Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – Ausschlussfrist bei Mindestlohn

Mai 4, 2025

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – Ausschlussfrist bei Mindestlohn

RA und Notar Krau

Im Kern des Urteils des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 20. Juni 2018 (5 AZR 377/17) steht die Frage, ob der Anspruch auf Entgeltfortzahlung

im Krankheitsfall in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns einer tariflichen Ausschlussfrist unterworfen werden kann.

Das BAG verneint dies und begründet seine Entscheidung maßgeblich mit dem Schutzgedanken des Mindestlohngesetzes (MiLoG).

Der Kläger war bei einem Bauunternehmen beschäftigt und erhielt zuletzt einen Stundenlohn von 13 Euro brutto.

Nach seiner Kündigung meldete er sich krank und forderte für den Monat Oktober 2015 Entgeltfortzahlung.

Der für allgemeinverbindlich erklärte Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV-Bau) sah in § 14 eine zweistufige Ausschlussfrist vor, wonach Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von zwei

Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden mussten, andernfalls verfielen sie.

Der Kläger machte seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung erst nach Ablauf dieser Frist geltend.

Das Arbeitsgericht Kassel gab der Klage teilweise statt und sprach dem Kläger Entgeltfortzahlung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns zu.

Das Landesarbeitsgericht Hessen wies die Berufung des beklagten Unternehmens zurück.

Die Revision der Beklagten vor dem BAG blieb erfolglos.

Das BAG stellte zunächst fest, dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) besteht.

Der gesetzliche Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG dient dabei als Geldfaktor bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung, da der Arbeitnehmer so gestellt werden muss, als hätte er gearbeitet.

Entscheidend war für das BAG die Frage, ob die tarifliche Ausschlussfrist gemäß § 14 BRTV-Bau dem Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe des Mindestlohns entgegensteht.

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – Ausschlussfrist bei Mindestlohn

Grundsätzlich können Ansprüche auf Entgeltfortzahlung tariflichen Ausschlussfristen unterworfen werden, da diese Fristen lediglich den zeitlichen Bestand

des Anspruchs und nicht dessen Entstehung oder Inhalt betreffen (§ 12 EFZG).

Allerdings erklärte das BAG die Ausschlussfristenregelung des § 14 BRTV-Bau insoweit für unwirksam, als sie die Geltendmachung des Anspruchs auf Mindestlohn beschränkt (§ 3 Satz 1 MiLoG).

Nach Auffassung des BAG erfasst die tarifliche Verfallklausel ihrem Wortlaut nach alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und

damit auch den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn, der nur im Arbeitsverhältnis entsteht (§§ 1 Abs. 1, 20 MiLoG).

Das BAG betonte, dass der Begriff der „Vereinbarung“ in § 3 Satz 1 MiLoG nicht nur arbeitsvertragliche, sondern auch tarifliche Ausschlussfristen umfasst.

Ein Tarifvertrag ist ein privatrechtlicher Vertrag zwischen den Tarifvertragsparteien und dient dem Zweck, den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn umfassend zu sichern,

sodass dieser nur der regelmäßigen Verjährung unterliegt.

Die Rechtsnatur des BRTV-Bau als Tarifvertrag wird durch dessen Allgemeinverbindlicherklärung oder das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (SokaSiG) nicht verändert.

Die Allgemeinverbindlicherklärung erstreckt lediglich den Geltungsbereich des Tarifvertrags.

Das SokaSiG ordnet die Geltung bestimmter Tarifverträge kraft Gesetzes an. In Bezug auf § 3 Satz 1 MiLoG führt dies dazu,

dass die Ausschlussfristenregelung des § 14 BRTV-Bau unabhängig von der Art ihrer Anwendbarkeit als „Vereinbarung“ im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist.

Der Verstoß gegen § 3 Satz 1 MiLoG führt zur Teilunwirksamkeit der tariflichen Verfallklausel, soweit der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn betroffen ist.

Diese Rechtsfolge ergibt sich direkt aus dem Gesetz und bedarf keines Rückgriffs auf § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Im Übrigen bleibt die tarifliche Verfallklausel wirksam, da Tarifverträge nicht dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unterliegen.

Die Unterwerfung von Tarifverträgen unter die Beschränkungen des § 3 Satz 1 MiLoG ist nach Ansicht des BAG im Hinblick auf die Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz – GG) unbedenklich.

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – Ausschlussfrist bei Mindestlohn

Der Gesetzgeber hat das Recht, das Arbeitsrecht zu regeln (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG), und die damit verbundenen Beeinträchtigungen der Tarifautonomie sind verfassungsgemäß, wenn sie dem Schutz von

Grundrechten Dritter oder anderen verfassungsrechtlich geschützten Belangen dienen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren.

Der gesetzliche Mindestlohn dient der Existenzsicherung und dem Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der Arbeitnehmer.

Er soll zudem die sozialen Sicherungssysteme entlasten.

Das Verbot, den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn durch tarifliche Ausschlussfristen zum Erlöschen zu bringen, ist geeignet, erforderlich und angemessen, um diese Ziele zu erreichen.

Schließlich erstreckt das BAG den Schutz des § 3 Satz 1 MiLoG auch auf den Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns.

Da die Entgeltfortzahlung den Arbeitnehmer so stellen soll, als hätte er gearbeitet, und der Mindestlohn die Untergrenze des fortzuzahlenden Entgelts bildet,

würde eine Anwendung von Ausschlussfristen auf diesen Teil des Anspruchs dem Schutzzweck des Mindestlohngesetzes widersprechen.

Der Arbeitnehmer würde schlechter gestellt als bei tatsächlicher Arbeitsleistung, bei der er den Mindestlohn unbeschadet von Ausschlussfristen erhalten hätte.

Zusammenfassend bedeutet das Urteil des BAG, dass seit dem 1. Januar 2015 der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in

Höhe des gesetzlichen Mindestlohns keiner tariflichen oder sonstigen Ausschlussfrist mehr unterworfen werden kann.

Dies dient dem umfassenden Schutz des Mindestlohnanspruchs und stellt sicher, dass Arbeitnehmer auch im Falle von Krankheit zumindest den gesetzlichen Mindestlohn ohne die Gefahr des Fristablaufs erhalten.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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