurde nicht zugelassen.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

Stimmrechtsausschluss des Gesellschafter-Geschäftsführers in der KG & Co. GbR

Stimmrechtsausschluss des Gesellschafter-Geschäftsführers in der KG & Co GbR

Juni 15, 2025
Stimmrechtsausschluss des Gesellschafter-Geschäftsführers in der KG & Co GbRBGH, Urteil vom 07.02.2012 – II ZR 230/09LG München I, Entsc…
Stimmrechtsausschluß von Gesellschaftern bei Beschluß über Inanspruchnahme wegen gemeinsam begangener Pflichtverletzung

Stimmrechtsausschluß von Gesellschaftern bei Beschluß über Inanspruchnahme wegen gemeinsam begangener Pflichtverletzung

Juni 15, 2025
Stimmrechtsausschluß von Gesellschaftern bei Beschluß über Inanspruchnahme wegen gemeinsam begangener PflichtverletzungBundesgerichtshof Urt. v…
Wirecard und die aufgebrauchte Manager-Versicherung

Wirecard und die aufgebrauchte Manager-Versicherung

Juni 15, 2025
Wirecard und die aufgebrauchte Manager-Versicherung: Was Sie wissen müssenRA und Notar KrauStellen Sie sich vor, Sie arbeiten in einer Führu…