Erbschaftsausschlagung wegen Inhaltsirrtums angefochten – Bayerisches Oberstes Landesgericht Beschluss 27.10.2003 – 1Z BR 60/03
Der Beschluss behandelt zwei wesentliche Punkte:
Aufhebung eines noch nicht vollzogenen Erbscheinsbeschlusses:
Ein Erbscheinsbeschluss, dessen Inhalt keinem der gestellten Anträge entspricht, kann aufgehoben werden.
Umfang der Ermittlungen bei Anfechtung einer Erbschaftsausschlagung:
Wenn eine Erbschaftsausschlagung wegen eines möglichen Irrtums angefochten wird, müssen umfangreiche Ermittlungen durchgeführt werden.
Sachverhalt
Die Erblasserin hinterließ drei Kinder (Beteiligte zu 1-3) und einen Enkel (Beteiligter zu 4).
Der Beteiligte zu 1 erklärte am 9.12.2002 nach Belehrung, dass er das Erbe ausschlage.
Diese Ausschlagung focht er am selben Tag wegen Irrtums an.
Er ging davon aus, dass seine Ausschlagungserklärung zum Übergang seines Erbrechts auf seine Geschwister führe und nicht auf seine Söhne.
In einer weiteren Erklärung vom 2.1.2003 wies der Beteiligte zu 1 auf eine intellektuelle Minderbegabung und Alkoholmissbrauch hin.
Am 30.12.2002 versicherten die Beteiligten zu 1-4 vor dem Nachlassrechtspfleger, dass keine Verfügung von Todes wegen existiere.
Die Beteiligten zu 2-4 beantragten einen Erbschein nach gesetzlicher Erbfolge, der die Beteiligten zu 2 und 3 zu je 1/3 und die Söhne des Beteiligten zu 1 zu je 1/6 als Erben ausweist.
Am 8.1.2003 beantragte der Beteiligte zu 1 einen Erbschein, der ihn zu 1/3 als Erben ausweist, und machte geltend, dass er geschäftsunfähig war.
Am 17.2.2003 schlug sein kinderloser Sohn M. die Erbschaft aus.
Entscheidung des Amtsgerichts
Am 22.2.2003 bewilligte das Amtsgericht einen Erbschein, der die Beteiligten zu 2, 3 und 4 zu je 1/3 als Erben ausweist.
Der Beteiligte zu 1 legte Beschwerde ein und reichte während des Beschwerdeverfahrens ein Dokument ein, das eine eigenhändige letztwillige Verfügung der Erblasserin darstellen sollte.
Der Rechtspfleger stellte Auffälligkeiten im Schriftbild fest, und der Beteiligte zu 3 hielt das Dokument für eine Manipulation.
Entscheidung des Landgerichts
Mit Beschluss vom 1.7.2003 wies das Landgericht die Beschwerde des Beteiligten zu 1 zurück.
Es argumentierte, dass der Erbschein richtig sei und die Ausschlagung wirksam erfolgte.
Der behauptete Irrtum sei unbeachtlich, da es sich um einen Motivirrtum handle.
Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts
Das Bayerische Oberste Landesgericht hob die Beschlüsse der Vorinstanzen auf und verwies die Sache zur erneuten Prüfung an das Amtsgericht.
Gründe:
Nicht vollzogener Erbscheinbeschluss:
Der Beschluss vom 22.2.2003 war lediglich ein Bewilligungsbeschluss und kein Erbschein.
Ein Erbschein wird erst durch die Aushändigung einer Urschrift oder Ausfertigung erteilt.
Ermittlungserfordernisse:
Testament:
Das Amtsgericht muss prüfen, ob das vorgelegte Dokument die Erbfolge beeinflusst.
Sollte das Dokument eine Fälschung sein oder nur ein Vermächtnis enthalten, hätte es keine Auswirkungen auf die Erbfolge.
Geschäftsfähigkeit:
Die Vorinstanzen haben die Geschäftsfähigkeit des Beteiligten zu 1 ohne ausreichende Ermittlungen bejaht.
Der Beteiligte zu 1 hat jedoch mehr als nur Alkoholabhängigkeit vorgetragen.
Es liegen medizinische Befunde vor, die auf eine Hirnabbauprozess und depressive Störungen hinweisen.
Diese Umstände müssen umfassend geprüft werden.
Anfechtung der Ausschlagung:
Sollte die Ausschlagung nicht nach §§ 104, 105 BGB nichtig sein, ist zu prüfen, ob die Anfechtung wegen Irrtums durchgreift.
Ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung könnte vorliegen, wenn der Ausschlagende annimmt, seine Ausschlagung führe zum unmittelbaren Übergang seines Erbteils auf seine Geschwister.
Hinweise für das weitere Verfahren:
Prüfung der Echtheit des Testaments:
Das Amtsgericht soll die Echtheit des Testaments und dessen Einfluss auf die Erbfolge prüfen.
Ermittlung der Geschäftsfähigkeit:
Umfassende Prüfung der Geschäftsfähigkeit des Beteiligten zu 1 zum Zeitpunkt der Ausschlagungserklärung.
Klärung des Irrtums:
Ermittlung, ob der Beteiligte zu 1 bei der Ausschlagungserklärung einem beachtlichen Irrtum unterlag.
Die Entscheidung verdeutlicht die Komplexität von Erbschaftsangelegenheiten und die Notwendigkeit gründlicher Ermittlungen, insbesondere wenn Erbschaftsausschlagungen und Testamente in Frage stehen.
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