Erbrecht vor dem 1. Juli 1949 geborener nichtehelicher Kinder

August 13, 2017

Erbrecht vor dem 1. Juli 1949 geborener nichtehelicher Kinder

BGH IV ZB 6/15

RA und Notar Krau

Konventionswidrigkeit der erbrechtlichen Ungleichbehandlung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Beschluss vom 12.07.2017

eine wichtige Entscheidung zum Erbrecht nichtehelicher Kinder getroffen.

Konkret ging es um den Fall einer 1928 nichtehelich geborenen Frau, die das Erbe ihres 1993 verstorbenen Vaters beanspruchte.

Hintergrund:

Bis zum Jahr 1969 waren nichteheliche Kinder im deutschen Erbrecht benachteiligt.

Erst durch das Nichtehelichengesetz von 1969 und das Zweite Erbrechtsgleichstellungsgesetz

von 2011 wurde die Gleichstellung mit ehelichen Kindern schrittweise hergestellt.

Erbrecht vor dem 1. Juli 1949 geborener nichtehelicher Kinder

Für vor dem 1. Juli 1949 geborene nichteheliche Kinder galt jedoch weiterhin die alte Regelung,

wonach sie nicht als mit ihrem Vater verwandt galten und somit kein Erbrecht hatten.

Der Fall:

Im vorliegenden Fall hatte die Antragstellerin nach dem Tod ihres Vaters zunächst keinen Erbschein erhalten,

da das Nachlassgericht davon ausging, dass sie aufgrund ihres Geburtsdatums kein Erbrecht besaß. Später wurden jedoch Verwandte des Vaters ermittelt, die Erbscheine erhielten.

Die Antragstellerin berief sich auf Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR),

die die Ungleichbehandlung nichtehelicher Kinder im deutschen Erbrecht als konventionswidrig beanstandeten.

Die Entscheidung des BGH:

Erbrecht vor dem 1. Juli 1949 geborener nichtehelicher Kinder

Der BGH gab der Rechtsbeschwerde der Antragstellerin statt und hob die Entscheidung des Kammergerichts Berlin auf.

Die Richter stellten fest, dass die Antragstellerin in ihren Rechten aus Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot)

in Verbindung mit Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK (Schutz des Eigentums) verletzt würde, wenn ihr das Erbe verwehrt bliebe.

Begründung:

Der BGH argumentierte, dass die Stichtagsregelung im Zweiten Erbrechtsgleichstellungsgesetz,

wonach die Gleichstellung nichtehelicher Kinder erst für Erbfälle ab dem 29. Mai 2009 gilt,

in bestimmten Fällen zu einer Ungleichbehandlung führt, die mit der EMRK nicht vereinbar ist.

Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn – wie im vorliegenden Fall – die gesetzlichen Erben des Vaters die nichteheliche Tochter kannten,

die Verjährungsfrist für Erbschaftsansprüche noch nicht abgelaufen ist und die Tochter den Erbschein zeitnah nach den relevanten EGMR-Entscheidungen beantragt hat.

Um eine konventionskonforme Lösung zu erreichen, entschied der BGH, die Stichtagsregelung im Wege der teleologischen Reduktion nicht anzuwenden.

Das bedeutet, dass die Gleichstellung nichtehelicher Kinder im Erbrecht auch in Fällen gilt,

die vor dem 29. Mai 2009 eingetreten sind, wenn die Umstände des Einzelfalls dies erfordern.

Folgen des Urteils:

Das Urteil des BGH hat weitreichende Folgen für nichteheliche Kinder, die vor dem 1. Juli 1949 geboren wurden

und deren Väter vor dem 29. Mai 2009 verstorben sind.

Sie haben nun die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen doch noch das Erbe ihres Vaters zu erhalten.

Wichtige Punkte:

  • Der BGH stärkt mit seiner Entscheidung die Rechte nichtehelicher Kinder.
  • Die teleologische Reduktion von Gesetzen ist ein wichtiges Instrument, um eine konventionskonforme Auslegung des Rechts zu gewährleisten.
  • Das Urteil zeigt die Bedeutung der EMRK für die deutsche Rechtsordnung.
RA und Notar Krau

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen? 

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein konstenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

Trauer Grabstein

Pflichtteilsergänzungsanspruch auch bei Schenkung unter Geltung des Zivilgesetzbuches der DDR

November 9, 2025
Pflichtteilsergänzungsanspruch auch bei Schenkung unter Geltung des Zivilgesetzbuches der DDRZusammenfassung: BGH, Urteil vom 07.03.2001 – IV ZR…
Portrait Lana Berloznik Kanzlei Krau Rechtsanwälte

Pflichtteilsergänzungsanspruch – Miterben als Gesamtschuldner

November 9, 2025
Pflichtteilsergänzungsanspruch – Miterben als GesamtschuldnerHier ist eine Zusammenfassung des Urteils des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm (Az.: 1…
Apartmenthaus Wohnungseigentum

Beschlussmängelverfahren: Verwalterbestellung durch den teilenden Eigentümer in der „Aufteilungsphase“

November 5, 2025
Beschlussmängelverfahren: Verwalterbestellung durch den teilenden Eigentümer in der „Aufteilungsphase“ – Heilung von Einberufungsmängeln durch „Voll…