Elektrokonvulsionstherapie gegen den Willen eines an Schizophrenie leidenden Betreuten
BGH (XII Zivilsenat) Beschluss vom 15.01.2020 – XII ZB 381/19
Vorinstanzen:
AG Heidelberg, Entscheidung vom 11.06.2019 – W 4018 XVII 71/18 –
LG Heidelberg, Entscheidung vom 29.07.2019 – 2 T 35/19 –
Urteil des Bundesgerichtshofs: Elektrokonvulsionstherapie (EKT) gegen den Willen des Betreuten
Der Fall betraf die Frage, ob eine Elektrokonvulsionstherapie (EKT) – umgangssprachlich auch als Elektroschocktherapie bekannt – bei einem jungen Mann, der an chronischer Schizophrenie leidet, zwangsweise durchgeführt werden darf.
Der Betreute hatte der Behandlung ausdrücklich widersprochen, obwohl sein Betreuer (der für seine Gesundheit zuständig ist) die Therapie als notwendig ansah und die Genehmigung dafür beantragte, da andere Behandlungen erfolglos waren und ein erheblicher Gesundheitsschaden drohte.
Die EKT ist eine Behandlung, bei der unter Vollnarkose und Muskelentspannung ein kurzer, kontrollierter Krampfanfall im Gehirn ausgelöst wird, um neurochemische Veränderungen zu bewirken, was vor allem bei schweren Depressionen als wirksam gilt.
Amtsgericht und Landgericht Heidelberg hatten entschieden, dass die Zwangsbehandlung genehmigt werden kann.
Sie argumentierten, dass die EKT nach medizinischen Leitlinien bei dieser Art von medikamentenresistenter Schizophrenie eine Behandlungsalternative darstelle und erfolgversprechend sei.
Sie meinten, der Nutzen (Abwendung einer weiteren Verschlechterung des Zustands und möglicherweise einer lebenslangen geschlossenen Unterbringung) überwiege die Risiken und Beeinträchtigungen.
Sie erkannten an, dass der Patient widerspricht, sahen in seinem Sonderfall aber eine Ausnahme von der Regel, dass die EKT nicht gegen den Willen des Patienten durchgeführt werden soll.
Der BGH hob die Genehmigung der Zwangsbehandlung auf und wies den Antrag auf Genehmigung zurück. Die EKT durfte in diesem Fall nicht gegen den ausdrücklichen Willen des Betreuten durchgeführt werden.
Die zentrale Begründung: Kein ausreichender medizinisch-wissenschaftlicher Konsens
Der BGH stellte klar, dass eine ärztliche Zwangsmaßnahme (§ 1906a BGB) nur dann zulässig ist, wenn sie zur Abwendung eines drohenden, erheblichen gesundheitlichen Schadens notwendig ist.
Diese Notwendigkeit beurteilt sich nicht nach der Meinung einzelner Ärzte, sondern muss auf einem breiten medizinisch-wissenschaftlichen Konsens beruhen.
Der BGH betonte, dass die EKT zwar eine anerkannte Behandlung ist, aber Stellungnahmen der Bundesärztekammer und medizinische Leitlinien den Grundsatz aufstellen, dass EKT im Regelfall nicht gegen den ausdrücklichen Willen des Patienten durchgeführt werden soll.
Der BGH sieht im manifestierten Widerstand des Patienten bereits einen medizinischen Hinderungsgrund. Die Durchführung gegen den Willen entspreche im Regelfall nicht den anerkannten medizinischen Standards, da Behandlungserfolge oft die Bereitschaft des Patienten voraussetzen und Zwangsbehandlungen das Vertrauensverhältnis schädigen.
Im konkreten Fall der nicht-akuten, nicht-katatonen Schizophrenie bei Medikamentenresistenz spricht die maßgebliche Leitlinie der Fachgesellschaft DGPPN lediglich eine „Angebotsempfehlung“ für die EKT aus, keine zwingende „Durchführungsempfehlung“.
Da keine akute, lebensbedrohliche Situation (wie etwa eine perniziöse Katatonie) vorliegt, fehlt der hinreichend breite Konsens dafür, die Behandlung zwangsweise gegen den ausdrücklichen Widerspruch des Betroffenen einzusetzen.
Obwohl der Betreute aufgrund seiner Krankheit möglicherweise nicht frei entscheiden kann, muss sein natürlicher Wille respektiert werden, wenn die Zwangsmaßnahme nicht durch einen breiten medizinischen Konsens als unbedingt notwendig legitimiert ist.
Das Landgericht durfte daher nicht vom Grundsatz abweichen, dass der Patient ablehnen darf, nur weil der Patient ansonsten als „austherapiert“ gelten würde.
Das Urteil stärkt das Selbstbestimmungsrecht von psychisch kranken Menschen, auch wenn sie nicht mehr in der Lage sind, ihren Willen frei zu bestimmen (einwilligungsunfähig sind). Es stellt die Zwangsbehandlung als Ultima Ratio (letztes Mittel) dar und setzt die Hürde für ihre Genehmigung sehr hoch an.
Eine Zwangsbehandlung darf nur auf Basis von Behandlungsformen erfolgen, deren Notwendigkeit und zwangsweise Durchführung nach einem breiten, evidenzbasierten medizinisch-wissenschaftlichen Konsens gesichert sind.
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