Art. 8 EMRK
Art. 14 EMRK
Diskriminierung durch Ausschluss vom gesetzlichen Erbrecht als vor dem 1. Juli 1949 geborenes nichteheliches Kind
ehemalige DDR
Vertrauensschutz des Erblassers
RA und Notar Krau
Kernaussage:
Der Ausschluss nichtehelicher Kinder, die vor dem 1. Juli 1949 geboren wurden, vom gesetzlichen Erbrecht in Deutschland
stellt eine Diskriminierung dar und verletzt Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
EuGH MR Ausschluss vom gesetzlichen Erbrecht nichteheliches Kind
Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin, unehelich geboren 1948 in der ehemaligen DDR, wurde durch die Anwendung des deutschen Erbrechts vom Erbe ihres Vaters ausgeschlossen.
Dieser hatte die Vaterschaft anerkannt und regelmäßigen Kontakt zu ihr gehalten.
Nach deutschem Recht waren nichteheliche Kinder, die vor dem 1. Juli 1949 geboren wurden, vom gesetzlichen Erbrecht ausgeschlossen,
während eheliche Kinder und nichteheliche Kinder, die nach diesem Datum geboren wurden, erbberechtigt waren.
Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin klagte erfolglos vor den deutschen Gerichten, die sich auf die bestehende Gesetzgebung und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beriefen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte die Ungleichbehandlung mit dem Schutz des „Vertrauens“ des Erblassers und seiner Familie begründet.
EuGH MR Ausschluss vom gesetzlichen Erbrecht nichteheliches Kind
Entscheidung des EGMR:
Der EGMR stellte fest, dass der Ausschluss der Beschwerdeführerin vom Erbe ihres Vaters eine Diskriminierung
aufgrund ihrer nichtehelichen Geburt darstellt und somit Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 EMRK verletzt.
Begründung:
- Anwendbarkeit von Artikel 8 EMRK: Der EGMR bejahte die Anwendbarkeit von Artikel 8 EMRK, da zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Vater ein Familienleben bestand und Erbrechtsfragen eng mit dem Familienleben verbunden sind.
- Diskriminierung: Die Ungleichbehandlung nichtehelicher Kinder, die vor dem 1. Juli 1949 geboren wurden, gegenüber ehelichen Kindern und nichtehelichen Kindern, die nach diesem Datum geboren wurden, stellt eine Diskriminierung dar.
- Keine Rechtfertigung: Die vom Bundesverfassungsgericht angeführten Gründe für die Ungleichbehandlung (Schutz des „Vertrauens“ des Erblassers, praktische Schwierigkeiten beim Nachweis der Abstammung) erachtete der EGMR als nicht mehr zeitgemäß. Die gesellschaftliche Entwicklung und die Fortschritte bei der Feststellung der Vaterschaft (DNA-Tests) sprächen gegen die Aufrechterhaltung der Ungleichbehandlung.
- Unverhältnismäßigkeit: Der EGMR betonte die Unverhältnismäßigkeit des Ausschlusses der Beschwerdeführerin vom Erbe, insbesondere da ihr Vater keine Ehefrau und keine anderen Kinder hatte und somit das Argument des „Vertrauensschutzes“ der Familie nicht zum Tragen kam.
Folgen des Urteils:
Das Urteil des EGMR hat die deutsche Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Erbrecht nichtehelicher Kinder grundlegend verändert.
Deutschland musste seine Gesetze anpassen, um die Diskriminierung nichtehelicher Kinder zu beseitigen.
Zusätzliche Informationen:
- Das Urteil verdeutlicht den hohen Stellenwert des Gleichbehandlungsgrundsatzes im europäischen Rechtssystem.
- Der EGMR betont die dynamische Auslegung der EMRK im Lichte der gesellschaftlichen Entwicklung.
- Das Urteil stärkt die Rechte nichtehelicher Kinder.