Fehlerhafte Dokumentation Arbeitszeit – außerordentliche Kündigung – LAG Baden Württemberg – 19 Sa 61/17

April 6, 2021

Fehlerhafte Dokumentation Arbeitszeit – wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung – LAG Baden Württemberg Urteil 29.05.2018 – 19 Sa 61/17

RA und Notar Krau

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschied am 29. Mai 2018 (Az. 19 Sa 61/17) über die außerordentliche Kündigung eines Mitarbeiters der Stadt Mannheim,

der über Jahre hinweg fiktive Überstunden abgerechnet hatte, um den Wegfall von Erschwerniszuschlägen auszugleichen.

Die Kündigung wurde vom Arbeitgeber mit Arbeitszeitbetrug begründet.

Der Kläger, der seit 2008 bei der Stadt beschäftigt war, hatte monatlich sieben nicht geleistete Überstunden abgerechnet, um den Verlust der Zuschläge zu kompensieren.

Diese Vorgehensweise wurde von der Personalreferentin und seinem Vorgesetzten initiiert und gedeckt.

Trotz dieser schwerwiegenden Pflichtverletzung entschied das Gericht, dass die Kündigung unverhältnismäßig sei,

da der Kläger mit gutem Grund davon ausgehen konnte, dass ihm die Erschwerniszuschläge zustünden.

Außerdem hatte er auf Anraten der Personalreferentin gehandelt und sein Vorgesetzter hatte die Abrechnungen gebilligt.

Fehlerhafte Dokumentation Arbeitszeit – außerordentliche Kündigung – LAG Baden Württemberg – 19 Sa 61/17

Das Gericht betonte, dass eine Abmahnung vor der Kündigung entbehrlich sei, wenn der Arbeitnehmer sich darauf verlassen konnte, dass sein Handeln legitim war.

Zudem sei die Interessenabwägung zugunsten des Klägers ausgefallen, da dieser überobligatorische Leistungen erbracht hatte und von den Anweisungen seiner Vorgesetzten beeinflusst worden war.

Schließlich wies das Gericht die Berufung der Stadt Mannheim zurück und entschied, dass der Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiterzubeschäftigen sei.

Allgemein:

Die Dokumentation der Arbeitszeit hat im deutschen Arbeitsrecht eine große Bedeutung und erfüllt verschiedene Funktionen:

1. Schutz der Arbeitnehmer:

  • Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG): Die Arbeitszeitdokumentation dient dazu, die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben des ArbZG zu kontrollieren, z. B. Höchstarbeitszeiten, Ruhepausen, Ruhezeiten.
  • Nachweis von Überstunden: Arbeitnehmer können anhand der Arbeitszeitdokumentation ihre Überstunden nachweisen und geltend machen.
  • Schutz vor Lohnbetrug: Die Arbeitszeitdokumentation hilft, Mindestlohnverstöße aufzudecken und sicherzustellen, dass Arbeitnehmer den ihnen zustehenden Lohn erhalten.

Fehlerhafte Dokumentation Arbeitszeit – außerordentliche Kündigung – LAG Baden Württemberg – 19 Sa 61/17

2. Schutz der Arbeitgeber:

  • Planung und Organisation: Die Arbeitszeitdokumentation ermöglicht Arbeitgebern eine effiziente Planung und Organisation des Personaleinsatzes.
  • Kontrolle der Arbeitsleistung: Arbeitgeber können die Arbeitsleistung ihrer Mitarbeiter anhand der Arbeitszeitdokumentation kontrollieren.
  • Nachweis im Streitfall: Im Falle von arbeitsrechtlichen Streitigkeiten über Arbeitszeit, Überstunden oder Lohnzahlungen dient die Arbeitszeitdokumentation als Beweismittel.

3. Rechtliche Grundlagen:

  • § 16 Abs. 2 ArbZG: Verpflichtet Arbeitgeber zur Aufzeichnung der über acht Stunden hinausgehenden werktäglichen Arbeitszeit sowie der gesamten Arbeitszeit an Sonn- und Feiertagen.
  • EuGH-Urteil vom 14. Mai 2019 (Rs. C-55/18): Verpflichtet die Mitgliedstaaten, Arbeitgeber zur Einführung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Arbeitszeiterfassung zu verpflichten.
  • Geplante Reform des ArbZG: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales plant eine Reform des ArbZG, die voraussichtlich eine umfassendere Pflicht zur Arbeitszeiterfassung einführen wird.

4. Möglichkeiten der Arbeitszeitdokumentation:

  • Manuelle Zeiterfassung: z. B. Stundenzettel, handschriftliche Aufzeichnungen
  • Elektronische Zeiterfassung: z. B. Stempeluhr, Zeiterfassungssoftware, Apps

5. Zusätzliche Aspekte:

  • Datenschutz: Bei der Arbeitszeiterfassung sind die datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu beachten.
  • Mitbestimmung des Betriebsrats: Der Betriebsrat hat bei der Einführung und Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung ein Mitbestimmungsrecht.

Fehlerhafte Dokumentation Arbeitszeit – außerordentliche Kündigung – LAG Baden Württemberg – 19 Sa 61/17

Fazit:

Die Dokumentation der Arbeitszeit ist im deutschen Arbeitsrecht von zentraler Bedeutung.

Sie dient dem Schutz der Arbeitnehmer und Arbeitgeber und trägt zur Rechtssicherheit im Arbeitsverhältnis bei.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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