Ermittlungspflicht und Überzeugungsbildung des Gerichts im Erbscheinsverfahren
OLG München 31 Wx 144/15
Gurlitt Testament,
Prüfung Testierfähigkeit,
Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 15.12.2016 befasst sich mit der Frage der Testierfähigkeit
des Erblassers Cornelius Gurlitt bei der Errichtung seines Testaments vom 09.01.2014.
Im Zentrum der Entscheidung steht die Prüfung der Testierfähigkeit, die Ermittlungspflicht des Gerichts und die Überzeugungsbildung im Erbscheinsverfahren.
Hintergrund
Cornelius Gurlitt, der im Mai 2014 verstarb, erlangte öffentliche Aufmerksamkeit durch den Fund einer umfangreichen Kunstsammlung in seiner Wohnung.
Im Dezember 2013 wurde für ihn ein Betreuer bestellt.
Wenige Wochen später, am 09.01.2014, errichtete er im Krankenhaus ein Testament, in dem er das Kunstmuseum Bern zu seiner Alleinerbin einsetzte.
Seine Cousine focht das Testament an und beantragte die Erteilung eines Erbscheins, der sie als Miterbin ausweist.
Kernaussagen des Beschlusses
Das OLG München wies die Beschwerde der Cousine zurück und bestätigte die Entscheidung des Nachlassgerichts,
das die Testierfähigkeit Gurlitts bejaht und das Testament vom 09.01.2014 als wirksam anerkannt hatte.
1. Ermittlungspflicht und Überzeugungsbildung des Gerichts
Das Gericht hat im Erbscheinsverfahren von Amts wegen die erforderlichen Ermittlungen zur Feststellung der Testierfähigkeit durchzuführen.
Bestehen Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers, ist das Gericht verpflichtet, diese Zweifel durch Einholung eines Sachverständigengutachtens auszuräumen.
Ein im Betreuungsverfahren eingeholtes Gutachten ist hierfür nicht ausreichend, da es anderen Zwecken dient und die Frage der Testierfähigkeit im Erbscheinsverfahren eigenständig zu beurteilen ist.
Die Überzeugungsbildung des Gerichts richtet sich nach § 286 ZPO.
Für den Nachweis der Testierunfähigkeit genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.
2. Prüfung der Testierfähigkeit
Die Testierfähigkeit ist in § 2229 BGB geregelt. Testierunfähig ist, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit,
wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
Im vorliegenden Fall hatte das OLG München die Testierfähigkeit des Erblassers anhand von drei möglichen Krankheitsbildern zu prüfen: Wahn, Demenz und Delir.
a) Wahn
Zwar gab es im Verfahren Anhaltspunkte, die das Vorliegen eines Wahns beim Erblasser denkbar erscheinen ließen, jedoch reichten diese für eine sichere Feststellung nicht aus.
Insbesondere fehlte es an einer ausreichenden Beurteilungsgrundlage, da der Erblasser zu Lebzeiten nicht entsprechend untersucht worden war.
Die Einschätzung des Sachverständigen, dass ein Wahn nicht festzustellen sei, wurde vom Gericht geteilt.
b) Demenz
Auch die Annahme einer Demenz, die die Testierfähigkeit aufgehoben hätte, konnte das Gericht nicht treffen.
Die vorliegenden Anhaltspunkte, wie der Zustand der Wohnung des Erblassers, reichten hierfür nicht aus.
Der Sachverständige hatte überzeugend dargelegt, dass die Ursachen für einen solchen Zustand vielfältig sein können und nicht zwingend auf eine Demenz schließen lassen.
c) Delir
Schließlich konnte sich das Gericht auch nicht davon überzeugen, dass der Erblasser bei Errichtung des Testaments an einem Delir litt.
Der Sachverständige hatte nachvollziehbar dargelegt, dass der Zustand des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung stabil war und keine Hinweise auf ein Delir vorlagen.
3. Beweiswürdigung
Das OLG München stützte sich bei seiner Entscheidung maßgeblich auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. D.,
der die vorliegenden medizinischen Unterlagen und Zeugenaussagen umfassend ausgewertet hatte.
Die Ausführungen des Sachverständigen wurden als schlüssig, nachvollziehbar und sachkundig bewertet.
Die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Privatgutachten führten nicht zu einer anderen Beurteilung.
Die darin enthaltenen abweichenden Einschätzungen beruhten auf einer anderen Bewertung der Tatsachengrundlage bzw.
ließen nicht hinreichend erkennen, warum die angenommenen Erkrankungen zur Testierunfähigkeit geführt haben sollen.
4. Kostenentscheidung
Das OLG München entschied, dass die Kosten des Sachverständigengutachtens und der Zeugenvernehmung von der testamentarischen Erbin zu tragen sind.
Diese Kosten seien im Beschwerdeverfahren nur deshalb angefallen, weil das Nachlassgericht seiner Ermittlungspflicht nicht nachgekommen war und kein eigenes Gutachten eingeholt hatte.
Fazit
Der Beschluss des OLG München verdeutlicht die Bedeutung der Ermittlungspflicht des Gerichts im Erbscheinsverfahren bei Zweifeln an der Testierfähigkeit des Erblassers.
Ein im Betreuungsverfahren eingeholtes Gutachten ist hierfür nicht ausreichend.
Die Entscheidung zeigt auch die hohen Anforderungen an die Feststellung der Testierunfähigkeit.
Selbst bei Vorliegen von Anhaltspunkten für eine psychische Erkrankung muss das Gericht im Einzelfall prüfen,
ob diese Erkrankung die Fähigkeit des Erblassers zur freien Willensbestimmung tatsächlich aufgehoben hat.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.