Erbrecht vor dem 1. Juli 1949 geborener nichtehelicher Kinder
BGH IV ZB 6/15
RA und Notar Krau
Konventionswidrigkeit der erbrechtlichen Ungleichbehandlung
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Beschluss vom 12.07.2017
eine wichtige Entscheidung zum Erbrecht nichtehelicher Kinder getroffen.
Konkret ging es um den Fall einer 1928 nichtehelich geborenen Frau, die das Erbe ihres 1993 verstorbenen Vaters beanspruchte.
Hintergrund:
Bis zum Jahr 1969 waren nichteheliche Kinder im deutschen Erbrecht benachteiligt.
Erst durch das Nichtehelichengesetz von 1969 und das Zweite Erbrechtsgleichstellungsgesetz
von 2011 wurde die Gleichstellung mit ehelichen Kindern schrittweise hergestellt.
Für vor dem 1. Juli 1949 geborene nichteheliche Kinder galt jedoch weiterhin die alte Regelung,
wonach sie nicht als mit ihrem Vater verwandt galten und somit kein Erbrecht hatten.
Der Fall:
Im vorliegenden Fall hatte die Antragstellerin nach dem Tod ihres Vaters zunächst keinen Erbschein erhalten,
da das Nachlassgericht davon ausging, dass sie aufgrund ihres Geburtsdatums kein Erbrecht besaß. Später wurden jedoch Verwandte des Vaters ermittelt, die Erbscheine erhielten.
Die Antragstellerin berief sich auf Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR),
die die Ungleichbehandlung nichtehelicher Kinder im deutschen Erbrecht als konventionswidrig beanstandeten.
Die Entscheidung des BGH:
Der BGH gab der Rechtsbeschwerde der Antragstellerin statt und hob die Entscheidung des Kammergerichts Berlin auf.
Die Richter stellten fest, dass die Antragstellerin in ihren Rechten aus Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot)
in Verbindung mit Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK (Schutz des Eigentums) verletzt würde, wenn ihr das Erbe verwehrt bliebe.
Begründung:
Der BGH argumentierte, dass die Stichtagsregelung im Zweiten Erbrechtsgleichstellungsgesetz,
wonach die Gleichstellung nichtehelicher Kinder erst für Erbfälle ab dem 29. Mai 2009 gilt,
in bestimmten Fällen zu einer Ungleichbehandlung führt, die mit der EMRK nicht vereinbar ist.
Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn – wie im vorliegenden Fall – die gesetzlichen Erben des Vaters die nichteheliche Tochter kannten,
die Verjährungsfrist für Erbschaftsansprüche noch nicht abgelaufen ist und die Tochter den Erbschein zeitnah nach den relevanten EGMR-Entscheidungen beantragt hat.
Um eine konventionskonforme Lösung zu erreichen, entschied der BGH, die Stichtagsregelung im Wege der teleologischen Reduktion nicht anzuwenden.
Das bedeutet, dass die Gleichstellung nichtehelicher Kinder im Erbrecht auch in Fällen gilt,
die vor dem 29. Mai 2009 eingetreten sind, wenn die Umstände des Einzelfalls dies erfordern.
Folgen des Urteils:
Das Urteil des BGH hat weitreichende Folgen für nichteheliche Kinder, die vor dem 1. Juli 1949 geboren wurden
und deren Väter vor dem 29. Mai 2009 verstorben sind.
Sie haben nun die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen doch noch das Erbe ihres Vaters zu erhalten.
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